Kunsttipps in Berlin, Leipzig und Nürnberg
1. Berlin
Hannah Höch. Abermillionen Anschauungen – Bröhan-Museum
Was für eine Künstlerin!
Sie hatte es wahrlich nicht immer leicht, um so schöner zu sehen, dass Kunst Hannah Höch durch ihr Leben getragen hat. Sie ist eine dieser erstaunlichen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, mischte überall mit: Dada, Expressionismus, Futurismus aber auch Bauhaus – zu welcher Strömung gehörte sie denn nun? Am Ende verweigerte sie sich zeitlebens der Festlegung auf eine Gruppierung, schließlich gehörte sie irgendwie zu Allen.
Aquarelle, Collagen, Malerei
„Manchmal will ich dies, manchmal das andere sagen.
Ich liebe das Abstrakte, weil es mich manchmal schneller ins Unsichtbare führt wie der Gegenstand“, so die Künstlerin (1889 – 1978 ). Und so tauche ich im Bröhan-Museum in ihre fanstatisch surrealen Aquarelle ein. Dieses Verwischen der festen Grenzen ist es was die Ausstellung „Hannah Höch. Abermillionen Anschauungen“ vergegenwärtigt. Es zeigt Hannah Höchs Sicht auf das große Ganze in all seinen Schattierungen. Das spiegelt sich zuletzt auch in diesen dynamischen Collagen, für die sie dem Dada-Kollektiv zugeordnet wird. Dieser vagabundierenden Künstlerin kann ich hier gedanklich und stilistisch folgen. Eine fantastische Ausstellung.
2. Leipzig
Tübke Monumental – Kunstkraftwerk
Riesiges Gemälde
Eskapismus muss erlaubt sein und hier geht das besonders gut. Werner Tübke war einer der bedeutendsten DDR-Maler, gehörte zur Leipziger Schule, die nach dem Mauerfall nicht zuletzt dank Neo Rauch weltweit berühmt wurde. Aber das ist eine andere Geschichte. Tübke (1929 -2004) wurde vor allem durch sein Bauernkriegs-Panorama berühmt. Das riesige Bild Frühbürgerliche Revolution kann im Panorama Museum in Bad Frankenhausen besichtigt werden. Aber auch das: Eine andere Geschichte.
Hochaktuell
Im Kunstkraftwerk in Leipzig bin ich eine halbe Stunde lang immersiv in dieses besondere Tafelbild eingetaucht. Es erzählt die Geschichte des deutschen Bauernkrieges. Und die des Theologen und Reformators Thomas Müntzner. 1524 wurden mit den Aufständen in Thüringen, Sachsen, Franken, Tirol aber auch in Teilen der Schweiz, erstmals Menschenrechte formuliert. Werner Tübke hat an dem Bild von 1976 bis 1987 gearbeitet. Mit der Fläche von 1722 Quadratmetern ist es eines der größten Wandgemälde weltweit.
Eingehüllt in Licht & Musik
Für Tübke Monumetal im Kunstkraftwerk wurde das Gemälde vom Künstler Franz Fischnaller digitalisiert und zum Leben erweckt. Die Figuren wirbeln um mich herum über die meterhohen Wände des ehemaligen Industriegebäudes. Sie treten aus dem Gemälde heraus, wirken dreidimensional. Aber auch der Boden wird bespielt – plötzlich stehe ich im Brunnen der Weisheit oder auf geometrischen, fließenden Mustern. Alles ist in Bewegung, aktiviert die Lust zu sehen. Und zu hören: Die Musik dazu wurde eigens komponiert.
Das immersive Erlebnis ist frei von Kitsch.
Und wer mehr wissen will, kann vorher kleine Videos von Zeitzeugen anschauen und hat die Möglichkeit das Werk genauer zu erforschen. Paradies und Apokalypse, Aufstieg, Untergang alles ist ein immer wiederkehrender Kreislauf. Hochaktuell, sehr lohnend!
