Fallende Blätter, kurze Tage, Herbststimmung – mal trüb und mal sonnig. Diesem wechselhaften High & Low kann man mit guter Kunst entkommen. Die ist schließlich der kopföffnende Gute-Laune-Booster schlechthin. Unsere Highlights kommen aus Berlin und München, wo es einen besonderen Film zu erleben gilt.
Das Maxim-Gorki-Theater lädt bereits zum 7. Mal zum Berliner Herbstsalon. Es gibt in dem Haus und dem benachbarten Palais am Festungsgraben viel aufregende Kunst zu entdecken.
Shermin Langhoff eröffnete 2013 mit dem ersten Berliner Herbstsalon ihre Intendanz am Maxim Gorki Theater. Hundert Jahre nach dem ersten und letzten Deutschen Herbstsalon Herwarth Waldens im Jahr 1913. Nun beginnt ihre letzte Spielzeit. Zu ihrem Abschied hat sie langjährige Weggefährt:innen für diese besondere Ausstellung eingeladen.
Zukunft neu gedacht
Die kritischen Kunstpraxen, Kämpfe und Widerstände, die damals verhandelt wurden, werden im Angesicht der Gegenwart mit neuen und alten Werken gespiegelt. Die Künstler:innen reflektieren, ordnen neu und (re-)imaginieren vermeintlich unsere Zukunft.
Spannend und unbedingt sehenswert.
Mit dabei sind bekannte Namen wie Ersan Mondtag. Er bespielte in der letztjährigen Venedig-Biennale gemeinsam mit Yael Bartana den Deutschen Pavillon. Der Künstler, der vorwiegend als Regisseur arbeitet, inszeniert zudem im Gorki das Stück „Das Rote Haus„. Auch das ist wahrhaft ein erhellender Clash der Kulturen.
Ruprecht von Kaufmann – HaL
„Herbst“ heißt die Soloausstellung von Ruprecht Kaufmann im Haus am Lützowplatz. Der in Berlin lebende Maler hat seine Idee von Herbst extra für die Räume des Kunstvereins konzipiert. Fast alle Arbeiten entstanden im letzten Jahr. Kaufmann verschränkt unsere Gegenwart mit den politischen und gesellschaftlichen Phänomenen der Weimarer Republik vor einhundert Jahren. Dabei bezieht er sich auf Werke von Otto Dix (1891 – 1969).
Ruinöse Zeiten
Auch Kaufmann malt eine Gesellschaft am Rande einer neuen Weltordnung. Die Parallelen sind zahlreich.
Die Zeiten sind ruinös.
Sie sind geprägt von großen Umbrüchen in Wirtschaft und Politik. Das haben inzwischen viele verstanden. Eine beunruhigende Schau voller hervorragender Malerei.
Yes To All – Kupferstichkabinett
Love it. Arte Povera trifft Konzeptkunst trifft italienische Transavantguardia und die Kunst der Jungen Wilden. Die Schenkung der beiden ehemaligen Kölner Galeristen Paul Maenz und Gerd de Vries für das Kupferstichkabinett ist ein
wunderbarer Strom an Bildern.
200 der 900 geschenkten Werke werden hier der Öffentlichkeit präsentiert und die Sammlung der beiden „Schenker“ gewürdigt.
Yes To All
ist der Name der Ausstellung und versammelt Zeichnungen, Skizzen, druckgraphische Mappenwerke, Collagen, Poster, Briefe und Postkarten. In den Papierarbeiten von Robert Barry, Hanne Darboven, Hans Haacke oder Joseph Kosuth geht es um Schreibsysteme. Sie werden mit einer zeitgenössischen Arbeit von Saâdane Afif ergänzt. Ganz gewöhnliche Bilder von Hans Peter Feldmann oszillieren zwischen Trivialität und Hochkunst.
Ein wahrer Genuss.
MÜNCHEN
Cyprien Gaillard – Wassermusik
Was passiert, wenn man Skulpturen ihre Bedeutung entzieht? Was ist Skulptur überhaupt und wie kann ein Künstler mit Zeit arbeiten? In einer knappen halben Stunde konnte ich im Haus der Kunst versuchen diese Fragen zu ergründen.
In seinem erlebenswerten Film „Retinal Rivalry“zerlegt der Franzose Cyprien Gaillard seine Wahlheimat Deutschland, untersucht wie Bilder unser Leben diktieren.
Mal blicke ich durch die Augenhöhlen der Bavaria auf das Oktoberfest. Plötzlich bin ich in einem Glascontainer, um mich herum schwirren Fliegen. Da sind Müll, die Abwässer der Stadt und ich überlege kurz, ob ich eine schlaue Stadtratte bin, die allen Widrigkeiten zum Trotz lebt.
Plötzlich befinde ich mich in der sächsischen Schweiz. Alles ist grün und Wasser strömt, bringt Leben.
Film & mehr
Klingt verwirrend? Da lege ich noch einen drauf:
Das Ganze wirkt dank ausgefeilter Technik wie ein irrer Trip. Mit 120 Bildern pro Sekunde aufgenommen und mit derselben Geschwindigkeit projiziert. Fünfmal so schnell wie im Kino üblich.
So fängt der Künstler mehr Bilder ein, als das menschliche Auge natürlicherweise wahrnehmen kann.
Cool! UND unbedingt bis zum Ende anschauen.
Und wenn wir bei genau schauen sind: Auf der Treppe zum Ausstellungsraum finden sich Wasserflaschen und Ammonite. Über allem schwebt ein ziemlich zerbrechliches Deckenfenster und kleine Fotos aus Paris und den von Wasser bedrohten Seerosen von Monet.
Hinter dem kleinen Kinosaal geht es weiter. Dort finden sich Archivmaterialien, wie zwei alte Sofas aus dem ikonischen Club P1, der damals noch eine Disco war. Ganz wunderbar auch eine Marionette von Oskar Schlemmer und ein kleiner in sich zusammengerollter Buddha von Gaillard.
Ein nachhallender Besuch.
INFO
RE:IMAGINE. Der 7. Berliner Herbstsalon im Maxim Gorki Theater und Palais am Festungsgraben bis zum 30. November. Der Eintritt ist frei.
Am Festungsgraben 2, 10117 Berlin
Ruprecht von Kaufmann HERBST
Haus am Lützowplatz bis zum 4. Januar 2026
Lützowplatz 9, 10785 Berlin
Yes To All. Die Schenkung Paul Maenz Gerd de Vries
Kupferstichkabinett bis zum 11. Januar 2026
Kulturforum Johanna und Eduard Arnhold Platz (ehemals Mätthäikirchplatz) 9, 10785 Berlin
Kunst ist Julianes Ausgangspunk, oft ihr Ziel, manchmal einfach ein Vorwand um Menschen zu treffen, die etwas zu sagen haben und Themen zu vertiefen. Sie schreibt über das, was hängen bleibt - an Wänden, in Köpfen, im Gefühl. Sie lebt in Berlin, schaut gerne woanders hin - in Ausstellungen und auf ihren Reisen. Als Journalistin hat sie einen besonderen Blick für Worte, Zwischentöne und Kunst. Das Empfinden ist dabei subjektiv – das macht es spannend. Kunst ist vielfältig, je mehr man sieht, um so kritischer wird man als Betrachter. Seit 2019 schreibt sie regelmäßig für n-tv.de, veröffentlicht in anderen Publikationen ihre Betrachtungen und führt artist talks. Für unsere Blogbesucher bereitet Juliane alle sechs bis acht Wochen ihre Museums- und Galerien-Tipps frisch auf. Auf Instagram findet ihr sie unter jr.artynotes.