Kunst gegen das Grau in Grau

Gegen trübe Novemberstimmung hilft der Besuch in den Museen der Stadt. Dort warten symbolhafte Fabelwesen, ein begehbarer Zettelkasten, ein leider längst vergangenes Amerika, poetische Lichtkunst und die Werkschau einer tollen Künstlerin. Unsere Kunst-Highlighhts in Berlin für die kommenden Wochen.

written by Gastautorin Juliane Rohr 23. Oktober 2020

1. Alte Nationalgalerie – Dekadenz und dunkle Träume

2. Haus der Kulturen der Welt  – Aby Warburg

3. Helmut Newton Stiftung – America 1970s/80

4. Haus am Waldsee – Into Space

5. Gropius Bau – Otobongo Nkanga

1. Dekadenz und dunkle Träume

Von der Seele der Dinge

Alptraumhafte Abgründe, verführerische Sinnlichkeit, tiefgründige Bedeutsamkeit, morbide Fantasien, fremde Fabelwesen – alles zu finden im belgischen Symbolismus. Und der ist in der Alten Nationalgalerie zu Gast. Dekadenz und dunkle Träume so der Ausstellungstitel mit rund 200 Werken, davon 180 Leihgaben aus vorwiegend belgischen Museen. Rätselhafte Wesen, der Tod, das Unterbewusstsein, Träume, die Seele der Dinge alles spiegelt die Unsicherheiten der Zeit wieder.

Der Weg in die Moderne kam für die übersättigten Menschen einer Entwurzelung gleich. Die Bilderwelten öffnen Einblicke ins Interieur, zeigen Ausblicke auf Landschaften, und Ansichten von Städten mischen sich mit wunderbaren Porträts von sehr schönen Menschen. Zumeist rätselhafte Frauen, doch ihre Blicke sind seltsam leer, die Haut wundersam blass. All das spiegelt jetzt hier die Unwägbarkeiten der Zeit.

Ein Hauptwerk des belgischen Symbolismus von Fernand Khnopff das Bild Liebkosung entstand 1896. Erotisch, morbide und dekadent zugleich.

Geheimnisvolle Bilder

Die gezeigten Bilder und Skulpturen sind aus der Zeit von 1870 bis 1910. Der belgische Symbolismus ist eine Bewegung gegen den neu entstandenen Naturalismus und Impressionismus. Belgien war ein früh industrialisiertes Land, Dekadenz und morbide Themen waren in der Kunst sehr gefragt. Das Geheimnisvolle, Symbolhafte dieser Zeit zieht auch heute noch in den Bann. Der Meister des Absurden ist James Ensor, seine Figuren sind gerne maskiert und in seinen Bilder steckt immer Schärfe und Witz. Herrlich, diese selten gezeigte Kunst und seine Künstler zu entdecken.

Aussellungsansicht

Im Jetzt angekommen

Künstler, die bei uns zumeist nicht so bekannt sind. Allen voran Fernand Khnopffs, der Hauptvertreter des belgischen Symbolismus. Eine Entdeckung ist für mich Lèon Spielliaert dessen besonders düsteren Landschaftsbildern so unendliche Einsamkeit austrahlen. Er arbeitet sehr reduziert zumeist in schwarz-weiß und einer endlosen Palette an Grautönen. Wunderbar seine Porträts deren Menschen ängstlich ins Nichts starren. Sehr modern und im Jetzt angekommen. Wie diese Ausstellung in Zeiten der Pandemie voller Unwägbarkeiten und Unbestimmtheit sowieso unglaublich auf den Punkt zu sein scheint.

Ach, auch bekannte Maler wie Arnold Böcklin und Franz von Stuck finden sich in der unbedingt sehenswerten Schau wieder. Bitte nicht vergessen, ein Zeitfenster zu buchen, um die 13 Kapitel der Ausstellung in den herrlichen Räumen des Museums mit Ruhe und Abstand betrachten zu können.

Léon Spiliaert – Selbstporträts

2. Aby Warburg Mnemosyne

Der Bilderatlas – das Original

Was für ein Name: Mnemosyne. Bitte  was, wo, wer…? Mnemosyne ist die Göttin der Erinnerung und nach ihr hat der Hamburger Kunsthistoriker Aby Warburg1927 seinen riesigen, internationalen Bilderatlas getauft. Im Haus der Kulturen der Welt kann man nun in seine Sicht auf europäische Kunst eintauchen. Warburg wollte mit seiner Sammlung erklären, wie und warum sich der Mensch an immer wiederkehrenden Bildern der Kulturgeschichte abarbeitet. Wie kam es das bestimmte Bilder von der Antike über die Renaissance bis in die Gegenwart gewandert sind?

