Berlin – Ausstellungs Highlights im Juni

Von allerlei Papierkram, purer Wanderlust und einem schillerndem Traumpaar.

written by Gastautorin Juliane Rohr 5. Juni 2018

Ein letztes Mal in die Sammlung Haubrok

Für den Besuch in einem der innovativsten Kunstorte Berlins wird die Zeit knapp. Auf dem Gelände der Sammlung Haubrok in der Herzbergstraße mischt sich auf beeindruckende Weise Geschichte mit Kunst. Atelierräume im schlichten Neubau von Arno Brandlhuber existieren neben karitativen Einrichtungen und Autoschraubern – hier treffen Gewerbetreibende auf Künstler.

Das war’s dann

Schnell noch hin! Denn Ende Juni schließt die ehemalige Fahrbereitschaft in Lichtenberg für Kunstbesucher ihre Türen. Das Stadtentwicklungsamt Lichtenberg duldet unter Androhung von bis zu € 500 000 keine weiteren Ausstellungseröffnungen.  Der Bezirk will damit die Gewerbetreibenden vor Vertreibung schützen. Dass Haubrok bislang allen auf dem Gelände niedrige Mieten garantiert hat, scheint die Bezirksstadträtin nicht zu interessieren.

Kantine in der Fahrbereitschaft

Nun denn – jetzt also die letzte Ausstellung

 „Papierkram und Zeichnungen“

 Noch die nächsten drei Juni-Samstage können neben Kunst auch Bar und Kantine der Fahrbereitschaft anguckt werden. Hier wechselten zu DDR-Zeiten ausländische Besucher ihre Autos, hier hielten Gefangenentransporte auf dem Weg nach Hohenschönhausen. Ach, einer dieser Berlin-Orte, an dem ich das Gefühl habe, konservierte Geschichte nachfühlen zu können.

Papierkram in der Sammlung Haubrok

Und dazu wird grandiose Kunst gezeigt. „Paperwork“ so der simple Titel der vierteiligen Schau: Im Pförtnerhäuschen logiert Michel Würthle mit seiner „Papierschlamassel“-Tapete, die Szenen, Bekannte und Unbekannte aus der Paris Bar zeigt. In den anderen Ausstellungsräumen locken Namen aus der Haubrok-Sammlung wie Florian Pumphösl, Jonathan Monk oder Stanley Brown. Faszinierend, was mit Papier so alles möglich ist: Es ist geknüllt, gefaltet, getackert, zerrissen oder neuverklebt, laminiert, geheftet, mit knallorangenen Punkten verziert oder nur mit hauchdünnen Bleistiftlinien bemalt.

Pförtnerhäuschen – Papierschlamassel

Minimal Art vom Feinsten

Zu einer raumfüllenden Installation werden 1500 Arbeiten von Karin Sander. Weiße Lücken sind bewusst gesetzt, weil ihre sogenannten Büroarbeiten eigentlich weltweit in Sammlungen verteilt sind. Und bevor ich ein letztes Mal die Bar und Kantine der Fahrbereitschaft  betreten kann, gibt es die Arbeiten von Barbara und Gabriele Schmidt Heins. Erstmals seit 20 Jahren werden ihre in den 70er Jahren entstandenen Unikat-Bücher in diesem Umfang gezeigt. Wunderbare minimal art.

Wanderlust durch die alte Nationalgalerie

Farbiger – und vor allem romantischer – geht es momentan in der Alten Nationalgalerie zu. Mit „Wanderlust“ ist ein wahrhaft Instagram kompatibler Titel gelungen. Finden sich doch aktuell 71,8 Millionen Hashtags zu dem Schlagwort – verteilt auf alle möglichen Blogger-Kanälen. Gezeigt wird hier allerdings Malerei des 19. Jahrhunderts. Ab ins Grüne ist das Motto im obersten Stockwerk des Museums. Vor 200 Jahren fingen Künstler an, Landschaft und Wandern und das damit verbundene Freiheitsgefühl für sich zu entdecken.

Auguste Renoir

Lust am Wandern

Sie fingen die Sehnsucht nach Luft und Licht ein. So spazieren bei Auguste Renoir Frauen durch duftige Sommerwiesen. Während Jens Ferdinand Willumsen seine Frau Edith 1912 als emanzipierte Gipfelstürmerin malt. Und dann ist da Caspar David Friedrich mit seinem 1817  entstandenem „Wanderer über dem Nebelmeer“ , eine Leihgabe aus der Hamburger Kunsthalle. Allein in diesem Bild könnte ich Stunden versinken – ich folge dem Blick des Wanderers in die nebeligen Weiten, schaue auf Gewesenes und lasse mich zu Neuem inspirieren. Emil Nolde, Otto Dix, Ernst Barlach, aber auch weniger bekannte Namen und ein Video von Björk machen Lust auf Natur in einer Zeit, in der es kein google-maps gab.  Einfach eine herrliche Sommerschau.

Caspar David Friedrich

Im me collectors room mit Eva & Adele

In einer völlig anderen – gegenwärtigeren – Welt landet man derzeit im me collectors room. Eine Retrospektive widmet sich Eva & Adele. Seit 25 Jahren setzen sie sich ins Bild und sind Bild, wo immer sie auftauchen. Sie erscheinen auf jeder Biennale, Vernissage oder Kunstmesse von Berlin via Basel bis nach Venedig, Miami oder Tokio. Wie Zwillinge gestylt, in schrill-eleganten Kostümen und vom Schuh bis zur Handtasche kuratiert, sorgfältig (weiblich) geschminkt und mit kahlgeschorenem (männlichem) Kopf überschreiten sie gekonnt die Geschlechtergrenzen. Der Ausstellungstitel „L‘amour du risque“ ist natürlich ein politisches Statement.

