Hüpfend im Museum denken

Im Museum schon mal Trampolin gehüpft, nach Brot in der Kunst gesucht? Ab nach Lübeck und Ulm. Gleich drei Ausstellungen sind die Reise nach Basel wert. Und in Berlin geht es um radikal feministische Kunst. Das macht ebenso Spaß, wie die Sache mit dem Trampolin. Unsere Highlights für den März 2024.

written by Gastautorin Juliane Rohr 2. März 2024

Lübeck: Hello Lübeck! Dialoge mit der Kunsthalle St. Annen

Action im Museum

Eine Ausstellung, die zum Interagieren und Mitmachen animiert. Groß und klein, alt und jung – klingt ein bisschen nach Kindergeburtstag? In der Kunsthalle St. Annen stellt die Direktorin Noura Dirani das Prinzip Museum auf den Kopf. Das Publikum kann Wände bemalen, Leinwände mitgestalten, im Museum verstreute Bilderteile suchen und zusammensetzen.   Zu hoch hängende Bilder von Künstlerinnen, die in der Sammlung unterrepräsentiert sind, werden hier per Trampolin erhüpft.

Leise laufend Kunst betrachten

ist bei dieser Ausstellung nicht die Wahl. Klingt nach Spaß und das ist es. Bei meinem Besuch sah ich nur in lächelnde Gesichter.

Was kann ein Strand alles sein?

Hello Lübeck! Kunsthalle St. Annen im Dialog heißt der erste Teil der Ausstellung. Im zweiten wird nochmal allerlei verändert. Unter anderem werden bis zu drei Meter hohe Messingskulpturen im Hof vor der Kunsthalle ausgestellt. Das Holsten Tor wird mit farbigem Schaum eingeschäumt und, und, und.

Was Dirani mit ihrem Museum schaffen will?  Einen Ort für den Austausch.

Dafür veranstaltet sie Parties, Konzerte, Workshops und lässt Künstlerinnen und Künstler kochen. Gleich im Foyer öffnet der griechische Künstler Andreas Angelidakis den Kopf. Mit seiner beweglichen Installation „The Beach“ lädt er nicht nur zum fröhlichen Umbau der bunten Schaumstoffelemente ein, sondern auch zum Nachdenken, welche vielfältigen Bedeutung ein Strand für Menschen haben kann.

Die Spannbreite reicht von Sehnsuchts- und Ferienort bis hin zu Ort des Feststeckens, des Wartens auf Weiterkommen nach der bis hierher gelungenen Flucht.

So aufgeräumt ist „The Beach“ selten.

Licht trifft Spiegel – einfach schön

Man muss nicht überall machen, anpacken, Stifte über Papier gleiten lassen. Im Keller der Kunsthalle kann man sich in Licht, Spiegeln und Sound versenken. Die Installation von Tatjana Busch erstreckt sich über zwei Räume und verzaubert. Hier könnte ich stundenlang auf der Bank sitzen, mich durch den Raum bewegen und darüber sinnieren, was ein Museum im Jahr 2024 alles sein kann.

Auf jeden Fall nicht verpassen: erleben und erfahren und mitmachen und sich darüber hinaus in Gedanken über Themen wie Dialog oder Identität verlieren. Herrlich!

Licht, Sound und Spiegel von Tatjana Busch sind ein Gegenpol – laden zum Runterkommen.

Ulm: Museum für Brot und Kunst – Forum Welternährung

Überfällig hier im Blog

Warum sind wir auf dieses Museum in Kochen, Kunst und Ketchup nicht schon längst gestoßen? Das Museum für Brot und Kunst – Forum Welternährung  beschäftigt sich mit dem Genuss- und Grundnahrungsmittel Nummer eins. Hier im alten Kornspeicher, Salzstadel genannt, wird gekonnt Wissen rund ums Brot mit Kunst gemixt.

Das passt so gut zusammen:

Schließlich entsteht Brot aus Wasser, Hefe, Getreide, Feuer

und ist ganz klar ein Kunstprodukt. Auch Bilder entstehen durch eine Transformation: Öl plus Leinwand schenken uns Kunst.

Im ehemaligen Kornspeicher trifft Kunst auf Wissen.

