Entspannte Landpartien zur Kunst

Es gibt sie noch diese versteckten Orte, die einfach nur bezaubern. Ausflüge ins Berliner Umland und nach Mecklenburg-Vorpommern zu teilweise verlassenen Schlössern voll zeitgenössischer Kunst, zu einer der deutschen Fotographie-Sammlungen und in einen traumhaften Skulpturengarten. Hier unsere drei Sommer-Highlights.

written by Gastautorin Juliane Rohr 31. Juli 2020
  1. Schloss Lieberose – 25. Rohkunstbau
  2. Schloss Kummerow – Fotografische Sammlung
  3. Schlossgut Schwante – Skulpturenpark

1. Schloss Lieberose – 25. Rohkunstbau

Dornröschen Schloss Lieberose

Vergessene, aus der Zeit gefallene Gebäude, die von zeitgenössischer Kunst wiederbelebt werden, sind mein persönliches Highlight. Wenn an einem solchen Ort gute Kunst, bestens kuratiert gezeigt wird, dann bleiben Ort, Kunstwerke und der Tag in Erinnerung. Und nein – das ist jetzt nicht zu hochgegriffen!

Die 25. Ausgabe der Rohkunstbau lockt mit Zärtlichkeit/ Vom Zusammenleben nach Schloss Lieberose und begeistert. Hier im kleinen Örtchen Lieberose, einen Steinwurf vom idyllischen Spreewald entfernt, liegt eines der größten Barockschlösser Brandenburgs im Dornröschenschlaf. Theoretisch übrigens für wenige symbolische Euros zu kaufen, aber dieses Eigentum könnte sich zum Fass ohne Boden entwickeln, angesichts der zu renovierenden Räumlichkeiten, kaputten Böden, bröckelnden Fassaden, und, und, und…

Alicja Kwade im Schloßhof

Hochkarätige Kunst in jeder Ecke

Nun denn: auf zu den Kunstwerken. Es ist ein entspannter und doch spannender Dialog, den die Künstler mit dem maroden Bauwerk eingehen. In der eher rudmimentär vorhandenen Schloßküche entführt die russische Videokünstlerin Olga Chernysheva auf eine elegische Dampferfahrt, verführt mit herrlicher Leichtigkeit zum Verweilen.

Julian Rosefeldt  zeigt The Swap von 2015 – eine kurzweilige Parodie auf einen Gangsterfilm, der in seiner Choreographie trotz Autos und rauer Hafenkulisse an ein Tanzstück erinnert.

Und noch ein Videokünstler, Björn Melhus, ist bei dem Festival vertreten. Er überrascht mit seinem Fußballkicker You are not alone, wer genau hinschaut, sieht, dass alle Figuren gegen den einen, ganz in blau gekleideten Torwart antreten. So ist das Leben – immer lebensgefährlich! Von Melhus gibt es in Schloss Lieberose noch zwei weitere, gesellschaftskritische Arbeiten zu entdecken.

Björn Melhus

Immer wieder diese Barockdecken

Der Maler und Bildhauer Thomas Scheibitz bespielt mit einer seiner abstrakten, farbigen Skulpturen gemeinsam mit Künstlerkollegen Gregor Hildbrandts collageartigen schwarz-weiß Bildern einen ziemlich abgewrackten Raum. Die Werke der Beiden bestechen um so mehr.

Von einem Ahh und Ohh zum nächsten. Via Lewandowsky hat eine umgefallene, zerfließende Straßenlaterne installiert. Leise Swing-Musik kommt von irgendwoher. Titel des Werks ganz simpel: Alles, was der Fall ist. Umwerfend gut.

Bettina Pousttchi stellt grüngestrichene, metallene Baumschutzbügel in einen Raum mit einer opulenten Barockdecke. War hier vielleicht mal eine kleine Kapelle? Überhaupt, immer wieder diese Decken. Besonders wirkungsvoll in Verbindung mit der kleinen, unbekleideten Figur namens Hannes von Karin Sander. Er ist so winzig klein. Auf seinem Podest, wirkt er so allein und verlassen, nur mit seinen Sneakern an den Füßen. Tja, und würden da nicht diese nackten, wollüstigen Damen an der Decke über ihm schweben, wäre er hier wirklich sehr, sehr einsam.

