Es ist schon besonders in Berlin von einem Galerie-Standort zum nächsten zu schlendern und dabei museumsähnliche Kunst erleben zu können. Die Art Week findet diesen Herbst gemeinsam mit dem im April verschobenen Gallery Weekend statt. Netzwerken ist auch in der Kunstbranche wichtiger denn je. Das Schönste aber, die allermeiste Kunst ist über diese knappe Woche hinaus zu sehen. Gut, denn das dichte Programm ist bis zum 13. September selbst mit den flinkesten Turnschuhen nicht ganz zu schaffen. Auf der Agenda ganz oben daher die Kunstorte, die nur kurze Zeit geöffnet sind…
Die vier Musts zur Art Week
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57 Werkhof
Auf dem Gelände in der Lehrter Straße 57 in Moabit, unweit des Hauptbahnhofs haben die Architekten Sauerbruch Hutton ihr Büro, der Sammler und App-Entwickler Ivo Wessel lebt und arbeitet dort mit einer sehenswerten Sammlung, die er gerne zur Art Week oder zum Gallery Weekend neugierigen Besuchern zeigt. Er ist meistens selbst vor Ort und erklärt seine konzeptionelle Kunst, die ohne Sammlungskonzept, aber mit einigem Humor daherkommt. Beeindruckend auch seine Literatur, mit der er sich umgibt, und unzählige gelbe Stühle.
Kunst-Vernetzung
Auf dem weitläufigen Gelände haben außerdem in Berlin arbeitende Künstler wie Katharina Grosse, Karin Sander, Via Lewandowsky oder Anri Sala ihre Ateliers. Die öffnen sie an diesem Wochenend zudem gibt es zwei Gruppenausstellungen – einmal ganz Viruskonform auf dem Gelände und einmal in den Büros der Architekten Sauerbruch Hutton. Nicht verpassen!
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HBK 55
Ein bisschen wehmütig werde ich, wenn ich in die Herzbergallee nach Lichtenberg fahre. Dort hatte bis vor zwei Jahren die Sammlung Haubrok in der Fahrbereitschaft ihre Ausstellungsräume. Nun eröffnen sie immerhin wieder am Straußberger Platz 19, wo ich sicher vorbei schauen werde. In der Herzbergallee 55 finden sich Räume der Kunst, das sind Ateliers, Werkstätten, eine Kantine und Ausstellungshallen.
Reduzierte Kunst
In den beiden Hallen zeigt derzeit die Galerie Burster in Kooperation mit der Münchner Galerie Max Goelitz den in Wien lebenden Künstler Sebastian de Ganay. Er ist bekannt für minimalistische Kunst, sehr reduziert und verblüffend schön, kombiniert de Ganay vertraute Gegenstände neu. Bei ihm werden monochromfarbige Aluminiumplatten wie leichtes Papier gefaltet, Pop-up Zelte wirken auf einmal wie überdimensionierte Baustellen-Warnschilder. Euro-Paletten sind bei de Ganay nicht nur durch die Kombination mit blauen Aluplatten plötzlich Kunst und beachtenswert. Kleine Keramikquader werden durch ihre Glasur decodiert und scheinen aus schwerem Stahl zu sein. Der Weg nach Lichtenberg lohnt sich definitiv.
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Reyle und Halley bei Hein von König
Wie bitte? Alles ganz einfach erklärt: Im Atelier von Jeppe Hein in der Dessauer Straße 6 -7 zeigt die Galerie König neueste glitzernde Spiegelfolien Bilder von Anselm Reyle in Kombination mit abstrakten geometrischen Werken von Peter Halley. Beide Künstler bedienen sich in einem ziemlich grellen Farbspektrum, benutzen aber unterschiedliche Medien. Ich bin neugierig, wie der Dialog von Reyle und Halley bei Hein in Realität aussieht.
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Wilhem Hallen
Kurz hinter dem Flughafen Tegel in Reinickendorf liegen die Wilhelm Hallen. Auf dem denkmalgeschützten Gelände in den Klinkerbauten der alten Eisengießerei Winkelhof entsteht gerade viel Neues.