Balsam für die Seele

Es gibt Bilder von Pieter Brueghel, Salvador Dali, Picasso oder Marc Chagall zu sehen. Zeitgenössische Videos, Skulpturen und Installationen sind in der sehr fein  zusammen gestellten Kunstsammlung natürlich auch zu finden. Im Erdgeschoß werden die Besucher immer mit Wechselaustellungen begrüßt.

Da geht es nicht immer nur um Balsam für die Seele, sondern auch mal um Themen mit politischer Sprengkraft wie Dünger oder Fleisch. Provokante Fragen, Wissen und passende Kunst werden klug aufbereitet.

Der Untertitel „Forum Welternährung“ verrät es, wo soll die Nahrung für die stetig wachsende Weltbevölkerung herkommen, wie produzieren wir, was wir essen? Wie beeinflusst das den globalen Handel? Spannende Themen, die in regelmäßigen Diskussionen auseinandergenommen werden.

Ich komme mit vielen Fragen, bekomme im Museum Antworten, verlasse das Haus jedoch mit neuen aufregenden Fragen. Ein echtes Kleinod: Unbedingt hinfahren.

Basel, der Kunst wegen

Immer eine Reise wert

Die Stadt ist auch jenseits der Kunstmesse art basel im Juni eine Reise wert. Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein und die Fondation Beyeler liegen fünf Kilometer voneinander entfernt. Man kann sogar zu Fuß von einem Ort zum anderen wandern. Danach weiter mit der Tram in die Stadt zu noch mehr Kunst im Museum Tinguely, dem Kunstmuseum und so vielen anderen Kunstorten. Übrigens gibt es auch viele Architektur-Highlights in Basel zu entdecken.

Na, gut, das ist eine extra Geschichte wert und kommt ein anderes Mal. Vielleicht, liebe Natali, wandern wir mal gemeinsam von Weil am Rhein in die schweizerische Fondation?

Museum Tinguely: Otto Piene – Wege zum Paradies

Himmelskünstler, Kunsterneuerer, Magier des Lichts, sind nur einige der Etiketten, die Otto Piene beschreiben. Vor zehn Jahren begeisterte mich die Ausstellung „More Sky“ in der Berliner Neuen Nationalgalerie. Ich werde nie vergessen, wie mein jüngerer Sohn mit einem seiner besten Freunde abends im Museum auf einem Sitzsack lümmelte und sich von einer knallbunten Dia-Schau verzaubern ließ.

Kritisch, schön

Das Werk ist nun auch im Museum Tinguely zu sehen. Es sieht nach Love, Peace und Happiness aus, wenn die mit Wasserfarben bemalten Dias an einem vorbeirauschen. Dabei ist „The Profilation oft he Sun“ von 1967 eine kritische Stimme zur Kernwaffenbegrenzung. Erschreckend aktuell in dieser gerade wieder aus den Fugen fallenden Welt.

Piene experimentierte mit Farben, Licht, Luft und Feuer.

Dabei schuf der Zerokünstler vergängliche und zugleich unvergessliche Erlebnisse. Anhand von vielen Skizzen, die hier ausgestellt sind, reise ich seinem reichen Leben und seiner aufregenden Kunst nach.

Übrigens ist Otto Piene, geboren 1928, nach der Eröffnung in Berlin auf dem Weg in sein Hotel im Taxi gestorben. Vermutlich ein Herzinfarkt, heute wäre er 95 Jahre. Zehn lange Jahre wurde seine Kunst nicht mehr in einer Soloschau gezeigt. Nun wird in Basel in fein kuratierten Räumen zu Recht an den großen Künstler erinnert.

Nichts wie hin.

Pienes mit Helium gefüllten Kunstobjekte schwebten schon über dem Münchner Olympiastadion.

Fondation Beyeler: Jeff Wall

Die Fondation Beyeler ist ein absolutes Must-Do, eigentlich ein Klassiker wie das Museum Tinguely. Besonders schön, da Beyeler auch am Montag geöffnet hat, was meinen Reiseplänen dieses Mal sehr entgegen kam.

Aktuell wird Jeff Wall gezeigt. Der große amerikanische Fotokünstler (geboren 1946) hat selbst an der Schau mitgearbeitet. Seit zwei Jahrzehnten gab es mit seinen Werken keine Solo-Ausstellung mehr zu sehen.