Rohkunstbau mit Neuentdeckung

Die Künstler, ihre Kunst  – alles so schön, dass ich alles beschreiben möchte. Heike Fuhlbrügge brilliert bei ihrer ersten für Rohkunstbau kuratierten Schau mit einer hochkarätigen Künstlerriege, die alle schon mal für das Kunstfestival gearbeitet haben. Dass der Wegfall der diesjährigen Kunstmessen in Basel, Köln und anderswo ihr vielleicht sogar die besseren Kunstwerke beschert haben, gibt die Kuratorin beglückt und lächelnd zu. Denn sonst hätten Künstlerinnen wie Alicja Kwade, Leiko Ikemura, Bettina Pousttchi oder Karin Sander und ihre Künstler-Kollegen diese wunderbaren Räume mit anderen Werken bestückt, da anderes zu den Messen hätte reisen müssen.

Wunderbar entschleunigte Welt.

Der Clou ist der alte Theatersaal, in dem es noch eine leuchtende, sprechende Arbeit von Via Lewandowsky gibt. Meine Neuentdeckung ist der finnische Fotograf Ola Kolehmainen. Sein fünfteiliger Paravent trägt den Titel Das ist der Dom zu Coeln. Alte Ansichten der sakralen Säulengänge des Doms sind auf der Außenseite zu sehen. Auf seiner Innenseite spiegelt die mobile Wand den 700 Jahre alten Raum und seine Besucher ins Endlose.

Via Lewandowskys Lichtinstallation und der Paravant von Ola Kolehmainen

Noch ein Tipp

Picknickkorb und die Badesachen einpacken sind hier Pflicht. Der Park lädt zum gemütlichen Picknick in herrlicher (noch renovierungsbedürftiger) Kulisse. Hinterher in einem der nahen Seen, wie dem Schwielochsee, schwimmen und sonnenbaden. Der Tag wird so zu einem runden Ausflug für alle.

2. Schloss Kummerow – Fotografische Sammlung

Barockes Kleinod

Ein bisschen weiter und in Richtung Mecklenburg-Vorpommern geht es von Berlin aus zum Schloss Kummerow in dem gleichnamigen Dorf. Direkt an einem See und inmitten einer herrlichen Wildblumen Wiese gelegen. Ebenfalls ein barockes Kleinod, das aber eher clean und ohne opulente Verschnörkelungen daher kommt. Und anders als im Spreewald ist hier das 3500 Quadratmeter große Haupthaus wunderbar renoviert und auch sehr bemerkenswert. Aber eben anders. Der Berliner Immobilienentwickler Torsten Kunert hat es 2011 gekauft. Sehr sorgfältig, gleichzeitig behutsam hat er das Gebäude restaurieren lassen. Jetzt ist dort seine Fotografische Sammlung untergebracht.

Der Chronik des Schloßes kann ich im Erdgeschoß im ersten Raum rechts verfolgen: 1730 von der Familie von Maltzahn als deren Familiensitz gebaut. Ab 1945 wurde der Wohnort auch zur Unterkunft für Flüchtlinge. Nach der Enteignung beherbergte es zu DDR-Zeiten alles Mögliche vom Kindergarten über Jugendclub und Bürgermeisteramt bis hin zum Restaurant und wohl auch ein Bordell. Im Innern finden sich all diese

Spuren, Risse und Narben der deutsch-deutschen Geschichte.

Das historische Erbe ist im Schloss so klug bewahrt worden. Schon allein das zu sehen, ist den Besuch dieses besonderen Ortes wert.