 Begehbarer Zettelkasten

Bis zu seinem Tod 1929 war der Kulturwissenschaftler sehr eifrig. Sein riesiger begehbarer Zettelkasten ist in der Ausstellungshalle zu sehen und ich

komme aus dem Staunen nicht mehr raus.

Quasi in einem riesigen Schaukasten werden die Bilder, Karten und Tafeln hinter Plexiglas präsentiert. Unabdingbar das Heft mit den Beschreibungen für die Bildlegenden, um das ein oder andere Rätsel zu lösen. So kann der Besucher sehr lange in dem geschickt abgedunkelten Raum in diesen Atlas von Aby Warburg eintauchen.

Ganz oben auf der Nach-Covid-19-Reiseliste steht nun das Warburg Institute Archive in London am Woborn Square. Bis dahin schwelge ich in Gedanken in seinem Bilderkosmos. Und bitte dazu (leider nur noch bis zum 1. November) den Besuch in der Gemäldegalerie einplanen. Dort sind in der Schau Zwischen Kosmos und Pathos derzeit fünfzig Bilder aus zehn Berliner Museen versammelt, die alle auf Warburg Magnum Opus auftauchen. Die Werke von Botticelli, Dürer, Rembrandt oder Van Eyck bringen noch mehr Licht in das komplexe Denken des Wissenschaftlers.

3. America 1970s/80s

Ikonische Fotografie

In der Newton-Stiftung komme ich ins Träumen und reise in ein anderes Amerika. Ein Amerika, das cool und progressiv ist. Damals in der 70er und 80er Jahren waren die USA der Sehnsuchtsort. Die Ausstellung America 1970s/80s zeigt vier FotografInnen die mit ihren Bildern diese Zeit konserviert haben.

Zunächst Helmut Newton, der hatte das Glück für die amerikanische Vogue zu fotografieren. Er öffnete mit seiner Art der Modefotografie in New York neue Perspektiven im Stadtraum. Der Betrachter weiß auf den ersten Blick, dass er im Big Apple ist. Ganz wunderbar Newtons in den Fotografien versteckte Filmzitate. Apropos Hollywood, nicht nur Modefotos erzählen von dieser Zeit, sondern auch zahlreiche Porträts der üblichen Verdächtigen aus der Traumfabrik.

Kurator Matthias Harder vor einem Helmut Newton ikonischen Foto , das David Lynch und Isabelle Rosselini zeigt

Straßenszenen aus New York

An die Seite von Newton, der Ende Oktober 100 Jahre alt geworden wäre, sind Sheila Metzner und Evelyn Hofer zu sehen. Metzner hat ebenfalls Mode wie zum Beispiel für Fendi fotografiert. Ihr Stil war minimalistisch und in zarte Farben getaucht. So wirken die Bilder entrückt, tagträumerisch ohne in Kitsch abzurutschen. Mit Fotografien von Evelyn Hofer wird das Stadtporträt New Yorks abgerundet. Die deutschstämmige Fotografin hat Straßenszenen und Panoramen aus den 60er und 70er Jahren eingefangen. Sehr poetisch – eigentlich ist Evelyn Hofer eine Vorläuferin der heutigen Streetart-Fotografie. Für mich ist sie eine Entdeckung.

Evelyn Hofer und ihre Sicht auf New York

Traumhaftes Amerika

Die Räume auf der anderen Seite des Treppenhauses bespielt Joel Meyerowitz. Und bei seinen Bildern lande ich wirklich in jenem traumhaften Amerika. In der Newton-Stiftung  werden vor allem seine Fotos gezeigt, die in Provincetown, Massachusetts, gemacht wurden. In dem Fischerörtchen verbrachte der in New York lebende Fotograf in den 70er und 80er Jahren die Sommer. Entstanden ist ein faszinierendes Gesellschaftsportät der Zeit. Es zeigt eine sehr freie, mitunter freizügige Community. So weit entfernt von dem Amerika, das wir heute in den Medien sehen. Ein wunderbarer Trip.

