Mit Volldampf nach Chemnitz

Chemnitz zeigt wie kreativ Wandel sein kann. Kunst findet sich in der derzeitigen Kulturhauptstadt Europas nicht nur in Museen, sondern auch im Umland auf dem Purple Path. Hier unsere Highlights für drei angefüllte Tage am Rand des Erzgebirges.

written by Gastautorin Juliane Rohr 16. August 2025

1. Kurze Einordnung: Kulturhauptstadt Chemnitz 2025

Zur Kulturhauptstadt Europas werden Städte von der Europäischen Union ausgewählt. Ein Jahr lang rücken diese Orte dann kulturelles Leben und Entwicklungsperspektiven in den Fokus. Chemnitz nutzt dies 2025, um seine besondere industrielle Vergangenheit mit moderner Kunst und Gemeinschaftsprojekten zu verbinden. Kurz:

Eine alte Kulturlandschaft wird mit Volldampf neu aufgeladen.

 

C the Unseen

ist das Motto. Chemnitz liegt zwischen Dresden und Leipzig. Wird in punkto Reiseziel in Sachsen eher stiefmütterlich behandelt. Völlig zu Unrecht. Auf nach Chemnitz!

Jetzt zeigt die Stadt zudem wie kultureller Wandel eine ganze Region neu beleben kann.

Ein Beispiel ist das Projekt #3000Garagen, bei dem ehemalige DDR-Garagenhöfe zum kreativen Freiraum werden.

Garagen?

Ja, in Chemnitz gibt es ca. 30 000 Garagenhäuschen, die zu DDR-Zeiten oft in Eiegnregie gebaut wurden. Sie sind nicht nur Stellplatz und Lagerraum, sondern auch Treffpunkt für Nachbarn. Im Garagenprojekt werden die kleinen Depots zu Ateliers, Ausstellungsräumen oder Bühnen.

Jede Garage erzählt ihre eigene Geschichte.

So wird dieser alltägliche Mikrokosmos zu einem neuen kreativen Kraftort. Ich habe es noch nicht geschafft die Garagenprojekte zu besuchen. Allerdings habe ich mehrfach gehört, dass dort interessante Dinge entstehen und gezeigt werden.

Meine Garagenfotos aus dem Jahr 2019 sind verloren gegangen, daher hier eine kleine Auswahl aus dem wwweb…

2. Der Purple Path: Chemnitz Kulturhauptstadt

ist noch so ein gelungenes Beispiel, was die Marke Kulturhauptstadt bewirken kann. Der „Purple Path“ ist ein Kunst- und Skulpturenwanderweg, der Chemnitz mit über 30 umliegenden Kommunen verbindet. Internationale Künstlerinnen und Künstler kreiern für den Pfad Installationen und Skulpturen im öffentlichen Raum.

Sie sind in der Regel 24/7 zu erleben, erfahren, zu sehen…

Kunst trifft Natur

Der britische Bildhauer Sean Scully hat in Schneeberg riesige Bronzemünzen gestapelt. Die in Berlin lebende Installationsmeisterin Nevin Aladağ lässt ihre Strumpfgebilde über einem Teich leuchten. Ein schnöder Fussgängertunnel im Bahnhof von Flöha bekommt dank Tanja Rochelmeyer einen wunderbaren Farb-Boost.

In dem Bahnhof ist übrigens eine großartige Ausstellung zum Thema „Verstrickungen: Zur Rolle der Textilien in Kunst und Gesellschaft“ zu sehen. Das im Rahmen der Kulturhauptstadt.

Toll – unter anderen mit Rosemarie Trockel, Hermann Glöckner, Reinhard Mucha und Käthe Kollwitz.

Alle sind aktiviert

Die Menschen vor Ort werden gerne eingebunden. Die Verbindung zwischen Chemnitz und der Region drumherum wird weit über die Kulturhauptstadt gestärkt. Der Tourismus angekurbelt und ich habe in einer Scheune eine kurze Lunch-Pause eingelegt.