Im Zuge des Gallery Weekends haben sich Berliner Galerien alexander levy, BQ, ChertLüdde, Klemm’s, Kraupa Tuskany Zeidler, Plan B und PSM zusammengetan. Mit 23 Künstlern bespielen sie in ihrer Show K 60 auf zwei Stockwerken die Hallen im Haus D. Skulpturen, Malerei, Installationen, Videoarbeiten von Künstlern wie Julius von Bismarck, Felix Kiessling, Navid Nuur und vielen mehr sind zu entdecken.
Typischer Berliner Ort
Die Kölner Galerie ruttkowski 68 ist mit einer Gruppenshow namens mixed pickles 8 dabei unter den 26 Künstler+innen sind auch Hannah Sophie Dunkelberg, Conny Maier oder Jenny Brosinski. Zudem zeigen auch andere Berliner Künstler wie Petra Lottje oder Jakob Roepke ihre neuesten Arbeiten.
Auf dem Gelände verraten unzählige Spuren und Fragmente in und an den Backsteingebäuden was da einmal war. Das Licht in der Gießerei fällt noch so in die Räume, wie zur Bauzeit 1902. Seit der Schließung 2014 ist das Gelände unberührt gewesen und daher einer dieser typischen Berlinorte, von dem
plötzlich alle reden.
Aus dem Nichts, obwohl er ja schon lange da war, Die teilweise noch sehr maroden Hallen haben diesen unwiderstehlichen Flair aus vergangenen Zeiten. Nicht nur Berliner lieben das. Nun wird das Gelände nach und nach entwickelt. Künstler, Start-up Büros, der Lampendesigner Bocci und andere ziehen ein. Eine Kantine gibt es auch. Bitte vorher online anmelden, um Wartezeiten zu vermeiden.
Private Sammlungen
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Fluentum
An der Clayallee in Dahlem bittet Sammler Markus Hannebauer ins Fluentum und zeigt neueste Videoarbeiten des Berliner Künstlers Christian Jankowski. In der Corona aktuellen Videoarbeit Sender and Reciever kommen systemrelevante Personen via TV-Sendungen wie aspekte über den Lockdown ins Gespräch. Oder reden sie ihre Gedanken doch nur ins Leere? Die Global Membership Koffer, die gleich am Eingang installiert sind, erzählen von Reisen, die nun, bedingt durch die Pandemie so unerreichbar scheinen. Etwas versteckt hängt da noch mein Idol aus Kindertagen: Winnetou alias Pierre Brice. Den hat Jankowski 1999 um eine Blutsbrüderschaft gebeten, eben weil er ihn in Kindettagen so verehrt hat. So schräg, voller Humor und Denkräume öffnend gut. Außerdem ist das Sammlungsgebäude einen Besuch wert.
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Sammlung Miettinen
Ein absolutes Highlight sind die privaten, neu gestalteten Räume des finnischen Sammlers Timo Miettinen. Mit etwas Glück ist er selber da und zeigt einem persönlich seine Schätze von Stars wie Georg Baselitz, Louis Bourgeoisoder Günther Förg, aber auch jüngeren Künstlerinnen wie Stefanie Gutheil.
Wer hier in der Magdeburger Straße 3 zu Besuch ist, sollte unbedingt bei Robert Grunenberg in der Galerie vorbeischauen. In der Bel Etage des Hauses zeigt er zur art week Brandon Lipchick. Der amerikanische Künstler entwirft seine Malerei digital, benutzt unterschiedliche Maltechniken, um seine collageartigen Entwürfe auf die Leinwand zu bringen. Dabei entstehen faszinierende optische Täuschungen, die lange im Gedächtnis bleiben und einen hohen Wiedererkennungswert haben.
Überall Flaggen und Banner
Eine künstlerische Intervention der 14. documenta ist im Stadtraum während der Art Week wiederbelebt. Der Künstler Hans Haacke hat 2017 an Fassaden und Haltestellen in Kassel und Athen die Arbeit Wir (alle) sind das Volk plakatiert. Der Konzeptkünstler greift damit den Slogan der ostdeutschen Demonstrant*innen von 1989/90 auf. Nun ist der vielsprachige Schriftzug auch in Berlin auf Bannern, Flaggen und Plakaten zu sehen. Auf den Punkt, heute wie vor drei Jahren. Es geht um Solidarität mit Migranten und geflüchteten Menschen, was trotz Corona nicht vergessen werden sollte. Solidarität hat heute nochmal eine neue Qualität bekommen hat. Für mich ein Gänsehautmoment. Augen auf für Haackes politisches Kunststatement – zu sehen auch am Gropiusbau, dem Haus der Kulturen der Welt, der Akademie der Künste, der Volksbühne und Savvy Contemporary.
