Ein Prolog zum Fuchs
Wie ein Fuchs in der Kunst umherstreifen, sich treiben lassen, auf ein Werk starren, in den Dialog treten, um dann weiterzuziehen. Von „foxing around“ spricht Kuratorin Zasha Colah. Die Begegnung mit einem Fuchs mitten in Berlin hat Colah zu ihrem Motto für diese Berlin Biennale inspiriert:
„das flüchtige weitergeben“.
Es gilt 170 Arbeiten von 60 internationalen KünstlerInnen, oft wenig bekannten, an vier verschiedenen Orten zu erkunden. Allen gemeinsam ist, dass sie unter widrigen Umständen, also in Haft oder mit Zensur im Land ihre Kunstwerke schaffen. Viele kommen aus Asien, besonders oft aus Myanmar oder Argentinien. Colah möchte, dass man die Werke ohne Vorwissen betrachtet. Getrau dem Motto: Schau jetzt, frag chatGPT später.
Die verschiedenen Kunstpunkte der 13. Ausgabe liegen nicht weit voneinander entfernt, sind gut zu Fuß erreichbar. Und wieder sind wir beim Fuchs, denn das Tier lebt inzwischen allzugern im städtischen Raum. Hier, wie in der freien Natur, bewegt es sich in fest umrissenen Gebieten, den sogenannten Fuchskreisen. Kuratorin Zasha Colah hatte bei ihrer Suche nach Ausstellungsorten diesen Fuchskreis fest im Blick gehabt.
Übrigens macht es großen Spaß nach Füchsen in den auf der Biennale gezeigten Werken zu suchen.
Warum eine Biennale in Berlin?
Bevor Sie los ziehen in die Biennale-Kunst, noch eine kurze Einordnung:
Die Idee zu einer Biennale in Berlin kam 1996 auf unter anderem von Klaus Biesenbach, der fünf Jahre zuvor die KW Institute for Contemporary Art gegründet hatte. So sollte eine neue Plattform für junge, internationale Kunst etabliert werden. Damals gab es keine Biennale in einer Großstadt. Berlin war zu diesem Zeitpunkt „the place to be“ für zeitgenössische Kunst.
Die Berliner Biennale versteht sich bis heute als Experimentierfeld und spiegelt im besten Fall, wo die aktuelle zeitgenössische Kunstszene gerade so steht.
Von Beginn an will die Berlin Biennale
eine „glokale“ Veranstaltung sein
also global und lokal zugleich. Die künstlerischen und kuratorischen Positionen artikulieren Themen und Strömungen, die zum jeweiligen Zeitpunkt international spürbar und bedeutsam sind. Vernetzung sowie zeitgenössische Diskurse rücken in den Fokus.
Dem Publikum begegnet immer viel Neues, das macht den Besuch so spannend. Mir persönlich machen Biennale-Spaziergänge in der Regel wesentlich mehr Spaß als Messebesuche. Auch, weil das Gesehene nachhallt und sich im Kopf verankert.
Jetzt aber: los geht`s mit diesem Horizont öffnenden „foxing around“.
1. KW Institute for Contemporary Art
Kunst bis unters Dach
Die Keimzelle der Berlin Biennale und immer d e r klassische Ausstellungsort für den Start eines Rundgangs ist das KW, wie die Institution in Kurzform heißt. Das Gebäude ist bis unters Dach mit Skulpturen, Videoarbeiten, Installationen und Performances gefüllt.
„foxing“ ist das übergeordnete inhaltliche Motto.
In zwei gegenübergestellten und bedrückenden Videoarbeiten von Htein Lin sowie Chaw Ei Thein begegnet mir die erratische Energie einer Fliege. Die dazu gehängten zarten Pflanzenzeichnungen lohnen den genauen Blick. Hier findet sich ein Bild von Hannah Höch aus ihremBerliner Garten in Tegel, dort versteckte sie sich vor den Nazis. Daneben sehe ich rätselhafte Gewächse aus fernen (kolonialisierten) Inseln wie Grenada. Die heilende Natur ist nah.
Viele Treppen, ein Riesen-BH und Joker
Die italienische Künstlerin Margherita Moscardini hat eine Steintreppe aus staatenlosen Steinen gebaut und als begehbare Skulptur in das Erdgeschoß gebeamt. Das passt, denn Treppen gehe ich im vierstöckigen KW jede Menge.
Han Bing stammt aus China und geht mit einem Kohlkopf spazieren. Eine lohnenswerte Performance. Die Künstlerin Mila Panic wuchs in Bosnien auf und lädt im Keller der KW unterschiedliche Akteure zum Stand-up-Comedy-Club. Sicher einen Besuch wert!