Leiko Ikemuras bronzene Häsin ist mir ebenso begegnet, wie das poolfarbene Banken-Wirrwarr von Jeppe Hein. Immer wieder gute Laune machend. Und wie schön, dass die Anwohner des Ortes Jahnsdorf  eine augenzwinkernde Installation hinzugefügt haben.

Riesige Keramiken von Uli Aigner sind in Lößnitz fussläufig von einer wunderbaren Installationen von Rebecca Horn zu sehen. „The Universe in a Pearl“ ist in der Hospitalkirche St. Georg so herrlich kontemplativ. Ich hätte Stunden das Treiben um die Spiegel bestaunen können.

Das sind nur einige der besonderen Kunstwerke, die oft ortsspezifisch entstanden.

Gekommen um zu blieben

Der Berliner Ausstellungsmacher und Kurator Alexander Ochs hatte die Idee und den Zuschlag bekommen. Er lebt inzwischen in Chemnitz und kümmert sich voll und ganz um sein großartiges Projekt. Er verbindet Kunst sehr gekonnt mit Natur und den

38 speziellen Orten rund um Chemnitz.

Ach, in der Stadt selbst sind bereits elf Kunstwerke „versteckt“. Ein guter Startpunkt. Ich hätte gerne sämtliche Purple Path-Standorte besucht, allein die Zeit fehlte. Aber das Gute: der Purple Path ist dauerhaft angelegt, so bleibt noch massig Zeit.

Habe ich schon erwähnt, dass Chemnitz selbst in Sachen Kunst unbedingt eine Reise wert ist?

Sie brauchen noch mehr Gründe für ihre Kunstreise? Bitte schön:

3. Kunst in Chemnitz

Chemnitz galt als „Manchester Deutschlands“, die rasante Industrialisierung bescherte der Stadt im 19. Jahrhundert Reichtum, der auch in der Kunst deutliche Spuren hinterließ.

Kunstsammlungen Chemnitz

Es ist etwas verwirrend: Die Kunstsammlungen sind die Name unter dessen Dach sich unter anderem das Museum am Theaterplatz, die Villa Esche, die Henry-van-de-Velde-Museum, das Rottluff-Haus oder die Sammlung Gunzenhauser versammeln.

Nun also als Tipp für Museen aka Kunst und so:

Das Museum am Theaterplatz

Es ist das Hauptgebäude der Kunstsammlungen Chemnitz und wird mit einem vielseitigen Programm bespielt.

Kunst des 19. Jahrhunderts trifft auf zeitgenössischen Kunst.

Die ständige Sammlung umfasst Werke des deutschen Impressionismus, Expressionismus sowie bedeutende Positionen der Klassischen Moderne. Zudem widmet sich das Museum intensiv der Kunst in der DDR, insbesondere mit Malerei und Grafik aus Sachsen. Wechselnde Sonderausstellungen greifen gegenwärtige Perspektiven auf oder setzen historische Themen in neuen Kontext.

Design, Fotografie und textile Kunst finden ebenfalls regelmäßig ihren Platz – passend zur Industrie- und Textilgeschichte der Stadt. Dazu später mehr.

Sammlung Gunzenhauser

Hach, dieses rote Treppenhaus. Ich liebe dieses kompakte Haus aus den 30er Jahren, dessen flammende Kaskadentreppe direkt in den Kunsthimmel führt: zu Otto Dix, Gabriele Münter, Alexej von Jawlensky und vielen mehr.

Hier „wohnt“ eine der weltweit größten Dix-Sammlungen.

Denn das Museum besitzt 2.400 Werke der Klassischen Moderne und Nachkriegsmoderne. Hauptwerke aus dieser beeindruckenden Sammlung werden immer wieder mit wechselnden Ausstellungen neu kombiniert. Dabei spielt zeitgenössischen Kunst eine Rolle. Zudem verschmilzt die Kunst sanft mit der Architektur und immer neuen Blickachsen in die Stadt.

Kunst & Architektur

Gestiftet hat sie der Münchner Galeristen Alfred Gunzenhauser. Er hat jahrzehntelang all diese bedeutenden Kunstwerke gesammelt und 2003 Chemnitz sein Lebenswerk anvertraut.