Fotosammlung Schloss Kummerow

Vor allem aber ist hier die private Fotografie-Sammlung von Torsten Kunert zu sehen.  Sicher eine der bedeutendsten in Deutschland, was Schloss Kummerow zu einem Insider-Tipp für Fotografie-Fans macht. Auf drei Stockwerken verteilt sind all die großen, zeitgenössischen Namen zu finden: Marina Abramivic, Viktoria Binschtok, Thomas Demand, Candida Höfer, Andreas Mühe, Bettina Rheims, Wolfgang Tillmanns, Ulrich Wüst und, und, und.

Richard Mosse – Because the Night, 2012

Der Hauch vergangener Zeiten

Jedes ausgestellte Kunstwerk ist beschildert, bei einigen wird die Geschichte dahinter vertieft. So wie bei Werner Mahler, der die Abiturklasse seines Bruders, seit 1977 im Abstand von bis zu sechs Jahren immer wieder fotografiert hat. Die eindringlichen Porträts der Langzeitstudie erzählen von ihren Leben im Lauf der Zeit. Konserviert so nie Wiederkehrendes.

Egal, ob das afghanische Mädchen von Steve McCurry, der Bruderkuss Brezhnev und Honecker von Regis Bossu, die pink verfremdete Landschaft von Richard Mosse, alle Foto- aber auch Videoarbeiten passen sehr genau in die Räume, zu den unterschiedlichen Parkettböden.

Die modernen Kunstwerke harmonieren mit den vereinzelt gestellten Möbeln aus längst vergangenen Zeiten. Es scheint so, als ob Sammler Torsten Kunert, der im März diesen Jahres an Krebs gestorben ist, in diesem Haus und mit dieser Sammlung weiterlebt. Im Treppenhaus hat Fotograf Michael Wesely den leidenschaftlichen Sammler und umsichtigen Bewahrer des Hauses porträtiert.

Überall frische Blumen – hier im Treppenhaus beim Porträt von Torsten Kunert

Potential Provinz

Fotografie aus dem Osten ist ein Schwerpunkt in der rund 2.000 Werke umfassenden Sammlung. Im oberen Stock, sind momentan Ingar Krauss, Ute und Werner Mahler, Hans-Christian Schink und Ulrich Wüst mit Provincia zu sehen. Unter dem Dach des Schlosses tauche ich tief in die deutsche Provinz ein. Durchaus ein Begriff, der nicht positiv besetzt ist. Mit diesen unaufgeregten, sehr poetischen Bildern, gelingt es den unterschiedlichen Fotografen jedoch den Blick auf das Potential dieser in sich ruhenden Gegenden zu schärfen. Sehr lohnend.

In einer Dachkammer versteckt ist noch ein 25minütiges Video von Björn Melhus. Sein Kurzfilm I‘m not the enemy  widmet sich der Verlorenheit, Einsamkeit und Entfremdung von Kriegsheimkehrern, die an diesem Ort stark nachhallen.

Ganz besonders sind zu jedem Moment die Blicke aus den Fenstern des Schlosses, auf den See, und die Blumenwiese mit den wilden Blüten, die in wunderbaren, kleineren und größeren Sträußen die Schlossräume noch verschönern. Was für ein magischer Ort inmitten der mecklenburgischen Seenplatte direkt am Kummerower See, dem achtgrößten Gewässer in Deutschland.

Provincia – Leporellos von Ulrich Wüst

Noch ein Tipp

Da Schloss Kummerow in Mecklenburg-Vorpommern liegt kann man aus dem Ausflug auch einen zauberhaften Wochenend-Trip machen. Zumal in Covid-19-Zeiten Tagesausflüge hier immer noch nicht erlaubt sind. Sehr zu empfehlen ist eine Übernachtung im idyllischen Seehotel am Klosterneusee in Nakenstorf, wo man herrlich essen, wohnen und entspannen kann. Oder aber einfach weiter an die Küste fahren, sich dort ein Ort zum Bleiben suchen…

3. Schlossgut Schwante – Skulpturenpark

Natur trifft auf Kunst

Weniger um Bruchstellen, als perfekte Verbindung von Kunst und Natur geht es im Schloßgut Schwante in Oberkrämer vor den Toren Berlins. Das Haus stammt ebenfalls aus barocker Zeit, wird aber privat bewohnt. Ihre Besitzer Loretta Württenberger und Daniel Tümpel haben jedoch ihren Park der Öffentlichkeit geöffnet. Besonders in Pandemie Zeiten ist Kunst im Freien eine schlaue Idee. Nun kann man inmitten herrlichstem, zum Teil wild wirkendem Grün Skulpturen auf den Wiesen, im Unterholz und an kleinen Teichen bestaunen.

