Yay! Der Kosmos von Yayoi Kusama in Berlin

Ihre Spiegelräume und Installationen ziehen magisch an. Jetzt zeigt der Gropius Bau in Berlin eine Retrospektive der großen japanischen Künstlerin. Ihre beiden neuesten, extra für das Museum gestalteten Werke, sind wunderbar und kraftvoll. Aber auch ihre Bilderwelt ist faszinierend. Was für eine spannende Ausstellung über Yayoi Kusama!

written by Gastautorin Juliane Rohr 6. Juni 2021

Sieben Jahrzehnte Kusama

Mega-Schau, Blockbuster, Superstar der zeitgenössischen Kunst. Ja, das alles stimmt wirklich. Yayoi Kusama füllt mit ihrer knallbunten poppigen Kunst kulturelle Institutionen oder Galerieräume und alle wollen hin! Lange Schlangen sind garantiert. Die Slot-Vergabe für eine Schau in der New Yorker Galerie David Zwirner läuft schon Wochen vor Beginn. In der Tate London, wo sie gerade zwei ihrer Infinity-Rooms zeigt, sind Tickets ausverkauft, ausverkauft und … also schwer zu bekommen.

Da in Berliner Museen die Tickets eine Woche im vorraus freigeschaltet werden, ist es hier nicht ganz so problematisch. Der genaue Zeitpunkt ist auf der Webseite des Gropius Baus zu finden. Eigentlich war die Kusama-Retrospektive im Gropius Bau schon für vergangenen September geplant. Doch die Pandemie hat die Organisation erschwert und die Ankunft von Leihgaben aus der ganzen Welt verzögert. Jetzt endlich und bis Mitte August ist ihr Kunst-Kosmos in Berlin zu Gast. Danach wandert die Schau nach Israel ins dortige Tel Aviv Museum of Art.

Schon die Bäume am Gropius Bau weisen den Weg zur Queen of Polka-dots

Bezaubernder Kosmos

Mit einem Zeitfensterticket geht es ganz bequem und mit viel Zeit in die wundersame Kusama-Welt. Denn Zeit braucht man. Die Ausstellung erstreckt sich über den gesamten ersten Stock, 300 Bilder aus 70 Jahren, vier Spiegelräume, diverse Objekte sind versammelt und wollen gesehen werden. Anhand der Kunst gehen die Besucher das Leben der japanichen Künstlerin chronologisch ab.

Wie wunderbar in Kusamas Gedankenuniversum einzutauchen. Jeder verläßt das Museum mit einem Lächeln im Gesicht –  und unzähligen Fotos auf dem Handy, schließlich ist alles so irre instagramable.

Pink-Love im Gropius Bau

Und es fängt schon mit einem knallpinken Spektakel an: Im Lichthof des Gebäudes ist A Bouquet of Love I saw in the Universe installiert. Riesige Tenatkel überzogen mit schwarzen Punkten streben zur Glaskuppel, umschlingen mich und verzaubern. Die heute 92jährige ist eine Meisterin der immersiven Illusion. Kunst, die einen komplett in andere, fiktive Welten eintauchen lässt.

Und das ohne den Computer mit besonderen Effekten zu bemühen, denn per Definition ist Immersion das Versinken in eine künstliche Umgebung und in vitruelle Realitäten. Diese riesigen Tentakel sind so real, scheinen irgendwie weiter zu wachsen und sind so irre taktil. Faszinierend ist auch der Blick von oben auf die Installation im Lichthof, wenn man die Ausstellung verlässt. Aber zunächst geht es die Treppe hoch in die Kusama-Retrospektive hinein.

Queen of Polka-dots

Schon als Kind hat Kusama ihre Zeichnungen mit Punkten überzogen. Sie leidet bis heute unter Halluzinationen und berichtet, dass sie die erste Erscheinung im Alter von zehn Jahren hatte. Als jüngstes von vier Kindern wuchs sie in Matsumoto auf. Schon ihre Großeltern hatten hier ein Geschäft für Samen gegründet. Die Liebe zu Pflanzen begleitet sie bis heute.

Das hätte eine glückliche Kindheit werden können, aber war es nicht. Für ihre Mutter musste sie dem Vater hinterher spionieren. Der schöne Mann hatte diverse Affären und sie überraschte ihn wohl mehrfach beim Sex. In ihrem Film Infinity sagt sie 2018, dass diese Zeit ihre Ablehnung, aber auch ihre Obession für den nackten Körper gleichermaßen befeuert hat.

Spiegelräume und Punkte in Perfektion, hier der Pumpkin Infinity Room für die Biennale in Venedig, 1993

Kunst als Heilung

Noch zu Schulzeiten wurde sie, wie damals üblich, von der Armee zwangsverpflichtet und musste Fallschirme nähen. Ihrer Mutter verspricht sie 1948 eine Schule für Etikette in Kyoto zu besuchen, wenn sie in dem Ort an der School of Arts and Crafts auch Kunst studieren kann. Die Etiketteschule hat sie nie betreten. Die Kunst hingegen wird für sie Heilung.

