Verschobene Grenzen im Kopf
Eigentlich hätten an diesem ersten Maiwochenende das 16. Gallery Weekend und die paper positions berlin die Stadt mit Kunst gefüllt. Corona bedingt verschoben in den September. Wie herrlich ist es mit Freunden von Galerie zu Galerie zu hoppen, durch Museen und über die feine Messe für Papierarbeiten, paper positions, zu schlendern. Neueste Kunst angucken, sich inspirieren lassen. Kunstwerke nachwirken lassen und später am Abend darüber diskutieren, warum dieses gefällt, jenes aber nicht.
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann
hat der portugiesische Dichter Fernando Pessoa gesagt. Kunst in all seinen Facetten regt an, auch mal die Grenzen im Kopf aufzuheben und Denk-Richtungen zu wechseln.
Zurück zur Kunst
Schöne Träume. Weniger ist mehr scheint das Motto der Stunde. Der Ausnahmezustand dauert zwar nicht mehr an, Lockerungen kommen Schritt für Schritt, aber die Pandemie wird uns noch lange begleiten und unseren Alltag nachhaltig verändern. Die Museen haben noch geschlossen; dürfen mit Auflagen am 5. Mai sukzessive den Geisterhaus-Modus beenden. Die Galerien haben bereits wieder geöffnet. Mein erster Rundgang fühlte sich nach sechs Wochen shutdown zwischen Abstand halten, Gesichtsmaske, Warnhinweisen und Desinfektionsmitteln etwas seltsam an. Die Freude ist groß, der Kunst jenseits des virtuellen Raumes wieder begegnen zu können. Und die Gespräche sind gut, sehr gut. Daher die Idee Galeristen über die Kunst, ihre Arbeit, die Künstler und die kommenden Projekte zu befragen.
Farben neu gemischt
Alles anders dieses Mal im Blog zur Kunst. Kristian Jarmuschek von der Galerie Jarmuschek + Partner in den Mercatorhöfen und Gründer der Messen Positions und paper positions sowie Alfred Kornfeld, Inhaber der Galerie Kornfeld und von 68 projects in der Fasanenstraße, haben meine Fragen umfassend, sehr persönlich und eloquent beantwortet. Es lohnt unbedingt in den kommenden Wochen an den drei Kunstorten vorbeizuschauen und in die jetzt neu installierten Ausstellungen einzutauchen.
Gerne wird Corona als Katastrophe in Zeitlupe bezeichnet. Wie hast Du die ersten Wochen und den Shutdown erlebt?
Kristian Jarmuschek
Die ersten zwei Monate des Jahres waren für die Galerie Jarmuschek + Partner sehr erfolgreich. Wir haben einige neue Veranstaltungsformate ausprobiert – die Resonanz war toll. Für unsere Messe paper positions berlin lief es besser denn je, es gab unzählige Bewerbungen und qualitativ hätten wir hier nochmals einen großen Schritt nach vorn gemacht. Der Shutdown fühlte sich für uns an, als ob jemand bei voller Fahrt die Handbremse zieht. Nahezu alles musste abgesagt oder verschoben werden. Es war ein harter Prozess, all die Veränderungen schnell zu begreifen, zumal man gerade in der ersten Woche nie wusste, wie die Welt am nächsten Tag aussieht und was noch machbar ist. Es hat viel Anstrengung gekostet, bedurfte extrem viel Kommunikation, in diesen Tagen handlungsfähig zu bleiben und neue, spontane Pläne umzusetzen. Vieles in Hinblick auf unsere künftigen Projekte und die geänderten Pläne bleibt auch heute nur vage einschätzbar.