Bilderkosmos Leipzig 1905 – 2020 – Museum der bildenden Künste
Malerei aus Leipzig
Kunst hat in Leipzig Tradition. Und wie der Titel verrät, sind hier Werke aus 120 Jahren zu bestaunen. Nach einem ganzen Raum wunderbarster Gemälde von Max Beckmann, kann ich mehr als 200 Werke aus dem Bestand des Museums betrachten. Ich entdecke mir unbekannte Malerinnen wie Monika Geilsdorf. Ich treffe wieder auf Werke von Malern wie Bernhard Heisig und Arno Rink. Ein ganzer Raum wird von Leipzigs Superstar Neo Rauch bespielt. Mit dabei auch eine Arbeit seiner Frau, Rosa Loy. Toll, dass auch jüngere Künstlerinnen wie Anna Nero und Franziska Holstein mit dabei sind. Sie alle arbeiten hier in Leipzig.
Spannendes Projekt
Im Fokus des Bilderkosmos stehen die Bilder. Fast alles ist chronologisch geordnet, manchmal nach Themen, große Erklärungen fehlen. Da ist wohl noch viel zu tun: Das Museum der bildenden Künste möchte die Forschung noch ausbauen. Lässige Idee:
Das Publikum wird aktiv in die Schau einbezogen.
Es kann anhand von Karten mit Themen wie „Das fehlt mir“ oder „Das erinnert mich an“ mitgestalten. Wie das am Ende aussieht, hat sich mir am Tag meines Besuches noch nicht so ganz erschlossen, aber es klingt spannend.
Fotografie wie gemalt
Und dann gibt es da noch die Arbeiten der Fotografin Ricarda Roggan, deren schwarz-weiß Fotos fast wie gemalt wirken. Der dunkle Wunsch der Dinge zeigt Orte und eben Dinge, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Treppenhäuser, Spielautomaten, Stühle und Tische. Alles aus der Zeit gefallen und doch so nah. Ganz wie die Entdeckungsreise durch den Bilderkosmos in den Räumen nebenan.
3. Nürnberg
Sammlung Stadler – Neues Museum
Minimalistisch schön
Klare Linien, spiegelndes Licht und starke Farben macht die Sammlung des Münchner Paares Annette und Rainer Stadler aus. In den sechs Fassadenräumen des Neuen Museums wird erstmals ein Ausschnitt ihrer minimalistischen Sammlung öffentlich gezeigt. Sie begleiten die Künstler über Jahre, sind mit ihnen persönlich bekannt. Hier werden vier Künstlerinnen und Künstler ausgestellt. In erster Linie heißt die Schau und bezieht sich doppeldeutig auf die formale Ästhetik der Kunstwerke, aber auch auf den Platz, den sie in den riesigen Fenstern des Museums einnehmen.
Knallig, abstrakt, gut
Die Wandstücke von Gerold Miller kommen knallig daher. Sie sind vielfach lackiert und bekommen so eine unglaubliche Tiefe. Heimo Zobernig kombiniert zu seinen in Unordnung geratenen, strengen Geometrien eine Decke im Schachbrettmuster. Ich hätte sie liebend gerne glatt gezupft.
Der mit Ton- und Videoband arbeitende Künstler Gregor Hildbrandt hat gleich den ganzen Raum, in dem seine Collagen gezeigt werden, mit den VHS-Bändern ausgekleidet. So spiegelt sich die Stadt davor in den Raum hinein.
Unendlich gespiegelt
Dazu gesellen sich bezaubernde Lichtarbeiten von Brigitte Kowanz. Die österreichische Künstlerin malt mit Licht, legt Spiegel unter die gestischen Linien aus Neonbänden, hebt sie so raffiniert ins Unendliche.
