Die Sympathisanten der RAF – wer waren sie und was bewegte sie?

Dieser Frage geht der Historiker Felix Möller in einer sehr spannender Dokumentation nach. Jetzt im Kino – sehr sehr sehenswert.

written by Natali Borsi 2. Juni 2018

Ein sehr persönlicher Film: Die Sympathisanten

Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich hier auf meinem „kulinarischen Lifestyle Magazin“ so ein ernstes Thema behandeln kann. Was haben die Sympathisanten der RAF mit Kochen, Kunst oder gar Ketchup zu tun? Vordergründig gar nichts und für mich doch ganz viel. Und deshalb nehme ich mir die Freiheit Euch diesen Film sehr ans Herz zu legen.

Felix Möller nähert sich einem besonderem Thema auf sehr persönliche Weise – die RAF und ihre Sympathisanten

In den 1970er-Jahren war die politische Stimmung in Deutschland aufgeladen und viele Intellektuelle und Künstler wurden teilweise zu Unrecht allein aufgrund ihrer politischen Haltung als Sympathisanten – einen Begriff der damals zum ersten Mal geprägt wurde – der Roten Armee Fraktion (RAF) abgestempelt. Der Film geht der Frage nach:

  • Wer waren diese Sympathisanten?
  • Was hat sie bewegt?
  • Wie konnte es zu dieser Eskalation der Gewalt kommen?

Das spannende ist, dass viele der Zeitzeugen von damals noch am Leben sind und bereit waren über diese Zeit mit Felix Möller zu sprechen. Letztlich kam es zu diesem Film, weil Felix Mutter, die Regisseurin Margarethe von Trotta – selbst als Sympathisantin dieser Zeit abgestempelt – sehr ausführlich Tagebuch über diese Zeit geführt hat.  Ihr Film „Die bleierne Zeit“ über die Schwestern Ensslin war ihr internationaler Durchbruch und beschreibt eindrucksvoll die Problematik dieser Zeit.

 

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Margarethes Tagebuchaufzeichnungen ziehen sich durch den gesamten Film und geben einen sehr intimen Einblick in eine emotional aufgeladenen Zeit. In einem sehr lesenswerten Interview im Tagesspiegel wird Felix Möller gefragt, ob er ein vernachlässigter Sohn gewesen sei, weil er wenig in den Tagebüchern seiner Mutter vorkomme.  Seine Antwort hat mich schmunzeln lassen und nachdenklich gemacht:

Die Fixierung auf die Politik ist wohl typisch für diese Generation der Linken. Die Kinder liefen nebenher. Es war nicht unbedingt mangelnde Aufmerksamkeit, es lag an all den Aktivitäten. Als Margarethe 1978 für eine Nacht ins Gefängnis kam, rief eine Freundin mich an und sagte denkbar ungeschickt: Reg dich nicht auf, es ist nicht schlimm, sie kommt bald wieder raus. Ich hatte keine Ahnung, dass sie bei diesem Sympathisantenprozess im Gerichtssaal saß und sich lautstark empörte, deshalb kam sie 24 Stunden in Haft. Ja, für mich blieb oft wenig Zeit, aber es geht mir wie gesagt nicht um Abrechnung. Dass solche Tagebücher heutzutage voll mit Kindergeschichten wären, spricht ja nicht unbedingt für unsere Zeit.

Ich glaube nicht, dass wir vernachlässigte Kinder waren, aber die Politik spielte auch in meinem Elternhaus eine größere Rolle, als die Frage welche Klausur ich am nächsten Tag schrieb oder Anderes. Was mich erschrecken ließ, war die unangenehme, aber sehr wahre Erkenntnis von Felix, dass die heutzutage vollgeschrieenen Tagebücher voller Kindergeschichten wirklich nicht für unsere Zeit sprechen. Haben wir uns nicht längst selbst zu Sympathisanten einer Gesellschaft gemacht, die hofft die Anderen werden es schon richten?

Zeitzeugen oder Sympathisanten?

Felix Möller führt in seinem Film nicht nur mit seiner Mutter, Margarethe von Trotta, sondern auch mit seinem Stiefvater Volker Schlöndorff sowie anderen Zeitzeugen Gespräche. Darunter Daniel Cohn-Bendit, Peter Schneider, René Böll, Marius Müller -Westernhagen und den Terroristen Christof Wackernagel und Karl-Heiz Dellwo, die beide lange Haftstrafen verbüsst haben.