Alfred Kornfeld
Nähe und Geborgenheit, danach sehnt sich der Mensch. Die Kunst kann dabei auch therapeutisches Medium sein, eine Brücke, um sich diesen neuen Herausforderungen und Aufgaben zu stellen. Das spüre ich in diesen Wochen, abgeschottet in meinen eigenen vier Wänden, stärker als zuvor. Physische Distanz halten, andere Menschen weitgehend zu meiden sind für mich als Galerist von Kornfeld und 68 projects sehr schwer, aber leider für eine noch unbekannte Zeitspanne erforderlich. Das, wonach sich der Mensch in seinem Innersten sehnt, die vertraute menschliche Begegnung, ein Händedruck, ein Lächeln, sind angesichts einer lebensbedrohenden Pandemie in weite Ferne gerückt. Und doch braucht der Mensch ein Gegenüber – das kann in diesen Tagen stärker als je zuvor ein Kunstwerk sein.
In den Wochen des Shutdowns habe ich die Werke, mit denen ich tagtäglich lebe, neu entdeckt.
Darüber hinaus hat mich mein Engagement für die KunstNothilfe motiviert. Wir sammeln Gelder für notleidende Künstler aller Sparten und vergeben diese als Nothilfe. Hier habe ich viele neue Kontakte am Telefon und in Videokonferenzen geschlossen. Zur finanziellen Unterstützung haben wir gemeinsam mit unserem Künstler Hubertus Hamm eine handsignierte Fotoedition herausgeben, die für eine Spende von 250 Euro pro Foto über unsere Galerie erworben werden kann. Gemeinsam mit dem Künstler übernimmt die Galerie die Produktionskosten und den Versand, der eingenommene Betrag kommt also ohne Abzüge zu hundert Prozent dem Künstlerhilfsfonds zugute. Mehr zur KunstNothilfe und der geplanten Auktion unter www.elinor.network.
Was hörst Du von euren Künstlern?
Kristian Jarmuschek
In den letzten Wochen waren wir mit unseren Künstlern besonders intensiv in Kontakt. Wir haben versucht, da zu sein, Ratschläge und Hilfe anzubieten, geänderte Arbeitsabläufe und Prioritäten transparent zu kommunizieren. Natürlich mussten wir vieles umplanen und neu organisieren.
Wir sind sehr dankbar, dass es allen gut geht.
Es ist gut, dass bei uns alle am gleichen Strang ziehen und wir so das Beste aus einer Situation machen können, die für uns alle sehr schwierig ist. Unsere Künstler im Ausland berichten von besonderen Quarantäne-Situationen mit den Kindern zuhause, aber viele nutzen diesen Rückzug und die Beruhigung auch, um in sich hinein zuhören, neue Gedanken und Ideen zu entwickeln. Wir sind gespannt, ob und wie sich das jeweils auf die Entwicklung im gesamten Werk auswirkt.
Für alle im Kunstbereich, nicht zuletzt auch für die Künstler, ist es zudem wirtschaftlich, aber auch psychologisch extrem wichtig, dass die unbürokratischen Soforthilfen zur Verfügung gestellt werden. Es geht dabei für viele um die Existenz, aber auch um eine gesellschaftliche Wertschätzung, die leider nicht immer ausreichend sichtbar wird.
Alfred Kornfeld
Als Galerist spüre ich gerade jetzt, welche Kraft von Kunstwerken wie Bildern und Skulpturen ausgehen kann. Und in den Tiefpunkten des Lebens entstehen oft die wunderbarsten Werke. Jeder Künstler geht auf seine Weise mit dem Shutdown um. Einige entdecken ungeahnte Kräfte in sich und gehen neue kreative Wege wie Christopher Lehmpfuhl, der in feinen und subtilen Aquarellen besondere Lichtblicke in seinem Zuhause in diesen bewegten Zeiten festhält. Oder Hubertus Hamm, der die menschlichen Begegnungen in diesen Ausnahmezeiten fotografisch dokumentiert und als Edition herausgibt. Wer eines dieser besonderen Werke sein Eigen nennen darf, hat ein einzigartiges künstlerisches Zeitdokument erworben.