Nun findet sich seine Sammlung in einem beeindruckenden Bauhaus-inspirierten Bankgebäude der 1920er-Jahre. Es wurde für das Gunzenhauser‘sche Konvolut aufwändig saniert und 2007 als Museum eröffnet – mitsamt dieser so herrlichen rot leuchtenden Treppe.

Villa Esche

Ein Geheimtipp für Design- und Architekturfans. Die Villa Esche ist ein Gesamtkunstwerk des Jugendstils, entworfen vom belgischen Gestalter Henry van de Velde. Möbel, Textilien, Räume: Alles wurde für die Textilunternehmer Herbert Eugen Esche aus einem Guss gestaltet. Heute kann man die stilvollen Innenräume besichtigen und  den eleganten Charme der Jahrhundertwende auf sich wirken lassen.

Auch lohnend: Das Restaurant Villa Esche, direkt in der Remise neben der Villa.

Die Fotos entstanden bei meinem Besuch 2019…

Karl Schmidt-Rottluff Haus

Leider habe ich es bei meinem letzten Besuch im Mai nicht geschafft – der Purple Path hatte Vorrang. Aber es steht ganz oben auf meiner Chemnitz-Liste: Das Schmidt-Rottluff-Haus.

Das Museum ist auch ein Erinnerungsort an den expressionistischen Maler Karl Schmidt-Rottluff. Er wurde1884 in Chemnitz geboren und war später Mitbegründer der ikonischen Künstlergruppe „Brücke“.

Zusammen mit der benachbarten Wohnmühle, in der Karl Schmidt-Rottluff seine Kindheit verbrachte, soll das Ensemble

zum Expressionismus-Hotspot in Chemnitz avancieren.

Beide Gebäude liegen an der Limbacher Straße 380/382.

Als ein »Ort des Aufbruchs« zählt das Gebäude nun zu den Interventionsflächen der europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz 2025. Es wurde im April eröffnet.

Im Programm: wechselnde Ausstellungen, Vermittlungsangebote und Archivmaterialien. Ich bleibe dran.

Mein überraschendes Must-See

Eine unerwartete Empfehlung im Blog: Das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz – kurz smac.

Archäologie findet hier in meinem Teil nur selten seinen Platz.

Dieses Museum ist so was von großartig,

nichts wie hin!

Untergebracht ist es im ehemaligen Kaufhaus Schocken, einem bedeutenden Bau der Moderne von Erich Mendelsohn, gebaut 1927–1930, im Auftrag des jüdischen Kaufhausunternehmer Salman Schocken. Es wurde zu einem der modernsten Warenhäuser seiner Zeit. Auch heute ist es ein Meilenstein der expressionistischen Architektur. Nach der Enteignung Schockens durch die Nationalsozialisten fristete der Bau jahrzehntelang ein Schattendasein. Gott sei Dank, denn es blieb erhalten.

Sachsen schwebt

Der bewegten Vergangenheit des Hauses und der von Schocken konnte ich sehr gut nachspüren (siehe Foto oben).

Im Bauch des Hauses wird die beeindruckende Architektur zur Bühne für 300 000 Jahre Menschheitsgeschichte. Dieses Museum ein sehr moderner Ort, wenngleich schon zehn Jahre alt. Hier wird gezeigt was archäologische Kulturvermittlung sein kann – dank seiner multimedialen Dauer- und wechselnden Sonderausstellungen, die einen starken regionalen Fokus haben. Zugleich ist ein Ort der Erinnerung an die wechselvolle Geschichte Deutschlands und des Hauses.

Besonderes Highlight: Im zentralen Treppenhaus des Museums schwebt ein über drei Etagen reichendes, transparentes Landschaftsmodell von Sachsen.

Zu jeder halben Stunde wird es aktivert.

Durch das Gebäude gleitend visualisiert es die geografische Struktur des Bundeslandes. Leuchtsysteme machen auf Knopfdruck archäologische Fundorte, Siedlungsräume, Handelswege oder andere historische Themen sichtbar.

Sehr beeindruckend.

Das Café und Bistro JULIUS IM SCHOCKEN ist unbedingt eine Pause wert.

