Von Apfelbäumen am Kulturforum, Grashalmen und fliegenden Fischen im Museum 

Berliner Ausstellungstipps im Juli

Food Revolution 5.0 – EssensVisionen
Berlin Biennale: ein wunderbarer Rundgang
Lohnenswert – Philippe Parreno

written by Gastautorin Juliane Rohr 10. Juli 2018

 

Food Revolution 5.0 – EssensVisionen

Gut, am liebsten sehr gut und frisch zubereitet – so will ich essen. Ich probiere gerne Neues aus, koche leidenschaftlich für meinen immer hungrigen Mann und unsere Söhne.  Klar, gesund soll es sein und gerne lasse ich mich von anderen Köchen (zur Zeit vorzugsweise von Nigel Slater, Yotam Ottolenghi und natürlich auch Natali) inspirieren.

Es geht um den Mehrwert

Auf Fleisch verzichten wir zunehmend. Stichworte wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Lebensmittelverschwendung rücken mehr und mehr ins tägliche Bewusstsein, werden mit den Jugendlichen um uns herum immer öfter ausgiebig diskutiert.

Nicht erst seit gestern stelle ich ein verändertes Bewusstsein im Umgang mit Nahrung und auch beim Einkaufen fest. Seit Jahren ziehe ich mit einem Einkaufskorb los, dennoch bleibt der Umverpackungsmüll. Trotz allem habe ich mir noch nie wirklich Gedanken gemacht um das nächst liegende Thema: wie ernähren wir uns in Zukunft? Angesichts schwindender Ressourcen und wachsender Weltbevölkerung geht es uns alle an.

Um so neugieriger war ich auf Food Revolution 5.0. – eine Ausstellung im Kunstgewerbemuseum. 40 internationale Designer zeigen hier ihre Ideen zum Thema Essen in der Zukunft. Viele kleine Apfelbäume bevölkern die Terrasse des Museums. Sie sind jeweils an einen giftgrünen Tropf gelegt und werden so – nach künstlicher Befruchtung (ja, Bienensterben allerorten) – mit Dünger und Wasser versorgt. Die Ernte soll im August sein. Neben vertikalen Indoor-Salatbeeten (sparen Anbaufläche und Wasser) und urbanen Hochbeeten auf Balkonen mit Kräutern oder Erbsen gibt es auch zwei Bienenstöcke „Sky Hive“– eine Bienenstation für Städte.

Hühnerstall-Utopie

Insektenlarven werden zum falschen Hasen und rote Dulsenalgen zu einer Keule gepresst. Beides nahrhafte Superfoods, die noch dazu aussehen wie Fleisch, aber keines sind. Die Algen sollen gebraten wie Speck schmecken. Könnte also wirklich in Zukunft auf den Tellern dieser Welt liegen. Etwas absurd finde ich ein Huhn mit Virtual Reality-Brille, so ausgestattet kann sich das Federvieh aus der Massentierhaltung in grüne Wiesen träumen.

Huhn mit VR Brille

Spannende Zukunft

Klingt amüsant. Aber die Ausstellung ist auch lehrreich: ich erfahre zum Beispiel, dass 75 Prozent unserer Lebensmittel von nur 12 Pflanzen- und fünf Tierarten stammen. Wo bleibt da die viel zitierte Biodiversität? Bei einem Geruchstransformator, der vorgaukelt, dass das Essen nicht verdorben ist, da es süßlich und gut riecht, steige ich allerdings aus. Dann doch lieber mit der Idee anfreunden, irgendwann Insekten kauen zu müssen. Ein inspirierender Ausflug in die Zukunft.

Berlin Biennale: ein wunderbarer Rundgang

So viel vorneweg – dies ist keine sperrige Biennale, sie zeigt sich sinnlich, ästhetisch, regelrecht zart und es gibt viele neue Künstlerinnen und Künstler zu entdecken. Mit fünf Ausstellungsorten ist sie relativ überschaubar. Zum Wesen der weltweit inflationär aufpoppenden Biennalen gehört die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen und Entwicklungen.

Fragen über Fragen

Nachdem sich die letzte Biennale im Netz der Post-Digital-Kunst verfangen hatte, bin ich sehr gespannt auf die 10. Ausgabe des Festivals. Die südafrikanische Kuratorin Gabi Ngcobo hat sich dem Thema Postkolonialismus gewidmet. Genauer der Fragestellung: Was kommt nach der Dominanz des weißen Mannes?