In ihrem Heimatort Matsumoto  hat sie schließlich 1952 auch ihre ersten beiden Einzelausstellungen, die Bilder hatte sie an Fäden befestigt und in dichten Reihen präsentiert. Einige der 200 Bilder sind nun im ersten Raum des Gropius Baus zu sehen.

Schon hier begegnen mir Wirbel und Punktemuster. Kusama setzt Abstraktion und Figuren gegeneinander. Die Aquarelle, Guachen und Ölgemälde könnten die Vorläufer ihrer später enstandenen Infinity Nets sein.

Immer wieder Kusama selbst

Der Weg als Künstlerin im männerdominierten Japan nach dem zweiten Weltkrieg und in der autokratischen Tenno-Kultur ist schwierig. Sie wollte Künstlerin sein und nicht, wie ihre Eltern es wollten, zur Ehe-, Hausfrau und Mutter werden.  Nach einem Briefwechsel mit Georgia O‘Keefe verließ sie Japan und zog nach New York.

So konnte sie den Traditionen ihrer Heimat entfliehen und sich ganz der Kunst verschreiben. Sie war arm, hatte Probleme mit ihren Visa, aber lernte Künstlerkollegen wie Donald Judd kennen, der damals noch Kritiker war und sie sehr unterstützte.

Herrliche Zeitreise

Die zierliche Japanerin inszenierte sich stets selbst. In allen ihren späteren Schauen, wie jetzt im Gropius Bau, ist sie immer auch selbst auf großen Foto-Installationen zu sehen. So auch in ihrem ersten immersiven Erlebnisraum, der Aggregation: One Thousand Boats Show. Das war 1963 in der New Yorker Getrude Stein Gallery.

In der Berliner Retrospektive sind übrigens acht ihrer Ausstellungen nachgebaut und so begebe ich mich auf eine herrliche Zeitreise.

Das Boot hatte sie auf schwarzen Plakaten reproduzieren lassen und wie eine Tapete an die Wände geklebt. Sie selbst setzte sich nackt in das mit Stoffphalli übersäte Boot. So wollte sie dem Publikum zeigen, dass es mit dem eigenen Körper in ihre Welt eintauchen kann, wenn auch angezogen.

Heute fordert sie ihre Fans auf, sich mit ihrer Kunst zu fotografieren und das dann ins weltweite Netz zu jagen. Was für ein gelungenes Marketing. Interessant dass die 92jährige Künstlerin bis heute sich dem Digitalen als Material für Kunstwerke verweigert.

Erste Spiegelräume

Das Boot gilt als Inspirationsquelle für Claes Oldenburg. In einem Film über sie berichtet sie, dass die Frau des Künstlers ihr später gesagt haben soll, dass es ihr leid tue, dass ihr Mann nun auch Stoff-Skulpturen machte. Künstler verkauften Kunstwerke schon damals besser als Künstlerinnen. Erst so langsam verändert sich das. Nun gut, das ist ein anderes Thema….

Auch die Tapete tauchte später wieder auf: bei Andy Warhol. Wie auch immer! Keine zwei Jahre später schuf sie ihren ersten Infinity Room mit Spiegeln. Eigentlich eine logische Schlussfolgerung ihrer Infinity Net Paintings, an denen sie seit ihrer Ankunft in New York wie besessen arbeitet.

Yayoi Kusama hat Kunstgeschichte geschrieben,

sagt Stephanie Rosenthal, die Direktorin des Gropius Baus. Sie hat die Ausstellung kuratiert und einen sehr empfehlenswerten Katalog produziert. Immer wieder eignen sich andere Künstler ihre Ideen an. Auch der erste Spiegelraum wird wenige Wochen später kopiert.

Erfolg in Europa

Yayoi Kusama beginnt mit ihrer Kunst auch in Europa Erfolg zu haben. In Mailand, Essen, Gelsenkirchen, Den Haag, Bern und Stockholm erregt sie mit ihren Accumulations, immersiven Räumen und Malereien Aufsehen. Ist in Gruppen-Ausstellungen mit der Zero-Bewegung zu sehen, die sich für visuelle Illusion interssieren. Die sie in Perfektion beherrscht.

Installationsansicht der Driving Image Show in der Essener Galerie M.E. Thelen, 1966

Nackt-Happenings

Inzwischen überzieht sie alles mit Punkten, sogar ihren eigenen Körper oder den von anderen. Sie sieht das als Selbstauflösung und das könnte als Vorbote der heutigen Selfie-Kultur verstanden werden. Sie provoziert mit Nackt-Happenings, bei denen sie selbst angezogen bleibt und eher als Regisseurin agiert.