Eine kleine Sensation, dafür ist das Museum ja immer gut. Dahinter stecken einfach Power und viele Schweizer Franken. Das merkt man auch bei dieser Jeff-Wall-Schau: fünfzig seiner Werke werden gezeigt. Angeblich hat Wall insgesamt nur 195 Bilderträume rund um seine besonderen, eher unscheinbaren Momente geschaffen.

Meister der Präzision

Die ikonischen Dialeuchtkästen, die im aufwändigen Verfahren entstehen, fügen sich toll in die plötzlich so klein wirkenden Räume des Fondation. Seit den 1970er Jahren inszeniert Wall geschickt seine Fotografien,

setzt sie aus vielen Einzelaufnahmen subtil zusammen.

Komponiert und zitiert teilweise aus der Kunstgeschichte – Rodin, Vermeer & Co. lassen grüßen. Jeff Wall erzählt Geschichten, die es zu entdecken gilt. Wichtig ist, was nicht zu sehen ist, was passieren könnte oder geschehen ist.

Nun gut.Ich muss gestehen, dass bei mir der Funke nicht überspringen wollte. Trotzdem schön und hier im Blog eine Empfehlung wert. Viele Kunstinteressierte, die ich gesprochen habe, sind total begeistert von der Fülle in seinem in Riehen gezeigten Werk. Das Empfinden für Kunst ist nun mal höchst subjektiv.

Kunstmuseum: Carrie Mae Weems

Total abgeholt hat mich hingegen die Schau im Kunstmuseum von Carrie Mae Weems. Die US-amerikanische Künstlerin lädt in „The Evidence of Things Not Seen” ein, sich auf die Suche nach den blinden Flecken in der Geschichte zu begeben. Sie protestiert gegen das Vergessen in der Geschichte.  Es gibt so viel, was in den Museen nicht stattfindet, was verloren geht in unserer eurozentrierten Welt. Wieviele Kulturen werden bei uns einfach nicht gesehen?

Fotografien, oft mit Text kombiniert, Installationen und eine Videoarbeit haben mich in den Bann gezogen. Noch nie habe ich so viele Arbeiten der Künstlerin, die mich schon lange berührt hat, an einem Ort gesehen.

Klug, politisch & poetisch

1952 geboren, erforscht sie seit knapp 40 Jahren historische Erzählungen, in denen marginalisierte Gruppen ausgeklammert werden. Diese Leerstellen entstehen durch

vorhandene Machtstrukturen, soziale Ausgrenzung und Rassismus.

Eine der erzählten Geschichten geht so:

Was will der kleine, so hübsche schwarze Junge werden, wenn er mal groß ist? „Ein weißer Mann, denn Nigger seinen nun mal Shit, sagt meine Mutter.“ Das steht da ganz ungefiltert unter diesem niedlichen Foto und so geht es weiter.

Es tut weh. Das darf, soll, muss es auch. Struktureller Rassismus ist nicht nur in den USA ein Problem. Auf die Nuancen kommt es an, man muss hinschauen, egal um welchen blinden Fleck es sich handelt.

Carrie Mae Weems anaylsiert messerscharf, die unterschiedlichen Arbeiten sind politisch und dabei doch poetisch und ansprechend. Was für eine laut nachhallende Ausstellung.

Wo schlafen und essen?

Hervorragend dinieren kann man zum Beispiel im Restaurant Schlüsselzunft. Man sitzt in modernem Ambiente und hat dabei immer einen unglaublich schönen Kachelofen aus dem 15.Jahrhundert im Blick. Geschlafen habe ich sehr zentral (und leise!) im Hotel Wettstein. Von hier aus kann man am nächsten Morgen herrlich am Rhein entlang zum Museum Tinguely spazieren.

Unterstützt wurde meine Reise zur vielfältigen Kunst übrigens von Basel-Tourismus. Danke an dieser Stelle.

C/O Berlin: VALIE EXPORT – Retrospektive

Es geht um den weiblichen Körper. Ihre Aktionen aka Performances sind feministisch, radikal und haben in den 1970er Jahren provoziert. Die österreichische Künstlerin VALIE EXPORT hat aber auch ein breites fotografisches Werk geschaffen und damit kann man sich derzeit im C/O Berlin auseinandersetzen.