Die Arbeit i-phone 9.1.2007 hat mich schon im österreichischen Pavillon 2017 auf der Venedig-Biennale fasziniert. In dem Leuchtkasten hat sie unter ein Lichtband das codierte Datum an dem das erste i-phone auf den Markt kam gelegt: 9. 1. 2007. Was für eine vielschichtige Künstlerin. Brigitte Kowanz ist Ende Januar im Alter von 64 Jahren in Wien viel zu früh gestorben.
Lightsome Keith Sonnier – Neues Museum
Skulpturen aus Licht
Noch mehr Lichtkunst im gleichen Museum: Lightsome ist die erste Retrospektive von Keith Sonnier nach seinem Tod im Sommer 2020. In dem Museum kann man sich wunderbar in das reichhaltige Werk des 1941 geborenen amerikanischen Künstlers vertiefen. Schon in den 60er Jahren setzte er auf Glühbirnen, Neon- und Argonröhren, um bildhauerische Arbeiten zu kreieren.
Beruhigendes Leuchten
Spannend auch seine Skulpturen aus Latex, Fieberglas oder Draht und Videoarbeiten. Mit dem Medium hat er sich seit den 70er Jahren auseinandergesetzt. In die Arbeit Channel Mix aus dem Jahr 1972 trete ich dank einer Doppelprojektion mitten in den aktuellen Newsfeed. Beklemmend, verwirrend, je nach dem was gerade über die Schirme flimmert. Wie beruhigend hingegen seine farbigen Lichtarbeiten sind. Unbedingt nicht verpassen!
Editionen für die Ukraine
Solidarity Print Sale
Wir sind in diesen Tagen mit Kopf und Herz in der Ukraine. Es ist die Zeit von neuen Mauern und alten roten Linien. Der von Putin entfesselte Angriffskrieg wird täglich brutaler. Die Freiheit, die Zukunft und das Leben eines ganzen Volkes stehen auf der Kippe. Millionen sind auf der Flucht.
Jeder Cent wird gebraucht.
Hier ein Projekt aus der Kunst: Eine Gruppe hochkarätiger Künstlerinnen und Künstler hat sich für die Organisation artists at risk zusammengetan. Collagen, Fotos, Drucke von Zeichnungen und Gemälde von goßartigen Künstlerinnen wie Nan Goldin, Hito Steyerl oder Laure Provoustund Künstlern wie Thomas Demand, Julian Schnabel oder Luc Tymans.
Helfende Kunstwerke
Sie alle haben für die offene Edition ein Kunstwerk geliefert. Das wird nach der Bestellung in Berlin im Fotolabor recom gedruckt und versendet. Von 200 Euro gehen 150 Euro direkt an artists at risk, 50 Euro sind für Druck und Versandkosten eingerechnet. Die non-profit-Organisation unterstützt seit 2013 Künstler:innen, die politisch verfolgt werden oder vor Unterdrückung und Krieg fliehen müssen.
Sämtliche Editionen, übrigens unsigniert, können unkompliziert auf der Webseite solidarityprints.artistsatrisk gekauft werden. Zunächst geht das Projekt bis Ende April – hoffentlich können so viele in Not geratene Menschen unterstützt werden.
INFO
Tagesaktuelle Covid-19-Etikette sowie Öffnungszeiten und Adressen sind auf den verlinkten Webseiten zu finden. Eine inspirierende Auszeit mit unseren Kunst-Highlights.
- Hannah Höch – Abermillionen Anschauungen
Bröhan-Museum, Berlin bis zum 15. Mai
- Tübke Mounumental
Kunstkraftwerk, Leipzig ab dem 11. März im Programm
- Bilderkosmos Leipzig 1905 -2022
Museum der bildenden Künste, Leipzig bis zum 6. Juni
- In erster Linie. Werke aus der Sammlung Stadler
Neues Museum, Nürnberg bis zum 11. September
- Keith Sonnier. Lightsome
Neues Museum, Nürnberg bis zum 8. Mai