Frauen-Power im grauen Winter

Und, schleicht der Winter-Blues ums Eck? Wie er das sonst gerne zwischen Januar und Februar tut? Wenn der Himmel bleischwer über der Stadt liegt. Leuchtende Farben, berührende Fotos und magische Formen in Ausstellungen von starken Frauen helfen. Und heben garantiert die Laune. Unsere Ausstellungs-Highlights in München und Berlin.

written by Gastautorin Juliane Rohr 28. Januar 2023

Etel Adnan Lenbachhaus, München

Kosmopolitin, Philosophin & Malerin

Sonne, Mond und Berge. Orange, pink und andere strahlende Farben. Etel Adnan ist eine spät entdeckte Malerin. Der Durchbruch kommt erst auf der documenta 13 im Jahr 2012. Diese betörende Schau im Lenbachhaus hat sie leider nicht mehr erleben dürfen. Die Schriftstellerin und Philosophin, die auch Malerin war, starb ein Jahr zuvor am 14. November 2021 in Paris.

Geboren als Tochter einer Griechin und eines Syrers wuchs sie im französisch kontrollierten Libanon auf. Französisch war ihre erste Sprache, sie machte ihren Abschluss in Philosophie an der Pariser Sorbonne. Adnan ging 1955 nach Berkeley und Harvard, schrieb fortan auf Englisch. Sie war eine Pionierin, Nomadin und Kosmopolitin zu gleich. Die Kriege der Zeit prägen ihr Denken und ihre Dichtung. In einem Gedichtzyklus sagt sie die Zerstörung des Nahen Ostens voraus.

Arabisch malen

Das Arabische vermisste sie immer und suchte in der Malerei nach ihren Wurzeln. Schuf abstrakte Farbwelten voller Licht und Wärme. Sie selbst sagt, dass sie „arabisch malt“. Die Wahl ihrer Farben ist so klar und leuchtend, wie der Orient selbst. Der Himmel, die Sonne, das Meer – traumhaft schön. Übrigens immer in kleinen Formaten.

Besonders faszinierend sind ihre Tapisserien, genauso bunt und schön. Schon als Studentin in Paris war sie von dem Handwerk des Webens fasziniert. Adan hatte 1966 nordafrikanische Länder besucht und die Kunst des Webens entdeckt. Die Stücke in der Ausstellung entstanden teilweise Jahrzehnte später nachdem sie die Skizzen gemacht hatte. Vorher hatte sie nicht genügend Geld, um die aufwändigen, teuren Wandteppiche weben zu lassen.

Leuchtende Poesie

Etel Adnan verbindet Abstraktes mit Emotionen, Orient und Westen. Philosophie und Kunst sind für sie eins. Das wird in ihren zauberhaften Leporellos deutlich, sie schreibt auf arabisch Gedichte, malt mit Leichtigkeit etwas dazu.

„Die abstrakte Kunst war das Äquivalent des poetischen Ausdrucks, ich musste nicht mehr mit Wörtern umgehen, sondern mit Farben und Linien.“

Die Welt der Malerei entdeckte sie schon Anfang der 1950er Jahre in Paris, doch selbst beginnt sie erst 1960 zu malen. Was für ein Glück. Die fantastische Retrospektive wandert im Anschluss nach Düsseldorf ins K 20 (ab 1. April bis 16. Juli).

Noch 2 x München

In der bayerischen Hauptstadt laufen noch zwei andere großartige Ausstellungen von Künstlerinnen, die wir hier im Blog bereits besprochen haben. Eine indische Fotografin und eine amerikanische Pionierin der Performancekunst. Wunderbare Welten, total unterschiedlich, aber beide sehr poetisch. Und in diesem rauen Winter, eine willkommene Auszeit für den Kopf.