Lorena Gutiérrez Camejo

Klingt spannend – könnte kompliziert und kämpferisch werden. Schlagworte wie Diaspora, Kolonialismus, Krieg, Vergewaltigung, schwarzer Feminismus, Armut, Schwarz gegen Weiß,  Kapital gegen Arbeit schwingen mit. Überraschenderweise ist die Stimmung in den Ausstellungsräumen eine andere.

Humor und Poesie

Die 46 Künstlerinnen und Künstler stammen zumeist aus Afrika, zeigen klassische Videoarbeiten, Installationen, Malerei und Fotografie. Inhaltlich alles aus einer anderen Welt. Einer in der das sich in Europa zunehmend verbreitende Denken in nationalistischen Hierarchien klar verneint wird. Geschichte wird hier mit bildstarker und teilweiser humorvoller Kunst anders gelesen.

In die Kunstwerke zum Start

Das Zentrum der Schau sind traditionell die Kunstwerke in der Auguststraße. Perfekter Startpunkt für den Biennale-Rundgang, der locker an einem Tag machbar ist. Gleich zu Beginn wird klar, der postkoloniale Diskurs der Schau macht Freude.

Tina Turners Song „We don‘t need another hero“ ist der Biennale Namensgeber und mit diesem Lied im Ohr bleibe ich gleich im Erdgeschoss an dem farbenfrohen Bild „Where are the heroes“ von Lorena Gutierrez Camejo hängen, das sich kritisch mit kubanischem Strafrecht auseinandersetzt.

Installation von Dineo Sheshee Bopape

Im Hauptraum der Kunstwerke wartet die schöne orangene Trümmerwelt von Dineo Sheshee Bopape. Kunstvoll arrangierte Schutthaufen, Videos, Plastikeimer, in die es von der Decke hinuntertropft – plopp.

Wunderbare Installationen

Momentan habe ich es mit orangefarbigen Installationen. Es stimmt mich melancholisch, erinnert mich an Sonnenuntergänge, auch wenn es hier um die Analogie von Kolonialismus und Wahnsinn geht.  Fasziniert hat mich auch die Videoinstallation „autoportrait, 2017“ von Luke Willis Thompson.  Von ihm gibt es auf dieser Biennale auch ein vergoldetes Pissoir, das zum Trinkbrunnen wird.

Sanssouci Ruinen vor der Akademie der Künste

Besonders gut finde ich die Ausstellung in der Akademie der Künste. Der brutalistische Bau aus der Nachkriegszeit mischt sich hier auf besondere Weise mit der Kunst. Vor dem modernen Werner Düttmann-Gebäude ist eine pittoreske Schlossruine platziert. Die Künstlerin Firelei Baez erinnert damit an ein zweites Sanssouci, dass der haitianische König Henri Christophe in Milot bauen ließ. Spätestens jetzt ist es Zeit mal den elektronischen Brockhaus zu bemühen. Was hatte es mit diesem zweiten Sanssouci auf sich?

Ja, diese Biennale macht Spaß

Die Ausstellung im Innern der Akademie ist poetisch. Eindrücklich die Porträts von Lynette Yiadom-Boakye. Die in diffusem Licht dargestellten Menschen gehen mir lange nicht aus dem Kopf. Wunderbar die Arbeiten von Sara Haq – überall in der Akademie wachsen Gräser aus den Lücken des Holzbodens. Es wirkt zugleich zerbrechlich und gewaltvoll. Der Versuch einer Integration mit „Transplant“- warum wächst ein Grashalm im Innern eines Gebäudes aus dem Boden?

Lynette Yiadom-Boakye

Ein weniger bekannter Off-Space mit Berliner Flair ist das Zentrum für Kunst und Urbanistik in Moabit. In dem ehemaligen Güterbahnhof findet sich im Keller eine tolle Videoinstallation von Tony Cokes, Black Celebration‘. Die Rassenunruhen in Watts, Boston, Newark und Detroit im August 1965 werden statt mit Nachrichtenstimmen mit Musik und anderen Texten unterlegt. Cokes‘ Kunst ermöglicht einen neuen Blick auf die Revolten.