Was sinnlich oder gar witzig daher kommt ist als ultraharte Kritik am System formuliert. Wenn EXPORT mit ihrem Lebensgefährten Peter Weibel als Hund an der Leine durch Wien zu ihrer Galerie spazierte, erntete sie das Unverständnis der bornierten Wiener Künstlerkollegen des Aktionismus und führte dieses zugleich vor. Frauen als Künstlerinnen waren in der Szene damals verpönt.

Kunst-Marke

Sie macht ihren Fantasie-Namen früh zur Marke, daher muss er auch in Versalien geschrieben werden. VALIE EXPORT spreizt ihre Beine und legt ihre Scham ungeniert frei, denn der Stoff im Schritt fehlt. Skandal! Männer dürfen ihre Brüste im Tast- und Tappkino befummeln. Was für ein

Mut in dieser Zeit und ja, ein totaler Aufreger.

Sie ist übrigens fest davon überzeugt, dass die Leute heute bei solchen Performances auf der Straße die Polizei holen würden. Damals haben sich die Leute amüsiert und basta! Die heutige Freiheit alles zu dürfen, engt wiederrum ein.

Besonders faszinierend sind EXPORTS Fotografien, bei denen sie ihren Körper mit den Architekturen von Häusern verschmelzen lässt. Sie schmiegt sich an, passte sich der Umgebung mimikriartig ein. Oder sie zerlegt alte Meister a la Boticelli, stellt die Frauenfiguren in der Jetztzeit nach und schraubt beide Bilder zu einem zusammen.

VALIE EXPORT bliebt damals wie heute im Kopf. Nicht verpassen!

Bitte auch hier vorbeischauen

Lust auf noch mehr Kunst? Caspar David Friedrich verführt in der Hamburger Kunsthalle mit seinen Romantik-Bildern das Publikum. Slots sind schwer zu ergattern, aber es lohnt sich. Ab Mitte April wird der 250. Geburtstag des Malers auch in Berlin gefeiert. Danach in Dresden und in Greifswald. Das ganze Jahr besteht die Chance CDF-Gemälde im Original zu betrachten.

Apropos Berlin: Die kleine Schau, die der Ikone Josephine Baker in der Neuen Nationalgalerie gewidmet ist lohnt sehr. Ach, und wer in München noch nicht durch die Ausstellung  „In anderen Räumen“ im Haus der Kunst gewandelt ist, hat noch bis zum 10. März Zeit.

Zu den Besprechungen bitte hier

An Caspar David Friedrich Malereien kann man sich nicht satt sehen.

Info

 1. Hello Lübeck! Dialoge mit der Kunsthalle St. Annen

  • bis zum 28.7. ab dem 11. April der 2 Teil der Ausstellung
  • bis zum 31. März Di bis So von 11 bis 17, montags geschlossen
  • ab dem 1. April Di bis So von 10 bis 17 Uhr, montags geschlossen

Der 2. Teil – Hello Lübeck! Eine Ausstellung im Wandel beginnt am 11. April

Kunsthalle St. Annen, St. Annen Straße 15, 23552 Lübeck

2. Museum Brot und Kunst – Forum Welternährung

  • täglich ab 10 Uhr geöffnet.

Salzstadelgasse 10, 89073 Ulm

3.  Otto Piene – Wege zum Paradies

  • bis zum 12. Mai
  • Di bis Do 11 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr, montags geschlossen

Museum Tinguely, Paul Savher-Anlage 1, 4058 Basel

 4. Jeff Wall

  • bis 21. April
  • Montag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr

Foundation Beyeler, Baselstraße 101, 4125 Riehen

 5. Carrie Mae Weems – The Evidence of Things Not Seen

  • bis zum 7. April
  • geöffnet Di – So 10 bis 18 Uhr, montags geschlossen

Kunstmuseum Basel, St. Alban-Rheinweg 60, 4010 Basel

6. VALIE EXPORT – Retrospektive

  • bis 21. Mai
  • – Mo bis Do 11 bis 18 Uhr Fr bis So bis 20 Uhr geöffnet

 C/O Berlin, Amerika-Haus, Hardenbergstraße 22 -24, 10623 Berlin

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