Die Positions hebt in Tempelhof ab
Danach sehnt sich nicht nur die Kunstwelt: Endlich wieder eine Messe. Hier kann man sich so gut vernetzen, Gespräche über Kunst führen und der Kunstwelt nachspüren. Neben all den Ausstellungen zur Art Week geht vom 10. bis zum 13. September auch die erste deutsche Kunstmesse seit dem Lockdown an den Start. Und so groß war die POSITIONS noch nie.
Sie geht gemeinsam mit der im April verschobenen paper positions berlin auf dem alten Flughafengelände in Tempelhof an den Start. Mit an Bord der special guest, die photo basel und die Fashion Positions. Es gibt demnach auch Fotokunst und Mode zu erleben und kaufen. In den Hangars 3 und 4 sowie einem Teil des überdachten Flugfeldes wird ausreichend Platz für die Galerien aus Berlin, Stuttgart, Lübeck aber auch Amsterdam, Tel Aviv oder Vilnius sein. Die Wände der Hallen werden mit Malerei, Zeichnungen, Installationen aber auch Skulpturen bespielt. Spannend und neu, dass man nun auch via Zoom direkt mit einem Messestand verbunden werden kann, um Kunst von zu Hause aus live mit dem Galeristen zu erleben.
Digital, weit entfernt und doch ganz nah.
Ich freue mich jedoch auf den direkten Austausch und plane einige Stunden auf dem historischen Gelände am Columbia Damm 10 ein.
Museum Nikolaikirche
Der Frage, wie man die Geschichte erzählt gehe ich im Museum Nikolaikirche und features nach. Das Terrakottafries aus dem Jahr 1879 am Roten Rathaus und ein Betonfries im Nikolaiviertel im Jahr 1987 erzählen auf sehr unterschiedliche Weise die Geschichte Berlins. Und da nichts endgültig in Stein gemeißelt oder in Beton gegossen ist, haben nun zehn in Berlin lebende Künstler mit jeweils einem großformatigen Bild das Fries neu interpretiert. Zu sehen in der Kirche, geschickt in dem historischen Raum in einige Meter Höhe gehängt. Norbert Bisky, Patricia Bucher, Sol Calero, Nadira Husain, Friederike Feldmann, Thomas Klipper, Thomas Ravens, Petra Trenkel, Helen Verhoeven und Suse Weber zeigen aufgrund ihrer unterschiedlicher Herkunft ihre ganz eigenen Sichtweisen zu Clubkultur, Migrationsgeschichte, Architektur und andern Stadtthemen.
Eine wunderbare zeitgemäße Ergänzung zu den beiden historischen Friesen, die die letzten drei Jahrzehnte im polyphonen Berlin zusammenfassen. Ein Grund endlich mal wieder das älteste intakte Kirchengebäude aus dem Jahr 1230 in der historischen Mitte Berlins zu besuchen.
Tradition Galleryhopping
Am Freitag laden die teilnehmenden Galerien ab 18 Uhr bis 21 Uhr zum Opening und am Wochenende haben sie alle geöffnet. Das Gallery Weekend wurde Coronabedingt in den Herbst geschoben und findet jetzt statt. Ich werde mir meine Touren wie immer anhand der Stadtteile zusammenstellen. Von der Fasanenstraße und den Kunsträumen drum herum über die Potsdamerstraße nach Mitte in die Galerien rund um die Volksbühne. Das Angebot ist dieses Mal besonders hochkarätig. So ist die Ikone der Op-Art Briget Riley an allen drei Standorten der Galerie Max Hetzler zu sehen. Die Objektkünstlerin Sylvie Fleury ist bei Mehdi Chouakri zu Gast.
Tollste Kunst an allen Orten
Esther Schipper übernimmt temporär zusätzlich zu den Räumen in den Mercatorhöfen die alte Rotationshalle des Tagesspiegels. Dort hatte im Februar die Galerie Blain Southern die Türen geschlossen. Schipper zeigt jetzt dort den Schweizer Bildhauer Ugo Rondinone mit nuns + monks. In den alten Schipper-Räumen über der Halle kann ich multimediale Kunst von Philippe Parreno erleben. Bei Thomas Schulte sind riesige Bilder von Michael Müller, die von außen zu sehen sind und von innen betrachtet zum immersiven Kunstwerk werden. Stars der Szene wie Olafur Eliasson und Isa Genzken treffen bei neugerriemschneider aufeinander. Ich könnte einen ganzen eigenen Beitrag über so tolle Künstlerinnen und Künstler in den einzelnen Galerien schreiben. Hier auf jeden Fall der link zum Gallery Weekend mit allen Teilnehmern und Tipps.
