Kunsthighligts für Ostern 2023

Ostern als Friedensbringer bleibt wohl Wunschdenken – der Krisenmodus dauert an. Leider! Also: Raus aus dem Nachrichtenfeed – rein in die Museen. Kunst funktioniert wunderbar als Seelentröster. Unsere Highlights für die kommenden Wochen in Basel, Berlin, Hamburg und München.

written by Gastautorin Juliane Rohr 18. März 2023

1. Wayne Thiebaud – Fondation Beyeler

Riehen/Basel

Torten, Eis und natürlich Picasso

When in Basel…die Fondation Beyeler im Ortsteil Riehen ist immer ein Highlight. Großartige Kunst trifft schönste Architektur in einem wundervollen Park mit gutem Restaurant. Die Sammlung des Galeristen und Museumsgründers Ernst Beyeler ist der Grundstock dieses Museums. Picasso, Warhol, Giacometti, Monet und all die anderen großen Namen. Jedes Mal beeindruckend. Obendrauf gibt es immer sehenswerte Ausstellungen bekannter und weniger bekannter Künstlerinnen und Künstler. Entdeckermodus einschalten lohnt.

Dieses Mal tauchte ich in die kleinen, gemalten Welten des amerikanischen Malers Wayne Thiebaud (1920 – 2021) und in seine kontemplativen, schönen Stilleben. Sahnetorten, Eiskugeln, ganze Kühltruhen mit Köstlichkeiten gefüllt – den ganzen Überfluss des „American Way of Life“ mit pastosem Pinselstrich auf Leinwand gebannt. Dazu gesellen sich Figurenbilder, Spielautomaten und seltsame Städte- und Landschaftsbilder von oben. Eine Ausstellung voller Nostalgie, Ironie, Witz, Freude, Schönheit und leiser Melancholie.

Betörende Pastelltöne und köstliche Versuchungen von Wayne Thiebaud

2. Margaret Raspé – Haus am Waldsee

Berlin

Zu wenig beachtet

Diese Künstlerin hat ganz in der Nähe des Haus am Waldsee fünf Jahrzehnte ihr sehr eigenes Werk geschaffen. Direktorin Anna Gritz hat diesen Schatz geborgen und präsentiert jetzt die umfassende Retrospektive „Margaret Raspé. Automatik“. Dafür führten Gritz und ihr Team lange Gespräche am Küchentisch der Künstlerin, da die meisten ihrer Kunstwerke instruktionsbasiert aufgebaut werden mussten.

In Großbritannien und den USA werden die filmischen Arbeiten von Raspé enthusiastisch gezeigt, in Deutschland hingegen wird sie wenig beachtet. Es lohnt sich sehr in die Welt der Margaret Raspé einzutauchen. Das neben den bedeutenden Filmen aus den 70er und 80er Jahren Performances, Fotoserien, Soundarbeiten und großformatige Installationen im Innen- und Außenraum umfasst.

Diese Installation hat den Titel Fernsehfrühstück. Für das Haus am Waldsee wurde die Arbeit von 1994 rekontruiert.

Lokal wird global

Mit der Schau erzählt das Museum eine radikal lokale Kunstgeschichte von globaler Relevanz, in der es auch die eigenen Position gespiegelt sieht.

1971 baute sie sich eine Helmkamera und öffnete das Tor zu den unbewußten Bildern. Mit einem Bauarbeiterhelm und der Super-8-Kamera auf dem Kopf filmt sie sich bei einfachen Arbeiten wie Sahneschlagen, Schnitzelpanieren oder beim Abwasch. Sie schöpft aus dem Alltag ihrer Realität und macht daraus Kunst.

Fragt sich haben Maschinen eine Seele oder sind Menschen Maschinen?

Großartig ihre Titel für die kleinen Videos. So heißt die Sahnenummer: Der Sadist schlägt das eindeutig unschuldige. Wie treffend, besonders, weil die Sahne zu Butter wird…

Ein Küchenfilm trifft auf Malerei

Kluge Aha-Momente

Ihr Haus in Berlin Zehlendorf macht die 1933 in Breslau geborene Raspé früh zu einem Ort für künstlerischen Dialog. Auch aus Geldnot als alleinerziehende Mutter vermietet sie Zimmer an Künstler aus dem Wiener Aktionismus wie Hermann Nitsch oder Günter Brus unter.

Ihre Kunst ist poetischer, weniger plakativ als die der Österreicher, verstörend, aber steckt auch voller Witz und kluger Aha-Momente. Bei Raspé bemalen Wasserkessel Leintücher und ich frage mich, warum auf diese Idee noch keiner vor ihr gekommen ist.