Sie bemalt Menschen mit Punkten, demonstriert  damit für Geschlechtergleichheit, Frieden, Liebe und Freiheit. Damit erforscht sie die Grenze zwischen Kunst und Leben. Und benutzt auch die Macht der Bilder, die sich damals wie heute rasant verbreiten, was Kusama wiederum fasziniert.

Auf der Biennale in Venedig schafft sie 1966 aus 1500 silbernen Kugeln ein Spiegelfeld, auf dem Rasen vor dem italienischen Pavillion. Lucio Fontana hatte ihr diesen Scoop verschafft, der jedoch ein kurzes Gastspiel bleibt. Die reflektierenden Kugeln verkaufte sie für zwei Dollar pro Stück. Was ihr nach ein paar Tagen von der Biennaleleitung verboten wird. 1993 erhält sie schließlich eine offizielle Einladung nach Venedig  und darf den japanischen Pavillon als erste Künstlerin alleine bespielen.

Wirkt auch noch heute hypnotisierend: Peep-Show or Endless Love Show für die Castellane Gallery, New York, 1966

Rückkehr nach Japan

Ihr Gesundheitszustand ist nie stabil, sie versucht sich umzubringen, ist in den USA immer wieder in Behandlung.  1973 schließlich kehrt sie dauerhaft nach Japan zurück. Auch in dem Glauben, dass die Welt dort friedlicher und interessanter sei. Allerdings wird sie nach ihren nackten Performances der späten 60er Jahre gemieden. Ihre Halluzinationen und Zusammenbrüche holen sie auch hier immer öfter ein und 1977 liefert sie sich in eine psychatrische Klinik in Tokio ein, wo sie bis heute lebt. Täglich geht sie in das fussläufig gelegene Atelier.

Einige Zeit wird es sehr still um Yayoi Kusama, wunderbare Collagen entstehen. Es geht um Wiederholung, Fragmentierung und Obssession, aber auch Tod und Krieg finden sich in den nun entstandenen Collagen. Erst zehn Jahre nach ihrer Rückkehr nach Japan realisiert die Künstlerin mit Encounter of Souls wieder eine Ausstellung. Alles in dem Kulturzentrum Jardin de Luseine in Tokio wird zur Kunst.

Kusama forderte ihr Publikum auf: „Werden sie eins mit der Ewigkeit. Löschen Sie ihre Persönlichkeit aus. Werden Sie Teil ihrer Umgebung. Vergessen sie sich selbst.“

Alles wird zur Kunst: Regale, Teekessel, Tische – und immer mittendrin Yayoi Kusama

Superstar Kusama

Spätestens seit ihrem Auftritt bei der Biennale in Venedig 1993 scheint die japanische Künstlerin mit der Idee der Unendlichkeit alle Welt zu faszinieren. Sie gehört zu den berühmtesten, zeitgenössischen Künstlerinnen der Welt. Wird von Mega-Galerien wie David Zwirner in New York oder Victoria Miro in London vertreten. Ihre Kunstwerke erzielen bei Auktionen Millionenpreise. Ihre stetig wachsende Fangemeinde beglückt sie seit 20017 sogar mit edem Yayoi Kusama Museum in Tokio. Sie hat eine eigene Modelinie gehabt, Taschen für Louis Vuitton entworfen, hat eine tolle Biografie (Infinity Net, Piet Meyer Verlag) geschrieben und möchte, dass sich alle mit ihrer Kunst verbinden – ins Unendliche entgleiten.

INFO-Teil

Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin

Yayaoi Kusama, Retrospektive 

  • bis zum 15. August
  • Di bis So von 9 bis 21 Uhr geöffnet
  • Die Tickets werden momentan für die kommende Woche freigegeben. Bitte Webseite checken
  • Bitte auf der Webseite über die AHA-Regeln, Test etc. informieren.

Wer es nicht nach Berlin schafft kann sich hier den Film anschauen, den beeindruckenden Katalog oder ihre Autobiografie kaufen.

Preis inkl. MwSt., zzgl. ggf. Versandkosten. Zuletzt aktualisiert am 18. März 2025 um 23:36 Uhr. Wir weisen darauf hin, dass sich hier angezeigte Preise inzwischen geändert haben können. Alle Angaben ohne Gewähr.
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Noch mehr über den Gropius Bau? Für unsere Serie Kunst kocht, oder besser Kunst und Kulinarik haben wir unsere Gedanken zum Gropius Bau ausgetauscht. Zum Blogbeitrag geht es hier und das Rezept mit isländischen Kartoffeln ist SEHR empfehlenswert.

Wer noch mehr über Yayoi Kusama erfahren möchte, dem lege ich meinen Artikel für n-tv.de ans Herz.

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