4. Into Space

Dialog im Weltaum

Mit abstrakter, moderner und federleichter Kunst lässt sich hervorragend gegen trübe Novembertage. Bevor mir der graue Berliner Himmel auf den Kopf fällt, tauche ich hier in zarte Skulpturen von Naum Gabo und Berta Fischer sowie Kunst geworden Wissenschaft von Björn Dahlem. Die Ausstellung Into Space zeigt drei völlig unterschiedliche Künstler, die doch wunderbar harmonieren. Der russische Bildhauer, Maler und Architekt Naum Gabo (1890- 1977) hat zehn Jahre (von 1922-32) in Berlin gelebt und gearbeitet. Doch nicht nur das eint ihn mit den ebenfalls in Berlin lebenden KünstlerInnen Berta Fischer und Björn Dahlem. Es ist auch die Liebe zum Weltraum – über diese treten sie in Into Space in den Dialog über Raum und Zeit.

Skulpturen von Naum Gabo

Poetisch leichte Kunst 

Und der gelingt hervorragend. Gabos Arbeiten sind transparent und scheinen unglaublich leicht.  Entfernt erinnern sie an Objekte wie aus einem frühen Science Fiction Film. Der Mensch sehnt sich seit jeher nach Schwerelosigkeit,der Unendlichkeit und fernen Galaxien. Betra Fischer schafft aus farbigen Plexiglassegmenten wunderbare Wolken. Oder sind es galaktische Superhaufen? Es schillert und leuchtet in den Räumen. Dagegen stehen die abstrakten sehr reduzierten Skulpturen von Björn Dahlem. Der Künstler arbeitet mit Fundstücken wie Vasen und Kristallfiguren, Lampen, Holz, Spiegeln und widmet sich ganz der Suche nach Schwarzen Löchern und der Interpretation von Planeten wie dem Saturn oder Mond. Eine gelungene Auseinandersetzung über ein Jahrhundert hinweg, die auch die Schnittstellen von Kunst, Wissenschaft und Philosophie beleuchtet.

Ausstellungsansicht von Into Space

5. Otobongo Nkanga

Bestes Storytelling

Die Ausstellung  There’s no such thing as solid ground im Gropius Bau ist ein To Do in den kommenden Wochen. Die Werkschau der Künstlerin  ist eines meiner Highlights im nicht ganz einfachen Ausstellungsjahr. Erlebbare Kunst at its best. 1974 in Nigeria geboren, lebt sie nach dem Studium in Paris inzwischen in Belgien. Immer wieder arbeitet sie aber auch in Berlin. In Otobongo Nkangas Kunst geht es zumeist um die Resourcen Afrikas, die Bodenschätze wie Aluminium und Erze, die für die Bedürfnisse der ersten Welt bis heute radikal abgebaut werden.

Die Installation Taste of a Stone eröffnet die Ausstellung

Veränderte Welt

Ich kann über weiße Kalkkiesel mich einer hübschen Tapisserie nähern auf der dann die Pflanze wächst, die mit genau den Steinchen in westlichen Vorgärten verschüttet wird. Wunderbar auch der 20minütigen Klanginstallation zu lauschen. Nkanga schimpft, lacht, schreit fragt:

Was wirst du tun?

Ja, die Welt ist nicht mehr die, die sie einmal war… ob es zu dieser Erkenntnis wirklich erst die Pandemie brauchte?

Otobongo Nkanga, die bereits auf der Biennale in Venedig und der documenta 14 mit eingängigen Kunstwerken aufgefallen ist, legt den Finger dahin, wo es schmerzt und bleibt dabei hochästhetisch. Es lohnt also sehr sich mit den Zeichnungen, Installationen und den Performances der Künstlerin auseinanderzusetzen.

Die Tapisserie Double Plot zeigt wie Machtsysteme Menschen manipulieren

Infos

Alte Nationalgalerie

Dekadenz und dunkle Träume

Der belgische Symbolismus

  • Di bis So 10 bis 18 Uhr
  • Montags geschlossen

Bodestraße 1-3, 10178 Berlin

Haus der Kulturen der Welt

Aby Warburg – Bilderatlas Mnemosyne – Das Original

  • täglich außer Di 12 bis 20 Uhr

John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin

Helmut Newton Stiftung

America 1970s/80s

  • Di bis So 11 bis 19 Uhr
  • Di bis 20 Uhr

Jebensstrasse 2, 10623 Berlin

Haus am Waldsee

Into Space. Björn Dahlem, Berta Fischer, Naum Gabo

  • bis zum 10. Januar
  • Geöffnet: Di bis So 11 – 18 Uhr

Argentinische Allee 30, 14163 Berlin

Gropius Bau

Otobongo Nkanga – There’s no such thing as solid ground

  • Sa bis Mi 10 – 19 Uhr
  • Do und Fr bis 21 Uhr
  • Dienstags geschlossen

Niederkirchnerstrasse 7, 10963 Berlin

 

 

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