Malende Wasserkessel – was für eine Performance-Idee

Poesie & Provokation

Toll auch ihre kleinen Gedichte, die in Vitrinen verteilt sind. „Unterbrechungen“ berichtet aus dem Alltag einer Hausfrau, die den ganzen Tag treppauf, treppab rast und sich abends fragt, was sie eigentlich den lieben langen Tag gemacht hat. Eine ganz wundervolle Entdeckung.

3. Ulysses Jenkins- Julia Stoschek Foundation

Berlin

Performance-Pionier

Dieser Mann ist ein klassischer „arist artist“, soll heißen er hat viele Künstler inspiriert. Jetzt hat er seine erste Ausstellung in Europa. Ulysses Jenkins, geboren 1946, gilt als ein wichtiger und zugleich oft übersehener Video- und Performancekünstler. Viele seiner experimentellen Videoarbeiten entlarven den Rassismus in den USA, laufen Fiebertraumartig über den Screen. Jenkins kombinierte Found Footage wie Bilder aus dem Fernsehen mit Performances und Live-Musik.

Without your Interpretation, 1984 dokumentiert die gleichnamige Performance. Die Kernaussage: Kunst sollte keinesfalls völlig selbstverständlich durch das Prisma weißer Kunstgeschichte betrachtet werden.

Kampf gegen Stereotype

Jenkins zeigt wie die Darstellung marginalisierter Gruppen durch Bilder in den Medien, Sound und (pop)kulturelle Bildsprachen beeinflusst wird. Er ist sauer auf die Art wie in den Medien, die von Weißen gemacht werden, die Schwarzen dargestellt werden. Die Bilderflut ist jedoch übermächtig. Es geht um Ungleichheit, Blackpower, Empowerment, aber auch – sehr aktuell – um die Zerstörung der Umwelt und unkontrollierten Kapitalismus.

Ulysses Jenkins arbeitete zunächst als Maler und Wandgestalter. Eines seiner „Murals“ ist heute noch in Los Angeles zu sehen. Als die ersten Handkameras erschwinglich wurden, fing er an damit zu experimentieren. Jenkins nutzte sie um Multikulturalismus alternativ und kritisch zu zeigen. In der Ausstellung „Without your Interpretation“ sind viele Videoarbeiten, Performances sowie Fotos, Archivmaterial und Kunstwerke zu sehen.

Foundation statt Collection

Eine Änderung gibt es auch: Die Collection von Julia Stoschek, heißt jetzt Foundation. Bei ihr dreht sich alles um zeitbasierte Medienkunst, sie archiviert und bewahrt. Schon längst werden nicht mehr nur die privat gesammelten Werke aus der Sammlung Julia Stoschek gezeigt deshalb der Namenswechsel.

Die Retrospektive ist umfangreich – also bitte etwas Zeit mitbringen. Es gibt auch die Aufzeichnung einer 21stündigen Performance, aber keine Sorge – es läuft eine 5-minütige Zusammenfassung im loop. Ulysses sollte man nicht verpassen: Gute Beats inklusive.

1992 war Jenkins mit einer Liveschalte, die hier gezeigt wird, auf der documenta IX in Kassel zu sehen.

4. Femme Fatale – Kunsthalle

Hamburg

Anregend und vielschichtig

Verführerisch, stark, gefährlich. Eine Gefahr für Männer, Unglück bringend. So wird die Frau über Jahrhunderte in der Kunst von Männern dargestellt. Kurzum: die Femme Fatale ein böses, sündiges Weibsstück und als solche wurde sie in den Museen dieser Zeit kontextlos dargestellt. Die Ausstellung„Femme Fatale. Blick – Macht – Gender“ in der Hamburger Kunsthalle setzt sich mit dem Begriff auseinander.

Denn der ist vielschichtig, anregend und problematisch und kann Fragen anstoßen: Sind wir alle durch den männlichen Blick, also den „male gaze“ geprägt? Inwieweit kann Sexualität empowernd sein? Wer hat welche Macht? Weiße Schönheitsideale werden ebenso diskutiert wie Rassisimus, Antisemitismus, Religion, Gender- und Rollenklischees.

Da raucht mir irgendwann auch der Kopf. Das ist von der Macher:innen der Schau gewollt.

Spannende Zeitreise

Alles ganz easy. Es gibt ein knackiges Begleitheft, wo alles nachgelesen werden kann. Mit manchen Kunstwerken kann sogar gechattet werden. Eine coole Zeitreise, denn

das Bild der Femme fatale hat sich enorm gewandelt.

In den 60er und 70ern vor allem Künstlerinnen interpretiert, jetzt total überholt. Das Motiv der Femme fatale hat ausgedient. Anhand der 200 gezeigten Werke habe ich mir gerne die Brille männlicher Bildstrategien aufgesetzt und mich  mit der Verteidigung durch Künstlerinnen auseinander gesetzt.

Eher angestaubte Frauenbilder treffen auf großartige Videokunst von Sonia Boyce, die 2021 den britischen Pavillon bei der Venedig-Biennale bespielt hat.