Art keeps going – von online zurück in den analogen Raum. Was sind die Pläne der Galerie für die nächsten Monate?
Kristian Jarmuschek
Momentan beginnt für uns eine neue Phase, in der wir unsere Galerie in der Potsdamer Straße eingeschränkt und für einzelne Besucher wieder öffnen können. In unserer neuen Ausstellung Dividuum zeigt Petra Lottje dort ab jetzt mehrteilige, großformatige Papierarbeiten, die sich zwischen Ein-Strich-Zeichnung, Relief und Scherenschnitt changierend, auf unterschiedlichen Ebenen collageartig verbinden. Die Künstlerin wirft damit essenzielle Fragen auf, indem sie uns Menschen als vielseitige, widersprüchliche und fragile Wesen thematisiert. Es ist eine künstlerisch anspruchsvolle und inhaltlich komplexe Ausstellung. Wir freuen uns sehr, dass wir sie nun endlich zeigen können – wenn auch unter geänderten äußeren Umständen.
Darüber hinaus gibt es seit Beginn der Corona-Zeit unsere J+ Online Video Wall, auf der man sich zuhause oder unterwegs jede Woche neue Videokunst anschauen kann. Hier bleiben wir weiter aktiv, ebenso wie auf den Kanälen in den sozialen Medien.
Die weitere Ausstellungsplanung steht noch nicht ganz fest, aber in jedem Fall hoffen wir, dass wir im Herbst mit der Positions Berlin Art Fair, der paper positions berlin und unserer Galerie-Ausstellung mit Troels Carlsen wieder richtig starten können. Bis dahin heißt es abwarten, reagieren und Daumen drücken. Die Freude wird in jedem Fall groß sein, wenn wir wieder zu einer richtigen Eröffnung einladen dürfen!
Alfred Kornfeld
Im Moment werden alle Kräfte der Vernunft gebündelt, um das materielle Funktionieren des Systems zu gewährleisten. Die Kunst spielt im öffentlichen Diskurs in dieser Krise noch keine große Rolle. Das wird sich – so hoffe ich – bald wieder ändern. Gerade Künstler verfügen doch über die Lebenserfahrung, mit ausbleibender Nachfrage nach ihren Kunstwerken im Laufe Ihrer Künstlerkarrieren umgehen zu müssen – sich diesen unterschiedlichen Erfolgszyklen auch finanziell zu stellen und anzupassen. Daher wäre es klug, jetzt Künstler in die Diskussion der wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Krise mit einzubeziehen, und Ihnen auch damit ein Gehör zu geben. Dieses würde uns sicherlich auch helfen, besser mit den eigenen Existenzängsten umgehen zu können.
Kunst verfügt auch über Zugänge zu einer besonderen Wirklichkeit, auf die es jetzt vor allem ankommt, zur Vernunft des Herzens. Diese erinnert uns daran, dass der Mensch ein Gegenüber braucht. Und das kann auch ein Bild oder ein Kunstwerk sein. Ich denke hier an die wunderbaren Farbfelder von Nick Dawes. Seine Malerei zeigt, was in den nächsten Monaten auf uns zukommt. Seine Farbflächen überlagern sich, und die
Farben mischen sich neu, so wie unser Leben sich neu mischen wird.
Bis sich die Sehnsucht des Menschen nach neuer Nähe und Geborgenheit erfüllt, kann die Kunst eine Brücke bauen, Nähe und Geborgenheit auch in sich selbst zu finden, um dann neu auf den anderen zuzugehen. In diesem Sinne Mittler und Vermittler zu sein, das sind meine Pläne und meine Berufung für die nächsten Monate. Ob online oder analog, das spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Infos zu den drei Ausstellungen
Dividuum von Petra Lottje bei Jarmuschek +Partner ist Dienstags bis Freitags von 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung geöffnet und bis Ende Mai zu sehen. Die reduzierten Kohlezeichnungen und Collagen der Berliner Künstlerin sind besonders durch das neue, große Format faszinierend und zeigen soziale Einheiten im Umgang mit sich selbst und anderen. Das hat gerade jetzt neue Bedeutung. Die kurzen Videoarbeiten von ihr sind ein weiteres Highlight.