Loretta Württenberger und Daniel Tümpel, selber im Kunstmarkt, haben Galeristen und Künstler um Kunstwerke gebeten und sie nun leihweise ausgestellt. Es leuchtet schon bevor ich den Park betrete dank Alexandra Hopfs Spell around the CornerBjörn Dahlems M-Sphären und Martin Creeds Everything is going to be alright. Bekannte Bildhauer  und Künstler wie Tony Cragg, Carsten Nicolai aber auch Hans Arp, Ai Weiwei und Gregor Hildebrandt sind hier mit kleineren und größeren Werken versammelt.

Martin Creed – irgendwie die Hoffnung in diesem Jahr… alles wird gut!

 Mach‘ mal Pause!

Im Park selber lockt das Daybed von David Renggli mit Blick auf Katja Strunz Unfolding Process zum Bleiben. Entspannend ist auch eine längere Pause am kleinen See unter blauen Sonnenschirmen oder in einer der im Park verstreuten Hängematten. Dazu gibt es überall Kunst zu entdecken. Jay Gard hat einen metallenen Farbkreis geschaffen, der je nach Lichteinfall Licht reflektiert. Spannende Spiegelungen sind auch in Dan Graham Pavillon garantiert. Play Pen for Play Pals ist aber auch ein Rückzugsort, um sich selbst und andere zu beobachten.

Sicher der Instagram-Hit werden die metallenen Blumen von Toshihiko Mitsuya. Während der Ausstellungszeit wird der in Berlin lebende Künstler die Blumen aus Aluminium selber pflegen und neue hinzufügen. Das aus einer Fabrik stammende Material wird in seinem Werk The Aluminium Garden-Structural Study of Plants raffiniert eins mit der Natur. Fast scheint es so, als ob diese künstlichen Gräser, Blüten und Halme leben. Inmitten des Parks verändern sie sich auch durch Umwelteinflüsse, klappern leise im Wind oder glänzen märchenhaft im Sonnenlicht – unwirklich schön.

Toshihiko Mitsuyas Aluminiumblumen erzeugen ein Gefühl von Alice im Wunderland

Noch ein Tipp

Es gibt neben den Skulpturenpark Schloßgut Schwante auch einen kleinen Hofladen und ein Restaurant mit frisch zubereiteten Sandwichs, gegrillten Würstchen oder selbstgebackenem Kuchen. Zudem wird ab und an im Freien Sommerkino angeboten. Mehr Infos dazu finden sich auf der Webseite.

Kommen, um zu bleiben…

Lieber zur Kunst in Berlin?

Keine Lust auf die wunderbaren Landpartien, lieber in der Stadt zur Kunst? Zum Beispiel zum Farbrauschen von Katharina Grosse in und am Hamburger Bahnhof? Einfach hier entlang.

Infos

Schloß Lieberose – Rohkunstbau

Zärtlichkeit/Tenderness

  • bis 20. September
  • Sa und So 12 bis 18 Uhr

Aufgrund der Hygienevorschriften bitte online anmelden.

Schloß Lieberose,Schlosshof 3, 15868 Lieberose

 

Schloß Kummerow – Fotografische Sammlung

Sammlungspräsentation Fotografische Sammlung

und die Sonderausstellung Provincia

  • bis 27. September Mi – So 11 bis 17 Uhr
  • Oktober bis 1. November Fr – So 11 bis 17 Uhr

Am Schloß 10, 17139 Kummerow

 

Schloßgut Schwante – Skulpturenpark

Skulptur & Natur

  • bis 31. Oktober
  • Fr – So 11 bis 18 Uhr

Schloßplatz 1 – 3, 16727 Oberkrämer

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