10. Berlin Biennale Moabit

Wer noch genügend Zeit hat sollte sich auch die beiden letzten Ausstellungsorte anschauen. Der Pavillon an der Volksbühne ist eine sogenannte offene Installation von Las Nietas de Nonne in der laufend Performances und andere Aktionen stattfinden (Infos hier). Im Hau findet sich ein Ausstellungsraum der Keleketla!Library.
Auf dieser Biennale gilt: Know the unknown.

Sehr lohnenswert – Philippe Parreno

Fische fliegen derzeit durch den Gropiusbau. Der französische Künstler Philippe Parreno hat dort ein ganz eigenes Universum ohne Namen geschaffen. Im Lichthof schmeißt irgendwer in einen schwarzen Pool Steine – oder sind es vielleicht Schallwellen, die ihn zum Vibrieren bringen. Jalousien öffnen sich von Geisterhand; und setzen den Blick frei auf die Nachbarschaft des Museums. Ausblicke, die einem sonst durch die Rollos versperrt sind.

Wie von Geisterhand

Irgendwo spielt von allein ein Klavier einen Walzer von Ravel. Und eine lebende Hefekultur steuert das alles via Computer. Das ganze Museum wird zum Ausstellungserlebnis. Der Künstler selbst spricht übrigens von „Heliostatenchoreographie“. Wie auch immer – es lohnt sich sehr sich hier treiben zu lassen und zu erfahren.

Drei zusätzliche Berliner Ausstellungstipps im Juli

Einer meiner Liebligsfotografen – Andreas Mühe – wird erstmals in der Galerie König gezeigt. Die Arbeiten aus verschiedensten seiner Zyklen wie Deutschlandreise oder Obersalzberg werden in Petersburger Hängung im Hauptschiff von St. Agnes gezeigt. Ein reines Kunst-Vergnügen.

Doodle – Disegno heißt die wirklich sehenswerte Ausstellung mit 100 Papierarbeiten 25 verschiedener Künstler von Bernar Venet über Lawrence Weiner bis zu Chiharu Shiota. Klein und fein.

Von der grauen frühen Phase bis hin zur farbenfrohen Abstraktion 90 Werke des großartigen Gerhard Richter im Barberini Museum in Potsdam. Ein Muss – mehr ist nicht zu sagen.

 

Gerhard Richter Stripes

Infos zu den Ausstellungsorten:

Kunstgewerbemuseum
Food Revolution 5.0

Matthäikirchplatz
10785 Berlin

Dienstags – Freitags 10-18 Uhr und
Sa – So 11 bis 18 Uhr
Bis 30. September 2018

Berlin Biennale
We don’t need another hero

Lohnt sich: Mit einer interaktiven App kann man die Austellungen erkunden, eigeneAnsichten einsprechen und die von anderen andere hören. Tablets sind gegen Pfand in der Akademie, den KW und im ZK/U erhältlich.

Verschiedene Ausstellungsorte:

Mi–Mo 11 bis 19 Uhr und
Do 11 bis 21 Uhr
Di geschlossen

  • Akademie der Künste
    Hanseatenweg 10, 10557 Berlin
  • KW Institute for Contemporary Art (Kunstwerke)
    Auguststraße 69, 10117 Berlin
  • Volksbühne Pavillon
    Rosa-Luxemburg-Platz, 10175 Berlin
    Schließtage Volksbühne Pavillon 20.6., 4.7., 18.7., 8.8., 22.8. und 5.9.2018
  • ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik
    Siemensstraße 27, 10551 Berlin
  • HAU Hebbel am Ufer (HAU 2)
    Hallesches Ufer 32, 10963 Berlin

Bis 9. September 2018

Gropius Bau
Philippe Parreno

Niederkirchnerstrasse 7
10963 Berlin

Mi bis Mo 10 bis 19 Uhr
Di geschlossen
Bis 5. August 2018

 

Über Juliane Rohr:

Nach Werbeakademie und Politikstudium in München hat sie ihre journalistische Ausbildung bei verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen (Münchner Merkur, Die Zeit) absolviert. Dann als Redakteurin bei Münchner Merkur und Gala geschrieben. Seit der Geburt ihrer beiden Söhne war sie frei beruflich tätig auch für Zeitschriften wie Shape und Hörzu oder Unternehmen wie Swarowski und die Literaturinitiative Berlin tätig. Im Moment schreibt die 50jährige an ihrem ersten Buch. Sie ist seit Jahrzehnten in der Kunstszene unterwegs – teilt ihr Wissen gerne mit Freunden und Blogbesuchern.

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