Molekularküche – Kunst oder Hokuspokus?
In was für einen Event löst eine Foodbloggerin – die noch nie einen Kochkurs besucht hat – einen Geschenk-Gutschein von einem Geschenkportal ein? Klaro – in einen Kochkurs. Aber in was für einen?
Mediterran, Indisch, Asiatisch, Fingerfood, Sushi Rollen ….. das Angebot ist unendlich. Es gibt heutzutage Kochkurse wie Sand am Meer. Tipps und Tricks kann man sicher in jedem Kurs erhalten, aber als ich diesen Kurs mit dem schlichten Titel
Molekularküche
entdeckte, war meine Neugierde geweckt. Ich hatte Lust auf
- Dampf,
- Rauch,
- Spritzen und
- Schläuche
und ich wurde nicht enttäuscht. Ich durfte fünf sehr interessante Stunden mit Peggy von der Praxis Wu Xing in Berlin Weissensee verbringen und wunderbare Verwandlungen miterleben. Dabei habe ich mir die Frage gestellt, ob es sich dabei um Kunst oder Hokuspokus handelt, denn es dampfte und schäumte sehr ästhetisch fast wie bei einem Kunst-Happening. Ferran Adrià der Begründer der Molekularküche würde sagen weder noch – sondern Kochkunst auf höchstem Niveau.
Mit Molekularküche hat Ferran Adria die Restaurantküche revolutioniert
Wer ist Ferran Adria? Was hat er mit der Molekularküche zu tun?
Einen „Verrückten“ nannte Wolfram Siebeck den Katalanen Ferran Adrià, aber auch einen „Kochkünstler in des Wortes wahrster Bedeutung“. Ferran Adrià ist für viele der beste, einflussreichste und umstrittenste Koch der Welt.
Ferrand Adrià und sein Restaurant elBulli setzten die Standards in der Molekularküche
Bis 2010, genau 24 Jahre hat er das Drei-Sterne-Restaurants El Bulli geleitet, gelegen an einer abgelegenen Bucht der Costa Brava in Spanien. Über 2 Millionen Reservierungsanfragen pro Jahr gingen bei ihm ein und dabei hatte er nur Platz für 50 Gäste pro Abend und nur das halbe Jahr geöffnet.
Das El Bulli wurde fünfmal als bestes Lokal der Welt ausgezeichnet, ist seit 2011 geschlossen und wurde zu einer Stiftung für Molekular-Kochkünstler umformiert.
Ich habe dieses wunderschönes Buch über das Restaurant mit Rezepten kürzlich geschenkt bekommen, aber habe noch nie daraus gekocht. Das hole ich bald nach – auch wenn es nicht „meiner Art zu kochen“ entspricht. Denn Molekularküche verlangt streng nach Rezept zu kochen. Bei mir schmeckt es leider oft besser, wenn ich ohne Rezept koche, das behauptet zumindest meine Familie, aber das ist in der Molekularküche nicht möglich, ausser man heißt Ferran Adrià oder man hat sein umfassendes Werk studiert.
Molekularküche verlangt Rezepte und spezielle Kochutensilien – ohne Starterset keine Molekularküche
Einfach spontan molekular zu Kochen ist nicht nicht möglich, dass habe ich schnell verstanden. Deshalb benötige ich dringend ein Starterset – dieses steht schon auf meiner Wunschliste:
Molekularküche ist Wissenschaft, Kunst und Küche
Man sagt, dass in der Molekularküche die Grenzen von Küche, Wissenschaft und Kunst verschwimmen. Das ist wie ich finde hochinteressant – Kochen ist Kunst! Denn durch die radikale Veränderung von Lebensmitteln werden Dinge erschaffen, die es vorher nicht gab.
So stellt man die verschiedensten Schäume – zum Beispiel aus Kartoffeln oder Früchten oder Meerestieren her. Aperol oder Obst wird zu Kaviar und Tomatenmark zu Nudeln und dank einer Pumpe, die sonst im Aquarium Verwendung findet, werden schaumige Texturen erstellt, die an eine Stunde im Chemielabor erinern.
Ferran Adrià auf documenta 12 in Kassel – Küche und Kunst
Dass dies eine Form von Kunst ist, fanden auch andere und luden 2007 Ferran Adrià zur Teilnahme an der Kunstausstellung documenta 12 in Kassel ein. Anstelle des allgemein erwarteten Schaukochens bot Adrià an, täglich zwei Besucher oder Künstler der documenta als Gäste im El Bulli zu bewirten. Ihre Reaktionen beim Verzehr der Menüfolge wurden von dem Maler und Pop Art Mitbegründer Richard Hamilton, der selbst Stammgast im El Bulli war, in einem Kunstband dokumentiert.
Peggy Bartels Weinschneider und die Praxis Wu Xing
Da ich nicht bei Ferran Adrià molekular Kochen lernen konnte, habe ich mir dafür die Frau ausgesucht, die schon einmal in Berlin für Ferran Adria molekular gekocht hat – nämlich anlässlich der Filmpremiere des Dokumentarfilmes „El Bulli-Cooking in Progress„.