  • Dayanita Singh – Dancing with my Camera in der Villa Stuck (bis 19. März)
  • Joan Jonas – im Haus der Kunst (bis 26. Februar)

Beide sind sehr beeindruckende Künstlerinnen. Wer noch nicht da war, nichts wie hin!

Im Haus der Kunst taucht das Publikum in die wunderbare Welt von Joan Jonas

Nan Goldin Akademie der Künste, Berlin

Klein, aber fein

Künstlerin, Fotografin und Aktivistin. Mit ihren intimen Fotos hat Nan Goldin die Fotografie radikal verändert und Kunstgeschichte geschrieben. Ihre Themen sind Liebe, Sexualität und Gewalt. Die Wurzeln ihres künstlerischen Schaffens liegen in Bosten, wo sie viel Zeit in der Bar „The Other Side“ verbrachte. Dort bewegten sich Drag-Queens und trans*Personen in ihrer eigenen Community und waren vor Übergriffen sicher. Die berührenden Fotografien aus dieser Zeit eröffnen die Ausstellung in der Akademie der Künste (am Hanseatenweg).

Anlässlich der Verleihung des Käthe Kollwitz Preises 2022 an die 70jährige Künstlerin werden in den Räumen beeindruckende Arbeiten aus fünf Dekaden ihres Schaffens gezeigt. Eine kleine feine Übersichtsschau. In zwei großen abgedunkelten Räumen tauche ich in die besondere Welt Nan Goldins ein.

Sinnlich & intim

Der tiefe Respekt, gepaart mit fotografischer Neugier ist in den Bildern zu spüren. Unabhängig von Zeit und Ort fotografierte sie Menschen, die frei von Geschlechterkonformität lebten. Sinnliche, poetische, verlorene Erinnerungen thematisiert sie ebenso wie Drogenabhängigkeit. Seit Anfang der 70er jähre kämpft Nan Goldin für die Akzeptanz von Menschen, die auf der anderen Seite der Gesellschaft leben. Einer Gesellschaft die weltweit ständig im Wandel ist.

Die Welt, die sie ablichtet, ist eine Welt, die auch heute noch vielen unbekannt ist. Egal, ob in Boston, New York, Berlin Manila oder Bangkok. Sie zollt den Menschen tiefen Respekt. Ihre Lebensgefährtin, Schriftstellerin Thora Siemsen, hat sie während der Pandemie fotografiert – Bilder von unglaublicher Intimität und Stille, die im Kopf bleiben.

Aktivistin Goldin

Mit ihren performanceartigen Aktionen in ihrem Lieblingsmuseum, dem Metropolitan Museum in New York, setzt sie gezielt Nadelstiche gegen den Pharmakonzern Sackler. Der viel Geld an Museen weltweit gespendet hatte, verdient mit der aggressiven Vermarktung von abhängig machenden Opiaten wie Oxycontin. Nach einer Operation am Handgelenk wurde Nan Goldin selber abhängig. Ihr Protest richtet sich weltweit gegen Museen, die Sackler-Geld angenommen hatten. Sie glaubt:

„Jede*r sollte seine Stimme erheben.“

Mit ihren Protesten gegen den Pharmariesen hatte sie Erfolg, die Namen ganzer Museumsflügel tragen nicht mehr den Namen Sackler. Viele Institutionen überdenken inzwischen, von wem sie Geld annehmen. Fakt ist: ohne Sposorengelder können viele Häuser – gerade in den USA – nicht existieren.

Im Mai kommt der Film „All the Beauty and the Blodshets“ in die deutschen Kinos. Darin berichtet die Dokumentarfilmerin Laura Poitras über Nan Goldins Kampf gegen die oxycodone-Hersteller. Dafür gab es in Venedig bei den Filmfestspielen 2022 einen goldenen Löwen. Der Film steht auf meiner Watchlist.

Leiko Ikemura – Georg Kolbe Museum, Berlin

Phantasiewelten

Diese Ausstelllung ist wie eine Reise durch verschiedene Materialien. Nämlich die, die Leiko Ikemura für ihre Skulpturen, Malereien und Videoarbeiten benutzt. Sie wurde als Malerin ausgebildet, daher findet sie auch in ihren Skulpturen zurück zur Farbigkeit. Selbst Bronze ist bei ihr in einen seltsam schönen türkis grünen Ton getaucht. Witty Witches im Georg Kolbe Museum versammelt eigenwillige, subversive Geschöpfe aus Bronze, Keramik und Glas. Die japanisch-schweizerische Künstlerin schafft hybride Wesen – eine vieldeutige Transformation zwischen Mensch, Tier und Pflanze.

So breitet die Häsin, Usagi Kannon, die mich im großen Raum begrüßt, ihren riesigen Rock wie einen Schutzmantel aus. Ich könnte hinunter schlüpfen und mich in der Höhle mitten im Museum in eine eigene Phantasiewelt träumen.

Überall Transformationen

Dabei ist nicht alles heile Welt bei Heiko Ikemura. Und auch nicht frei von Dystopie. In ihren neuesten, abstrakten Gemälde beschäftigt sich die in Berlin lebende Bildhauerin mit dem Unglück von Fukushima. Die Krisen, die wir gerade erleben, wollen nicht enden und die atomare Gefahr scheint mit dem beginn des Ukrainekrieges wieder allgegenwärtig. Dennoch sind die Gemälde nicht beklemmend. Der Pinselstrich kommt expressionistisch daher und  korrespondiert auf geheimnisvolle Weise mit den Skulpturen im Raum.

In den von ihr bespielten Räumen des Kolbe Museum laden geschwungene Sitzmöbel zum Verweilen und Nachdenken. Die organische Ausstellungsarchitektur stammt von Leiko Ikemuras Mann, dem Architekten Philipp von Matt.

Reine Alchemie

Ganz zauberhaft die nagelneuen Skulpturen aus Glas im Untergeschoß. 2020 war Leiko Ikemura eingeladen in Murano Glasarbeiten zu produzieren, was die Pandemie jedoch verhinderte. Kurzerhand beschloss sie selbst in ihrem Berliner Atelier im Keramikofen den komplizierten Brennprozess auszuprobieren. Geglückte Alchemie.

Je nach Sichtposition und Licht transformieren sich diese zu Glas erstarrten Arbeiten, die irgendwie noch so weich erscheinen. Zum dahinschmelzen schön. Magisch, oder einfach völlig Witty Witches!

Mehr Frauen-Power

Bonvicini vs. van der Rohe

Monica Bonvicini bespielt die Neue Nationalgalerie mit „I do You“ einer tollen architektonischen Intervention in dieser Architektur-Ikone. Zur Besprechung geht es hier entlang.

Ich wünsche viel Spaß beim Abhängen in den aussergewöhnlichen Hängematten oder beim Entspannen in den tollen Eternit-Loop-Stühlen von Willy Guhl im Sado-Maso-Look Ich überlege ständig, ob ich lieber in den Berliner Himmel, die Decke des Mies van der Rohe-Gebäudes oder auf die achtlos ausgezogenen Hosen der Künstlerin starre. Fest steht: I can’t get enough! von dieser Schau.

INFO

Etel Adnan

Die Ausstellung ist im Kunstbau zu sehen, U-Bahn Station Königsplatz

  • bis 26. Februar
  • Di – So 10 bis 18 Uhr, montags geschlossen

Mehr Infos: Lenbachhaus, München

Nan Goldin

  • bis 19. März
  • Di – Fr 14 bis 19 Uhr, Sa, So Und Feiertage 11 – 19 Uhr, Montags geschlossen

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin

Leiko Ikemura – Witty Witches

  • bis 1. Mai
  • täglich 11 bis 18 Uhr, dienstags geschlossen

Georg Kolbe Museum, Sensburgerallee 25, 14055 Berlin

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