Panties for Peace fordert ein Burmesisches Kollektiv und Kiki Roca aus Argentinien ist mit einem Riesen-BH zu Gast. Unterm Dach schwurbelt Joker aka Sawangwongse Yawnghwe (aus Burma/Myanmar) vor sich hin und will die Weltherrschaft übernehmen. Ach, ein Fuchs findet sich als hübsche kleine Keramik von Gernot Wieland (Österreich) in einer amüsanten Familienaufstellung.
Kunst als Therapie
Voller Fragen lässt mich die hölzerne Telefonbox gleich rechts im KW-Garten zurück. Hier lädt Bwanga „Benny Blow“ Kapumpa zur Telefon-Therapie mittels Künstlicher Intelligenz. Ein Arzt gibt via KI-generierter Stimme live aus Sambia Tipps. Ob der Rat mir einen Tee einzuschenken wohl in dieser unruhigen Zeit hilft? Für Kapumpa sind die Berliner Füchse übrigens die Geister, die ihre Nachfahren besuchen und ihnen wichtiges mitteilen wollen.
Ironie und Humor blitzen auf,
obwohl die gezeigte Kunst voller Konfliktpotential steckt. Politische Themen werden dank Zasha Colah und ihrer geschickten Auswahl verständlich. Es geht um Schicksale und lohnt sehr die Ausstellungstexte zu lesen.
Ukraine, Israel, Gaza stehen tauchen nicht auf, vielmehr begegnen einem Orte, die nicht die alltäglichen Schlagzeilen beherrschen. Pointiert und klug kommt die Biennale der Inderin Colah und ihrer argentinischen Co-Kuratorin Valentina Viviani daher.
2. Sophiensäle
Berlins Kopie
Ein paar Minuten zu Fuss geht es durch die Auguststrasse vorbei an kleinen Boutiquen, Galerien und Restaurants in die Sophiensäle. Eher übersichtlich ist der von den Biennale-KünstlerInnen bespielte Raum im Hof der Sophienstraße. Aber er hat es in sich. Die Kunst, die mir jetzt begegnet, ist als „Blauplause Berlins“ überschrieben. Der geschichtsträchtige Ort ist denkmalgeschützt, strahlt Verletzlichkeit aus. Bis heute lässt sich an den sich an den 100 Jahre alten Mauern die wechselvolle Berliner Geschichte ablesen.
Ich treffe Kunst von Amol K Patil wieder.
Der aus Mumbai stammende Künstler hat sich mit den Anfangsjahren des Ortes auseinandergesetzt.
Ab 1905 residierte in dem Haus hinter dem Doppeltorbogen der Berliner Handwerksverein. Es gab Schulungsräume, eine Bibliothek und sogar ein Restaurant.
Später war es ein Treffpunkt für Kommunisten, Friedensaktivisten und Frauenrechtlerinnen. Unter den Nazis mussten hier russische Zwangsarbeiterinnen NS-Propagandamaterial herstellen. In den 50er Jahren wurde das Haus Werk- und Lagerstätte für das Maxim-Gorki-Theater. Inzwischen ist es Spielstätte für die freie Tanz- und Theaterszene.

Bei der Pressekonferenz waren fast alle KünstlerInnen im Tanzsaal der Sophiensäle dabei. Die kleine Zeichnung links ist von Amol K Patil.
Brennende Reden
Aber zurück zur Biennale.
Patil ist mir erstmals auf der letzten documenta aufgefallen. Seine Kunst war mein absolutes Highlight auf der Weltkunstschau in Kassel. In diesem Raum kombiniert er erneut verschiedene Medien – Video, Skulptur und Malerei – miteinander. Besonders amüsant ist ein Radio, in dem aufpeitschende Reden abgespielt werden und dann
piff-paff-puff in Rauch aufgehen.
Noch mehr zu hören gibt es in einer 6-Kanal-Audioinstallation von Luzie Meyer. Die aus Tübingen stammende Künstlerin beschäftigt sich mit der Frage: Welche Rolle Kunst und Kultur in einer von lokalen und globalen Krisen erschütterten Stadt spielen?
Und Daniel Gustav Cramer vermischt den Berliner Fuchs mit einem kalifornischen Kojoten in unseren Köpfen zu einer Skulptur. Da ist er also wieder, der rötliche Wildhund!

Drei Mal Kunst von Patil und der Kojote von Cramer..
3. Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart
Kleine Andachtsaltäre
„Sich bewegende Massen und das Gewissen der Kunst“ ist die Klammer für den Biennaleteil im Westflügel des Hamburger Bahnhofs. Großformatige Malerei von Vikrant Bhise aus Indien erzählt davon, dass in der Megametropole Mumbai der Zugang zu Wasser stark eingeschränkt ist.