Dafür hat die Praxis Wu Xing ein molekulares Buffet gezaubert. Aufmerksame Leser fragen sich inzwischen sicher, warum es hier immer Praxis Wu Xing heißt? Das habe ich mich auch gefragt und war über die Antwort von Peggy sehr überrascht. Ursprünglich ist Peggy nämlich keine Köchin, sondern in China ausgebildet in traditioneller chinesischer Medizin (TCM). Da sie in ihrer Praxis Wu Xing viele sehr kranke Menschen behandelt, die teilweise aufgrund von Krebserkrankungen nur weiche schaumige Texturen zu sich nehmen können, hat sie sich mit Molekularküche vertraut gemacht und ist inzwischen eine Spezialistin für molekulare Küche in Berlin geworden. Die Praxis beherbergt seitdem eine eigene Kochschule. Kranken Menschen durch diese Texturen kulinarische Genüsse zu ermöglichen, finde ich eine grossartige Idee. An diesem Abend war zum Glück keiner der 12 Teilnehmer krank und wir hatten viel Vergnügen bei der molekularen Zubereitung folgenden Menüs:
Unser Menü aus der Molekularküche:
- Nudeln aus der Spritze in einer klaren Bouillon mit Gurken-Ei-Espuma mit Dill und Champignon-Köpfe mit Petersilien-Air
- Sous Vide gegarte und geräucherte Entenbrust an Rotkohlgelee mit Portwein-Kirsch Sauce an mediterranen Kartoffel-Espuma
- Obstsalat mit Fake-Nudeln an Honig-Tonkabohnen-Milch auf Trockeneis
- Und zum Nach-Nachtisch gab es noch molekulares After-Eight …. allerdings in einer etwas fabeligen Form – molekular eben 😉
Molekularküche: Nudeln aus der Spritze in einer klaren Bouillon mit Gurken-Ei-Espuma mit Dill und Champignon-Köpfe mit Petersilien-Air
Molekularküche: Sous Vide gegarte und geräucherte Entenbrust an Rotkohlgelee mit Portwein-Kirsch Sauce an mediterranen Kartoffel-Espuma
Obstsalat mit Fake-Nudeln an Honig-Tonkabohnen-Milch auf Trockeneis
Und zum Dessert gab es molekulares After-Eight:
Molekularküche ist viel Arbeit und braucht Zeit
Ich fand das Ganze war ein tolles Erlebnis. Nachkochen werde ich wahrscheinlich nur das Dessert. Warum?
Weil Molekularküche echt viel Arbeit ist!
Wir hatten an diesem Abend zwei reizende Damen, die nur damit beschäftigt waren abzuspülen, was wir alles an Hilfsmitteln von Spritzen, Schläuchen, Formen etc. verbraucht haben. Dazu hat Peggy schon seit dem frühen Morgen eingekauft und vorbereitet und hat viel Erfahrung in molekularer Küche. Es gab viele Schachteln mit Pulvern, die man sich erstmal anschaffen muss, um die Texturen und Schäume produzieren zu können. Ganz zu schweigen von der Aquariumpumpe (ja damit haben wir geschäumt) und der Imkerpfeife, mit der wir die Ente geräuchert haben. (Das war eine wirklich lustige Sache und wer so ein Ding besitzt, sollte mal mit schönen Kräutern irgendetwas Leckeres räuchern).
Mein liebstes Gericht: das mediteranne Kartoffel-Espuma von Peggy. Da hätte ich mich reinlegen können. Und zwar schon im Rohzustand, ohne jegliche molekulare Veränderung. Einfach geschälte Kartoffeln in Sahne statt Wasser mit viel Kräutern und viel Knoblauch gar kochen. Dann durch ein Sieb streichen und genießen 😉
Ein molekulares Dessert ist ein krönender dampfender Abschluss
Der krönende Abschluss war das Dessert: Mango-Spaghetti und eine Honig-Tonkabohnen-Milch, die Dank des Trockeneises sich zu einer niemals mehr enden wollenden Fontäne wandelte – sehr effektvoll und sehr lecker und ganz einfach!!!! Man braucht nur das Trockeneis bestellen und die Tonkabohnen-Milchmischung darüber geben. Die chemische Reaktion ergibt die Fontäne.
Was bleibt zu sagen?
Liebe Peggy herzlichen Dank für diesen lustigen, informativen und köstlichen Abend. Es war ein tolles Erlebnis und ich habe viel mitgenommen und seitdem eine Vorstellung, was Molekularküche bedeutet und welche Potentiale darin schlummern. Das ein oder andere Experiment werde ich sicher bald mal versuchen – ich werde berichten.
Wer jetzt Lust auf einen Einblick in die Techniken der Molekularküche bekommen hat, ist (wenn er in Berlin wohnt) bei Peggy Bartels Weinschneider an der richtigen Adresse 😉
Ein schönes Einsteiger Buch in die Küche der Spitzengastronomie und der Molekularküche ist dieses Buch mit dem schönen ironischen Titel „Kochen für Angeber“: