Kunst-Highlights im Januar 2022

Magische, poetische und spannende Kunst hilft. Denn der Januar ist nicht mein Freund. Der Monat ist grau, kalt und Omikron befeuert die Pandemie. Dazu bringt mir konsequentes detoxen wahlweise gute oder weniger gute Laune… Mein schneller Booster sind Kunst-Highlights. Hier meine Blog-Tipps in Berlin, München und ein Podcast-Muss.

written by Gastautorin Juliane Rohr 15. Januar 2022

1. Berlin

+ Johann Erdmann Hummel – Alte Nationalgalerie

Magische Spiegelungen

Schau genau! Hier dreht sich alles um die Details, um Spiegelungen, dabei ist die Malerei von ungeheurer Sachlichkeit und kommt mit wahnwitzigen Verschachtelungen daher. Johann Erdmann Hummel war in seiner Zeit ein gefragter Künstler. Dann geriet er in Vergessenheit. Die Alte Nationalgalerie in Berlin schenkt dem Maler (1769 – 1852) mit Magische Spiegelungen eine kleine, feine Ausstellung. Und bringt den Biedermeier-Künstler so zurück ins Bewusstsein des heutigen Publikums.

Bei Johann Erdmann Hummel geht es um Spiegelungen und Details. Wie hier im Bild Landschaft mit Regenbogen, 1841 gemalt.

Kunstvoll konstruiert

Hummel, der auch Professor in Berlin und Autor einiger Bücher war, ging es um Perspektive und Konstruktion. Er wollte Natur, Licht, Schatten nicht nachempfinden, sondern sie in seinen Bildern zusammensetzen, eben kunstvoll konstruieren. Besonders angetan hatten es ihm dabei Spiegelungen. Die fand er in Seen, Flüssen oder in glatten Oberflächen. Darin spiegelt er Regenbogen, lässt Gebäude und Menschen Kopf stehen.

Das Schleifen der Granitschale, 1831, zeigt König Friedrich Wilhelm III. beim Besuch in der Werkstatt.

Glücklich machende Bilder

Besonders bekannt ist sein Bild der großen Granitschale vor dem Alten Museum am Berliner Dom, dem Berliner Lustgarten. Johann Erdmann Hummel hat diese Schale in verschiedensten Gemälden präzise abgebildet. Er hat die Maserung des Steins, die Gebäude, die Menschen und Pflanzen drum herum, eingefangen. Magisch, fast so genau wie in Fotografien, die es aber damals noch nicht gab.

Über den Sinn und Unsinn der installierten Spiegelfolien zu Beginn und am Ende der Schau kann man trefflich streiten. Das scheint der nicht ganz so geglückte Versuch den Mann aus dem Biedermeier in die Jetztzeit zu katapultieren. Glücklich machen die Hummel-Bilder auch ohne Spiegel-Selfie-Mania.

Verschwommen – ein Selfie weit entfernt von Hummels Detailtreue

+ Künstler & Kolonialismus – Brücke Museum

Kluge Ausstellung

Die Debatte um den Kolonialismus und seine Verbrechen ist in vollem Gange. Kulturstaatsministerin Claudia Roth möchte die Rückgabe der Benin-Bronzen als weitere Anregung nutzen:

„Es geht um ein Erinnern in die Zukunft,

sagt sie. Jetzt beschäftigt sich auch das Brücke-Museum in Berlin-Dahlem mit diesem Thema und fragt Whose Expression? Die  Künstler der Brücke im kolonialen Kontext.

Die einfache Frage dahinter: Woher holten sich Avantgarde-Künstler wie Max Pechstein, Ernst-Ludwig Kirchner, Emil Nolde und Co. ihre Anregungen für ihre Malerei? Klar, sie malten gegen bürgerliche Enge an, aber eigneten sich zugleich fremde Kulturen an, als wären sie die ihre. Das ist die heutige Sicht. Im Brücke Museum wird das klug transportiert und zeigt die Maler dabei in neuem Licht.

Ernst-Ludwig Kirchner hatte sein Atelier im Stil fremder Kulturen eingerichtet.

Expressionismus trifft Kolonialismus

Inspirationsquellen waren die Völkerkundemuseen, man begeisterte sich für die dort präsentierte Raubkunst. Die Künstler reflektierten nicht, wo das, was sie malten, herkam. Besonders grusig muten heute die Völker-Schauen an. Dort wurden echte Menschen aus fernen, kolonialisierten Ländern wie in einem Zoo zur Schau gestellt. Damit wollte man Weltoffenheit demonstrieren.

Nolde und Pechstein reisten immerhin mit ihren Frauen in die Südsee und malten dort  romantisiertes Bilder. Ausbeutung der Menschen oder gar der Natur, die es nachweislich schon gab, bildeten sie nicht ab. In ihren Bildern ging es um Ursprünglichkeit, die von den Kolonialherren längst beendet worden war.

Eine politische Ausstellung und ein absolutes Muss. Ein toller Auftakt für ein hoffentlich spannungsreiches Kunstjahr.

Emil Nolde täuscht auf seinem Gemälde Meerbucht von 1914 über die Realität des Ortes hinweg. Sein Atelier befand sich in einem ehemaligen Gefängnis für Einheimische, die sich den Kolonialherren widersetzt hatten.

+ Sammlung Haubrok – Hamburger Bahnhof

Church for Sale

Auch im Hamburger Bahnhof ist eine sehr politische Ausstellung zu sehen, und sie fängt schon vor dem Museum an. Der Architekt Arno Brandlhuber hat ein monströses Gerüst mit metallischen Verschalungsplatten an das Gebäude gepflanzt. Das zieht sich in die historische Halle, teilt die Ausstellung Church for Sale in zwei Teile und bahnt sich den Weg aus dem Haus wieder raus.

Das Baugerüst nimmt Bezug auf den Bebauungsplan rund um und hinter dem Hamburger Bahnhof. Als der vor 25 Jahren (Happy birthday!) eröffnet wurde, war dahinter Berliner Ödnis, die nun verschwunden ist. Die Intervention des Architekten ist ein kritischer Kommentar auf die noch unsichere Zukunft des Museums und den immer knapper werden Raum in der Stadt.

Titelgebendes Kunstwerk von Edgar Arceneaux. Er thematisiert so den Ausverkauf der vom Bankrott bedrohten Autostadt Detroit. Selbst Kirchen standen zum Verkauf.

Kunst als politisches Tun

Doch kommen wir lieber zur gezeigten Kunst: Es ist eine Mischung aus Werken der Sammlungen Haubrok und der Nationalgalerie. Sehr minimalistisch und konzeptuell. Die Künstlern, die hier versammelt sind, begreifen Kunst als politisches Tun. Sie prangern alltägliche Gewalt, Aggression, Ausgrenzung und Machtstrukturen an. Mit ihren Skulpturen, Graphiken, Malereien und Videoarbeiten thematisieren sie die Verletzlichkeit der menschlichen Existenz.

Klingt sperrig, hat aber in der großzügigen Halle viel Raum. Und es lohnt, sich Zeit zu nehmen und mit dem Begleitheft in der Hand Werk für Werk abzugehen, um die Geschichten dahinter zu ergründen und die Kunst wirklich zu verstehen.

Bizarre Ungleichheiten

Manchmal ist es ganz einfach: Der Schlüsselbund namens Passe-Partout (Aspen), übersetzt Generalschlüssel, der italienischen Künstlerin Claire Fontaine ist so beiläufig in der Halle plaziert, dass ich ihn aufheben möchte. Damit hätte ich dann Zugang zu allem in einer der reichsten Städte Amerikas, nämlich Aspen. Hier haben nur die wenigsten Menschen Zutritt, weil sie sich das Leben dort nicht leisten können. Ein Ort, der für Fontaine die bizarren Entwicklung der sozialen Ungleichheiten verdeutlicht. Das Werk entstand im Jahr 2000 hat aber nicht an Gültigkeit verloren.

2. München

+ Nevin Aladag – Villa Stuck

Vielbeachtet

Möbel werden zu Instrumenten, Alltagsgegenstände zum Sprachrohr ihrer Umgebung, Teppichstücke zu bunten Gemälden. Die Bildhauerin Nevin Aladag verzaubert mit Sound of Spaces die Villa Stuck in München – das Publikum obendrein. Ihre Kunst war schon in Venedig auf der Biennale zu Gast und auf der documenta in Kassel zu sehen. Wie schön, dass ich mich hier in der bezaubernden Villa des Malerfürsten Franz von Stuck in ihre Videos, Klangmöbel und Skulpturen vertiefen kann.

Pure Poesie

Im Erdgeschoss passen sich Aladags als Möbelstücke getarnten Musikinstrumente perfekt an das historische Ambiente der Räume an. Bringen die Zimmer mit unterschiedlichen Resonanzkörpern zum Klingen. Ab und zu gibt es tatsächlich Performances. Ein Video davon bringt die Skulpturen im Kopf zum Tönen.

Im oberen Stock finden sich Aladags Social Fabrics. Mit Teppichstücken aus verschiedensten Herkunftsländern, stellt sie in Berlin wunderbar komponierte, abstrakte Gemälde her. Damit zeigt sie zugleich die Vielfalt kultureller Identität. Auch toll, ihre Stiletto-Bilder. Auf Kupferplatten  hinterlassen Tänzerinnen mit Highheels beim Tanzen Abdrücke.

Der Clou: Das Werk entstand bei einer Performance. Die Songs, zu denen die Frauen tanzten, kamen via Kopfhörern und der Betrachter hört nur das Klappern der Absätze. In Zeiten der Pandemie steigert das die Sehnsucht nach lebensfrohem Tanzen. Also einfach mal hohe Schuhe an und los geht‘s – am besten direkt in diese famose Ausstellung.

Sieht aus wie ein Virus, ist aber ein Musikinstrument…

3. Überall

Ein Podcast-Tipp

Ohren auf

Kunst zum Hören ist ein gute Laune Booster, der ebenso, wie eine gute Ausstellung Wissen en passant erweitert. Augen zu ist derzeit einer meiner Favoriten. Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit, spricht mit Autor und Rowohltverlags-Chef Florian Illies über Künstlerinnen und Künstler. Ich tauche in die Welt von Lotte Laserstein, Pablo Picasso oder Christo ein. Lerne nebenbei ihre Biografien, Arbeitsweise und Bemerkenswertes aus ihrem Leben kennen.

… und Augen zu

Schon allein die Titel der Kunst zum Hören machen Spaß: Gustav Klimt – große Kunst oder großer Kitsch?, Vincent van Gogh – kann ein Verrückter ein Genie sein?, oder Caspar David Friedrich – eher so der romantische Typ. In den knapp 40-minütigen Folgen stellt Giovanni di Lorenzo immer die erste Frage: „Lieber Florian, was siehst du, wenn du die Augen schließt und an… denkst?“

Danach wird über Kunst geredet, ohne, dass der Hörer sie sieht. Funktioniert und ist dabei herrlich leicht.

Infos:

In den links finden sich die Öffnungszeiten sowie die aktuellen Corona-Regelungen.

  • Johann Erdmann Hummel – Magische Spiegelungen

Alte Nationalgalerie, Berlin bis zum 20. Februar

  • Whose Expression? Die Künstler der Brücke im kolonialen Kontext

Brücke Museum, Berlin bis zum 20. März

  • Church for Sale – Werke aus der Sammlung Haubrok und der Sammlung der Nationalgalerie

Hamburger Bahnhof – Museum der Gegenwart, Berlin bis zum 19. Juni 2022

  • Nevin Aladag – Sound of Spaces

Villa Stuck, München bis zum 22 Februar

  • Augen zu – Der Kunst-Podcast

Gibt es zum Beispiel bei Spotify (da gibt es auch den Blogeigenen Podcast Rot & Blond)

 

 

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