Kleine Andachtsaltäre, sogenannte Retablos, des argentinischen Künstlers Gabriel Alarcon machen sich über koloniale Unterdrückung lustig. Und dann das:
Technisch hochgerüstet kommt der Raum dahinter daher.
Dort sind poetische Videos der koranischen Künstleroin Jane Jin Kaisen zu erleben.
Und was ist mit dem Fuchs? Der findet sich mit Kreide auf schwarze Wände gemalt. In der Geschichte von Larissa Araz (Türkei) ist er ein kurdischer Rotfuchs und wird zum Flüchtenden, der den Menschen ausweicht.
Ganz anders als die Berliner Stadtfüchse, die gelassen unseren neugierigen Blicken stand halten, ehe sie weiterziehen.
4. Ehemaliges Gerichtsgebäude – Lehrter Straße
Ungehindert Denken
Das Gegengift zu den gegenwärtigen Krisen ist laut dieser Biennale eindeutig auch Humor. Denken lässt sich nicht einschränken von den toxischen Systemen unserer Zeit.
Das übergreifende Thema im letzten Kunstort, dem ehemaligen Gerichtsgebäude, ist allerdings komplexer:
„Legalität, Illegalität und der Anspruch der Kunst.
Dieser Ort weckt in mir eher Beklemmung als Leichtigkeit oder gar ein Lächeln. Zumal hier von 1889 – 1990 eine Militär-Arrestanstalt war. Und nach dem zweiten Weltkrieg als Durchgangslager für Flüchtlinge genutzt wurde. Dieses Wissen setzt mein Kopfkino unweigerlich in Gang.
Das Haus hat viele kleine Räume und sehr viel Patina. Typisch Berlin und zugleich in seiner welkenden Schönheit faszinierend. Teilweise sind Vorbereitungen für die anstehende Renovierung sichtbar, hier sollen auch Künstlerateliers entstehen. Na, mal sehen. Seit 2012 jedenfalls steht das ehemalige Gerichtsgebäude leer. Jetzt ist es erstmals wieder öffentlich zugänglich.
Das Raumgefüge ist kafkaesk, man taucht in eine andere Welt ein.
Der Prozess gegen Karl Liebknecht fand übrigens hier statt und so macht es doppelt Sinn, das der Politiker mir prompt in einer Arbeit der Italienerin Anna Scalzi Eghenter begegnet. Durch den Boden schaue ich in das darunterliegende Archiv des Hauses. Da stapeln sich Dias aus einem anderen Deutschland in ferner Zeit – und vermutlich Akten und viel, viel Staub.
Alles verschmilzt
Die Wahrnehmung von Zeit und Raum wird gestört, wenn ich der tanzenden Padimi Chettur aus Großbritannien in ihrer 3-Kanal-Videoinstallation zuschaue. Der Kanadier Stacy Douglas konfrontiert mich in seiner Videoarbeit schließlich mit Franz Kafkas ikonischem Werk „Der Prozess“. Hier wie im Buch blitzt sie auf, die Undurchsichtigkeit und Absurdität der Kafkas Protagonist ausgesetzt ist.
Besonders berührt hat mich jedoch die Arbeit von Htein Lin. Der Künstler und ehemalige Jurastudent saß mehrere Jahre in Myanmar in Haft. Schnell bemerkte er, dass Laken ungehindert aus Gefängniszellen hinein- und hinaus gelangen. Er benutzt diese Baumwollstoffe, bearbeitet sie mit Feuerzeugen, hat sie mit Seifenblöcken bedruckt und bemalt sie im im Guernica-Stil.
Diese Gefängnisgemälde sind stumme Zeugen seiner Zeit hinter Gittern. Seine Kunst verbindet sich geradezu perfekt mit diesem verlorenen Ort mitten in Berlin. Ein Must-see!
Funfakt
Ein weiterer arty-Fox ist mir auf meinem Streifzug in dem so besonders aufgeladenen Backsteinbau nicht begegnet.
Vielleicht war ich auch zu konzentriert unterwegs – in diesem für mich spannendsten und dichtesten Teil der Biennale? Ich muss mich wohl irgendwann im Sommer nochmal auf die Suche begeben.
Liebe Natali, vielleicht kommst Du mit?

Infos
Alles zur 13. Berlin Biennale findet sich hier
Das Ticket kostet für alle Ausstellungsorte 16 € und berechtigt zum einmaligen Eintritt aller Ausstellungsorte für die gesamte Laufzeit bis zum 14. September.
KW – Auguststraße 69 (Dienstags geschlossen)
Sophiensäle – Sophienstraße 18 (Dienstags geschlossen)
Hamburger Bahnhof – Invalidenstraße 50 (Montags geschlossen)
Ehemaliges Gerichtsgebäude – Lehrter Straße 60 (Dienstags geschlossen)