Sehenswerte Eva & Adele

Der Ausstellungsraum von Thomas Olbricht wird zur bunten Gesamtinstallation: Zeichnungen, Malerei, Fotografie, Videoarbeiten, Skulpturen, aber auch Kostümpläne für ihre Auftritte. Absolut sehenswert, denn Eva und Adele sind eine in der Kunstszene allgegenwärtige Dauerperformance: „ whereever we are is museum“ ist ihr Konzept.

Willkommene kleine Alltagsflucht

Auch der italienische Künstler Michelangelo Pistoletto will Kunst mit unserem Alltag und der Gesellschaft verbinden. Eine kleine, feine Schau des arte povera Begründers ist derzeit im italienischen Kulturinstitut zu sehen – zur Feier seines 85. Geburtstages. Neben einigen seiner großformatigen Spiegelarbeiten sind hier zudem seine Ideen und Modelle für eine nachhaltigere Welt zu bestaunen.

Terzo Paradiso

Wunderbar ist seine Installation „Terzo Paradiso“ im Hof des bonbonfarbenen Institutes auf der Rückseite der italienischen Botschaft. Das vielfach ausgeführte Zeichen seiner Utopie eines Ortes der Verständigung ist hier aus Pflastersteinen geformt. Da sie doppelt gelegt sind, erinnern sie an Pflastersteine im Berliner Asphalt, die an verschiedenen Orten Berlins die Mauer nachzeichnen, die die Stadt teilte.

Poesie pur in Potsdam

Auch an dem letzten Ort meiner Juni-Tipps ist die Geschichte des geteilten Deutschlands zu spüren. Direkt hinter der Glienicker Brücke liegt die Potsdamer Villa Schöningen. Auf der Brücke wurden noch kurz vor dem Mauerfall Spione ausgetauscht. In einer Dauerausstellung des Museums wird davon berichtet.

Bezaubernde Kunst

In den anderen Räumen treten derzeit zwei Berliner Künstlerinnen mit der Ausstellung „shift matters“ den künstlerischen Dialog an: Alicja Kwade mit verblüffend einfacher Konzeptkunst und Jorinde Voigt mit bezaubernden Papierarbeiten. Im Raum steht ein durch Spiegel in vier Teile zerschnittener Tisch. Er erscheint durch die Spiegelungen noch als Ganzes. Dahinter fließen gold-pastellfarbene Zeichnungen von Jorinde Voigt von der Wand.

Was ist wirklich wahr?

Poesie pur – die harmonisch gegenübergestellten Arbeiten der beiden Künstlerfreundinnen verschieben unsere Wahrnehmung und Realität. Wieso liegen die Kugeln des Rechenschiebers auf dem Boden und wieso sind sie aus Stein? Warum sind Dinge, so wie sie sind? Die schwarzen Flecken auf großformatigen Bildern sind bei genauer Betrachtung fein collagierte, herrlich schimmernde Federn. Viele Papierarbeiten der klassisch ausgebildeten Musikerin scheinen Kompositionen zu sein. Nichts ist wirklich einfach, aber hier ist das einfach schön. Die Leichtigkeit dieser Ausstellung, in der Kwades Installationen auf Voigts Zeichnungen aufeinandertreffen, ist bezaubernd.

 

INFO zu den Ausstellungsorten:

haubrok foundation

paperwork

Herzbergstrasse 40-43

10365 Berlin

  • Samstags 15 Uhr – ausschließlich nach persönlicher Anmeldung: visit@haubrok.org
  • ACHTUNG nur noch bis Ende Juni 2018

http://www.haubrok.org

Alte Nationalgalerie

Wanderlust

Museumsinsel Berin

Bodestrasse 1-3

10178 Berlin

  • Di bis so 10 – 18 Uhr und
  • Do 10 – 20 Uhr
  • bis 16. September 2018

https://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/alte-nationalgalerie/ausstellungen/aktuell.html

Me Collectors Room

Eva & Adele

Augustrasse 68

10117 Berlin

  • Mi-Mo 12 bis 18 Uhr
  • bis 27. August 2018

https://www.me-berlin.com

Italienisches Kulturinstitut

Michelangelo Pistoletto

Hildebrandstraße 2

10785 Berlin

  • Mo – Fr 10 bis 18 Uhr und
  • Sa 11 bis 18 Uhr
    (keine Samstagsöffnung in den Schulferien, vom 7.7. bis 18.8.)

https://iicberlino.esteri.it/iic_berlino/de/

Villa Schöningen

Alija Kwade & Jorinde Voigt

Berliner Straße 86

14467 Potsdam

  • Do bis So 12- 18 Uhr
  • bis 22. Juli 2018

https://www.villa-schoeningen.org

 

Über Juliane Rohr:

Nach Werbeakademie und Politikstudium in München hat sie ihre journalistische Ausbildung bei verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen (Münchner Merkur, Die Zeit) absolviert. Dann als Redakteurin bei Münchner Merkur und Gala geschrieben. Seit der Geburt ihrer Kinder war sie frei schreibend auch für Zeitschriften wie Shape und Hörzu oder Unternehmen wie Swarowski und die Literaturinitiative Berlin tätig. Im Moment sitzt die 50jährige an ihrem ersten Buch. Sie ist seit Jahrzehnten in der Kunstszene unterwegs – teilt ihr Wissen gerne mit Freunden und Blogbesuchern.

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