Zur Eröffnung haben die Chemnitzer dem Lokal übrigens Teller gespendet. Was für eine bezaubernde Idee, die voller Geschichten steckt und den ein oder anderen Chemnitzer an das smac bindet.

Industriemuseum

Und wie viel Geschichte steckt in einer Werkzeugmaschine? Das Industriemuseum Chemnitz gibt Antworten mit einer Ausstellung, die Technik in Beziehung zu Menschen, Orten und Entwicklungen setzt. Die

Industriegeschichte Sachsens wird hier greifbar.

Sie startet im Takt der Textilmaschinen und geht bis zur Digitalisierung der Arbeit.

In einer alten Gießereihalle trifft man auf riesige Dampfmaschinen, Roboter, Autos und  Zeitzeugenberichte.

Ebenfalls auf meiner To-Do-Liste!

Foto-Mischung aus einer Weberei, Chemnitz war immerhin Textilhochburg, und eine kleine www-Ansammlung als Screenshot des Industriemuseums

Last but not least

Ach, ja und dann sind da noch d e r Daniel-Buren-Schornstein und d i e Marx-Skulptur.

Ein Kopf…

Der sowjetische Bildhauer Lew Kerbel hat das gigantische Karl-Marx-Monument geschaffen. Es steht mitten in der Stadt, irgendwie aus der Zeit gefallen und ganz nah beim smac. Im Volksmund wird die gut sieben Meter hohe Bronzeskulptur liebevoll Nischel (Kopf) genannt. Seit 1971 schaut er dort auf den vorüberziehenden Verkehr, die Fussgänger und ist ein beliebtes Fotomotiv.

Funfact: Karl Marx war nie in Chemnitz.

Dennoch wurde die Stadt am 10. Mai 1953 nach Willen der DDR-Staatspartei SED in Karl-Marx-Stadt umbenannt. Da Chemnitz von Industrie und Arbeit geprägt war, schien den politischen Entscheidungsträgern der neue Name ein logischer Schritt zu sein.

Im Juni 1990 – nach der Wiedervereinigung – wurde nach 37 Jahren das Rad zurückgedreht. Die Mehrheit der Chemnitzer wollten das so. Chemnitz hier also wieder Chemnitz.

… und ein Schornstein

Wesentlich höher als der Nischel, nämlich 302 Meter, ist der Schornstein des Heizkraftwerks Chemnitz-Nord. 2013 transformierte der französische Konzeptkünstler Daniel Buren die eigentlich eher faden, aber überall gut sichtbare Esse zum wahrscheinlich höchsten Kunstwerk der Welt.

Mit sieben farbigen Segmenten gehört das bunte Bauwerk längst fest zur Chemnitzer Silhouette. So wie der Nischel hat auch er

einen Spitznamen: nämlich Buntstift.

In der Dämmerung werden die Farben mit 168 LED-Lampen beleuchtet, was die Farbwirkung nochmal verstärkt. Herrlich. Ich habe dieses Ding mit Fernsehtürmen, nun also auch mit Fabrikschloten.

Infos

Alles zur Kulturhauptstadt Chemnitz 2025

Purple Path bitte hier

Schlafen

Schlosshotel Klaffenbach, Super 8 by Wyndham, Alexxanders oder das Hotel an der Oper in der Mitte der Stadt.

Und natürlich die Portale des eigenen Vertrauens.

Essen

Kellerhaus in einem der ältesten Häuser der Stadt am Schlossberg, Speisekammer oder An der Schlossmühle.

Restaurant & Lounge Opera (in dem Hotel an der Oper), Sidorenko für die Anspruchsvollen, Ausspanne, sächsische Küche neu interpretiert. Industrie und Grill im Max Louis – hier sitzt man in einer alten Fabrikhalle.

Und das bereits erwähnte Restaurant Villa Esche und das Café JULIUS IM SCHOCKEN.

Über mehr Tipps freuen wir uns.

2 comments

Susanne 18. August 2025 - 19:18

Ich muss sofort nach Chemnitz!
Danke für die umfassende, begeisternde Information.

Reply
Natali Borsi 29. September 2025 - 12:45

,-) vielleicht komm ich mal mit 😉

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