Am 1. Mai eröffnet bei Kornfeld die Ausstellung Licht/Blicke von Christopher Lehmpfuhl. Alfred Kornfeld wird in der Galerie sein – beide Galerien sind am 2. und 3. Mai von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Das Corona Tagebuch des Berliner Malers fängt die Stimmung der leeren Stadt und die Isolierung des Künstlers, der sonst immer im Freien malt, sehr gut ein: Denn statt dick pastöser Außenansichten hat er in der Mitte des shutdowns begonnen luzide Aquarelle mit Innenansichten seiner Wohnung im Bild festzuhalten.
Bei 68 Projects werden mit Ab- und Zusagen / Gedanken eines Galeristen verschiedene Künstler aus dem Portfolio der Galerie gezeigt, die auf abgesagten Messen in diesem Frühjahr die Messekojen bespielt hätten. Paris Photo, Frieze New York und Art Dubai finden jetzt einfach mal in der Berliner Fasananstraße statt mit Künstlern wie Nick Dawes, Tammam Azzam oder Hiba Al Ansari (Öffnungszeiten beide Kunstorte Di – Sa von 11 bis 18 Uhr). Eine tolle Idee – nicht verpassen!
Und noch ein paar Galerien-Tipps
Wedding und Mitte
Zeitgemäß mit Abstand und Gesichtsmaske habe ich bei einigen anderen Berliner Kunstorten vorbeigeschaut. Immer toll ist die Kunst im Weddinger Krematorium bei Ebensperger Rhomberg. Die Galerie zeigt momentan beste storytelling Malerei von Lars Bjerre und zauberhafte Objekte und Videokunst vom Künstlerduo Hanakam & Schuller.
In der Linienstraße kann man bei Dittrich + Schlechtriem starten und zum Galerien Neuzugang Daniel McLaughlin, spazieren. Der Münchner Galerist hat kurz vor dem Shutdown am 13. März eröffnet und stellt auf kleinstem Raum gegensätzliche – und doch sehr verwandte – Arbeiten von Rupprecht Geiger und Alf Lechner aus. Einem Stück Kunstgeschichte nachzuspüren ist immer spannend. Weiter laufen die Straße entlang bis zu Neugerriemenschneider und neu.
Entschleunigt in der Kunst
Ich freue mich sehr auf die Ausstellung von Bildhauer Thomas Schütte, der ab dem 2. Mai bei Konrad Fischer ausgestellt wird. Das zum white cube umgebaute Umspannwerk ist immer beeindruckend. Wer bei Jarmuschek + Partner reinschaut, kann nebenan in der Galerie Reiter, die farbenfroh, abstrakten Werke des Leipziger Carsten Goering betrachten. Gegenüber bei Esther Schipper gibt es eine begehbare Soundinstallation und den kontemplativ wirkenden Film Fog Dog von Daniel Steegmann Mangrané zu sehen.
Die Fasanenstraße, in der Alfred Kornfeld seine beiden Galerienorte betreibt ist zum absoluten Kunst-Hotspot im Berliner Westen geworden. Dort locken die Villa Grisebach, das Käthe Kollwitz Museum, Galerie Buchholz, Crone, Mehdi Chouakri und Klaus Gerrit Friese am Fasanenplatz. Von hier aus ist man auch zu Fuß schnell in den Galerien Meyer Riegger, Robert Grunenberg und dem Salon Dahlmann…
…hach, ich könnte schon wieder losziehen in die Kunst, wie vor Corona zum Galerien-Hopping. Eigentlich aber ist noch stay at home, keep distance but stay connected und damit weiterhin Entschleunigung angesagt.