Es geht ihm darum zu verstehen oder nachvollziehen zu können, was damals geschah. Dies geschieht aus einem sehr intimen und respektvollen Blick gegenüber den Protagonisten. Dadurch entsteht ein Portrait dieser Zeit, das einzigartig ist und uns noch viele Tage danach zu Diskussionen angeregt hat. Es bleiben auch Rätsel offen, z.B. fragt Felix Möller seine Mutter nach einem Koffer der bei ihnen zu Hause untergestellt war. Margarethe sagt, sie wisse nicht was in dem Koffer gewesen sei. Letztlich spielt das heute auch keine Rolle mehr, aber es bleibt die Frage an den Zuschauer: Hätte ich den Koffer aufbewahrt? Hätte ich hineingesehen? Würde ich heute darüber sprechen? Hätte ich jemanden Unterschlupf geboten?

Mit dem eigenen Kopf denken – Hannah Arendt hat Recht

Sehr beeindruckend für mich war die Aussage von Margarethe von Trotta am Ende des Films, indem sie sagt, sie mache sich nur einen Vorwurf. Es gab Momente, da habe sie nicht mit ihrem eigenen Kopf gedacht, so wie Hannah Arendt es einfordere, sondern habe sich von einer Utopie leiten lassen.

Ich habe mir diesen Satz sehr zu Herzen genommen und viel darüber seitdem nachgedacht. Utopien sind derzeit schwer zu finden, aber dafür werden viele Horrorszenarien bereit gestellt. Als ich in einer Diskussion mit Freunden im Willkommensjahr 2015 anmerkte, dass ich es problematisch finde, wenn die Ängste derer, denen es nicht so gut geht in Deutschland wie uns, nicht beachtet werden, wurde ich von einem sehr engen Freund als Sympathisant der AfD beschimpft. Tja, so schnell kann man zum Sympathisanten abgestempelt werden, das hätte ich nicht gedacht. Wenn Diskussionen durch Ideologien ersetzt werden, denkt niemand mehr mit seinem eigenen Kopf und das ist gefährlich. Ich konnte darüber lächeln, denn nichts liegt mir ferner als die AfD, aber erschreckt hat es mich bis heute.

Und was hat  „Die Sympathisanten“  mit Kochen, Kunst & Ketchup zu tun?

Ganz einfach: Ich habe als Kind die Kleider meines Freundes Felix Möllers auftragen müssen / dürfen, weil unsere befreundeten Eltern lieber politische Diskussionen bis tief in die Nacht geführt haben, anstatt sich minütlich um uns zu kümmern. Uns hat das nicht geschadet. Ich habe an diese Zeit wunderbare Erinnerungen.  Vor allem, wenn ich zusammen mit meinem Eltern im Ferienhaus von Volker & Margarethe in der Toskana war. Natürlich wurde immer gut gegessen  und viel selbst gekelterter Wein getrunken und wie ich im Film erfahren habe, wurde das Haus sogar einmal von der Polizei durchsucht, weil angeblich deutsche Terroristen versteckt worden seien. Wahrscheinlich bin ich überhaupt nur deshalb Food-Bloggerin geworden, weil ich dort zum ersten Mal stundenlang mit einer Salatschleuder gespielt habe. Ich trage diese Erinnerungen der gemeinsamen Kocherei mit vielen Diskussionen tief in mir. Ob ich mich deshalb am Liebsten in Küchen aufhalte für gute Gespräche? Wahrscheinlich und gutes Essen schmeckt noch viel besser, wenn man davor einen wirklich hervorragenden Film gesehen hat, der bewegt und zum nachdenken anregt.

Jetzt im Kino: Die Sympathisanten – Unser deutscher Herbst

Der Film läuft „Die Sympathisanten – Unser deutscher Herbst“ von Felix Möller läuft derzeit im Kino und danach bei ARD und arte und ihr solltet ihn auf keinen Fall verpassen. Bei meinen Eltern im Regal steht immer noch dieses Foto aus der Zeit der Sympathisanten, mit mir im Vordergrund vor meiner Mutter und Volker 😉 Ich kann versichern, es waren keine Terroristen im Haus!

Toskana 1975

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