5. CRAGG – Pinakothek der Moderne

München

Skulptur denkt

Tony Cragg gilt als einer der innovativsten und wandlungsfähigen Bildhauer Europas, der unkonventionelle Materialien benutzt. Weniger bekannt ist, dass er in den 70er Jahren viel zeichnete. „Skulptur denkt“ könnte dieser über Jahrzehnte gewachsene Werkblock genannt werden. Er erlaubt in dem Münchner Museum einen tiefen Einblick in seine Inspirationsquellen und sein bildhauerisches Denken. Die Staatliche Graphische Sammlung zeigt viele dieser Zeichnungen aber auch seine phantastischen Skulpturen. In der Pinakothek der Moderne heißt es schlicht CRAGG und wer da war, weiß warum der Name groß geschrieben wird.

Seine Skulpturen erzielen längst Millionenbeträge. Zudem betreibt der Brite seit bald 25 Jahren in Wuppertal den einmaligen Skulpturenpark Waldfriede. Als er als junger Mann an der Düsseldorfer Akademie war, verliebte er sich in seine Ehefrau, eine Wuppertalerin. Aber dazu ein anderes Mal mehr.

Skizzenhafte Zeichnungen und formvollendet, geschichtete Skulpturen im Dialog

Formvollendet geschichtet & gestapelt

Craggs Arbeiten der letzten Jahre sind meist wellenförmig und figurativ. Sie wirken, als ob jemand  mitten in der Bewegung den Pausenknopf gedrückt hat. Dadurch entsteht in der Abstraktion eine beeindruckende Dynamik, die den Skulpturen einen hohen Wiedererkennungswert beschert.

Mich begeistern besonders die Arbeiten aus den 70ern bei denen er Zivilisationsmüll zusammenfügte, schichtete und stapelte.  Und dann sind da diese Skulpturen aus Glas… Hach, alles zu schön. Allen ausgestellten Objekten gemeinsam: sie sind unverkennbar CRAGG – nichts wie hin und sich begeistern lassen.

Die Materialvielfalt von Tony Cragg sorgt immer wieder für Überraschungen

INFOS

1. Wayne Thiebaud

  • Bis 21. Mai
  • Montag Bis Sonntag 10 – 18 Uhr, Mittwoch 10 – 20 Uhr, Freitag 10 – 21 Uhr

Fondation Beyler, Baselstraße 101, 4125 Riehen/Basel

2. Margaret Raspé – Automatik

  • Bis 29. Mai
  • Dienstag bis Sonntag 11 – 18 Uhr,

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 14163 Berlin

 3. Ulysses Jenkins: Without your Interpretation

  • bis 30. Juli
  • Samstag & Sonntag 12 – 18 Uhr

 Julia Stoschek Foundation, Leipziger Straße 60, 10117 Berlin

Und noch mehr Berlin: Monica Bonvicini – I DO YOU. Einfach TOLL!

Zur Besprechung bitte hier noch bis Ende April in der Neuen Nationalgalerie zu sehen.

Noch in der Neuen Nationalgalerie zu sehen: I Do You von Monica Bonvicini

4. Femme Fatale. Blick – Macht – Gender

  • ACHTUNG NUR NOCH bis 10. April
  • Dienstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr donnerstags bis 21 Uhr geöffnet

Kunsthalle Hamburg, Glockengießerwall 5, 20095 Hamburg

5. CRAGG

  • bis 7. Mai 2023
  • täglich 10 – 18 Uhr, Donnerstags 10 – 20 Uhr, Montags geschlossen

Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, 80333 München

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3 comments

Sophie Bader 21. März 2023 - 15:56

Kompliment Juliane … toller inspirierender Artikel! Kunst kann uns auf so viele verschiedene Arten berühren und bereichern, und es ist großartig zu sehen, wie Menschen sich dafür begeistern und engagieren können. Ich hoffe, Sie werden eine wunderbare Osterzeit haben und vielleicht einige der Kunstaktivitäten und Ausstellungen besuchen, die Juliane vorgeschlagen hat!

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Gastautorin Juliane Rohr 11. April 2023 - 23:30

Danke sehr liebe Sophie, ich freue mich sehr, wenn meine Begeisterung ansteckt. Eine gute Zeit in und mit der Kunst, herzliche Grüße aus Berlin!

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Sophie Bader 12. April 2023 - 8:18

Kunst darf ansteckend sein…. Durch das Teilen unserer eigenen Begeisterung und unseres Wissens können wir anderen ein Vorbild sein, ihr Potenzial zu erkennen und zu entfalten. In der Kunst darf und muss Meinungsfreiheit und Toleranz herrschen, ohne sich persönlich angegriffen zu fühlen (meist nur ein gutes Spiegelbild) und trotzdem respektvoll und achtsam mit anderen umzugehen….

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