Julia Stoschek Collection
Es geht um zeitbasierte Medienkunst – und Zeit sollte man sich für Quantication Trilogy in jedem Fall mitbringen. Mit Jeremy Shaw schaue ich aus einer gedachte Zukunft zurück in ein neues Jetzt, in dem ich mit Bildern aus vergangenen Zeiten konfrontiert werde. Zeitkapsel-Momente mal anders. Über dokumentarischen Filme wie I can see forever oder Liminals legt der Künstler pseudowissenschaftlichen Erkenntnisse und Musik. Dabei interessiert sich Jeremy Shaw für Bewusstseinszustände, das Streben nach Transzendenz und wie man das wissenschaftlich erfassen kann.
Der immersive Rausch, den der Betrachter erleben kann, ist dabei hochaktuell findet Sammlerin Julia Stoschek. Unsere Realität ist inzwischen das Leben im Ausnahmezustand, die Sehnsucht nach einer anderen Gegenwart ist groß und wir fragen uns ständig, was ist wahr, was ist erfunden.
Fake news sind unsere neue Realität geworden
scheinbar leben wir im Zeitalter der Lüge – in Zeiten der Pandemie erst recht. Was dystopisch und so weit weg erscheint, schwingt in diesen politsich destabilen Zeiten besonders nach. Mit Jeremy Shaws Filmen docke ich im Hier und Jetzt an, obwohl ich doch eigentlich in die Zukunft reise.
Endlos Kunst zur art week
Die Liste der to do‘s ist scheinbar unendlich nach dem lockdown. Natürlich gibt es ein digitales Angebot, für diejenigen, die nicht reisen wollen oder können. Im übrigen zeigt der Sammler Christian Boros im Berghain über hundert in Berlin arbeitende Künstler. Angeblich alles Arbeiten, die in den vergangenen Monate entstanden sind.
Die Tickets zur art week für Studio Berlin waren jedoch ruckzuck weg und da in dem legendären Nachtclub einige Monate lang die Kunstwerke on show sind, habe ich beschlossen mich an diesem Wochenende nicht in eine Berghain-Schlange einzureihen. Erstens ist Mut zur Lücke angesagt und zweitens gibt es in ganz Berlin so viele andere, spannende Kunst an versteckten, besonderen Orten zu sehen.
What’s next?
Die Berlin Biennale wurde Anfang September eröffnet. Verschoben vom Frühjahr in den Herbst und wird in meinem Blog-Beitrag im Oktober ausführlich besprochen. Übrigens ist immer noch Katharina Grosses Farbenrauschen im Hamburger Bahnhof zu erleben. Falls noch jemand nicht da war, ein kleiner reminder.
Infos:
Werkhof L.57
Open Houses
- 11. September 17 – 21 Uhr
- 12. – 13. September 14 – 20 Uhr
Lehrter Straße 57, 10557 Berlin
HB 55
Sebastian de Ganay – Gestures
- bis 27. September 2020
- Freitag bis Sonntag 11 bis 19 Uhr
- zur art week ist am Freitag, den 11. September der Künstler anwesend
Herzbergstraße 55, 10365 Berlin
# 1 / K 60
– bis 20. September
– nur Sa und So von 12 bis 19 Uhr
Kopenhagenerstraße 60, 13407
- – 13. September 2020
- Flughafen Tempelhof, Hangar 3-4
Columbiadamm 10, 10965 Berlin
art Week
Alle Informationen hier
gallery weekend
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features – 10 Sichten auf Berlin
- bis 22. November 2020
- Freitag bis Sonntag 10 – 18 Uhr
Nikolaikirchplatz, 10178 Berlin
Jeremy Shaw – Quantification Trilogy
- bis 29. November
- Während der art week 10. bis 13. September 12 bis 18 Uhr
- sonst Sa und So 12 bis 18 Uhr
Leipziger Straße 60, 10117 Berlin