Kunst-Highlights im April

Der Berliner Gropius Bau zieht doppelt in den Bann. Einmal lockt Indien, fast möchte ich durch die Ausstellung von Dayanita Singh tanzen. Und die Schau über das Beirut der 60iger Jahre verdeutlicht wie fragil unsere Welt ist. Kunst-Highlights in Berlin und anderswo.

written by Gastautorin Juliane Rohr 15. April 2022

Gropius Bau

  • Dayanita Singh – Dancing with my Camera

Schwarz-weiß in allen Schattierungen

Wenn Indien auf Fotos gezeigt wird, ist das normalerweise mit Farbe verbunden – mit viel Farbe und die dann so richtig schön knallig bunt. Die indische Welt ist so anders als unsere. So ganz anders sind auch die Fotografien von Dayanita Singh, die derzeit im Erdgeschoss des Gropius Bau zu sehen sind. Bei ihr sind die Abzüge allerdings in schwarz-weiß.

Und dann sind diese subtilen Bilder nicht einfach nur an die Wand genagelt. Foto-Architekturen nennt die Direktorin des Museums, Stephanie Rosenthal, die Bilder. Singh befreit zudem das Buch aus dem Bücherregal. Bei ihr wird es zum voll einsehbaren Buch-Objekt.

Dayanita Singh & das mobile Museum

Ihre Fotografien, die sie aus einem riesigen Archiv schöpft, werden zu kunstvollen Installationen. Dayanita Singh präsentiert ihre Fotos in beweglichen Paravents, Koffern und selbst die Holz-Tableaus, die an der Wand hängen, können verändert werden. Das übernehmen während der Ausstellungsdauer übrigens die Kuratoren des Gropius Baus. Also bitte nicht selber Hand anlegen.

Wenngleich die Versuchung groß ist die Bilder zu aktivieren, in Bewegung zu setzen und so eine andere Sicht auf sie zu bekommen. Es gibt sogar eine Jacke, die einmal angezogen zum mobilen Museum wird. Diese Künstlerin sprudelt nur so vor Ideen. Ich durfte sie mehrfach in Aktion erleben. Was für ein Geschenk. Die Ausstellung wandert übrigens weiter in die Villa Stuck nach München, vielleicht gibt es dort wieder die Gelegenheit ihr zu begegnen.

Bewegung als Leitmotiv

Dancing with my camera enthüllt nicht nur Auge und Kopf von Singh, es zeigt auch ihre enge Beziehung  zu den Personen, die sie fotografiert. So tauchen immer wieder vertraute Gesichter auf: ihre Mutter, Freundinnen, wie Mona und ihr Mentor Ustad Zakir Hussain. Dayanita Singh sagt mit ihrer Kamera, einer Hasselblad, vor dem Bauch

muss ich mich bewegen und tanzen, um die Arbeit auszuüben.

Menschliche Nähe, Tanz, Bewegung sind ihr Leitmotiv, wenn sie mit der Kamera loszieht. Eigentlich wird hier ein Gefühl ausgestellt. Ein lebendiges Archiv, das immer neue Geschichten erzählt, sich verändert und neue Perspekiven öffnet. So lebendig wie wir. Was für eine wunderbare Ausstellung.

  • Beirut and the Golden Sixties. A Manifesto of Fragility

Paris des Ostens

Und noch einmal steht ein Gefühl im Mittelpunkt, das Lebensgefühl der goldenen Sechziger in Beirut. Damals galt die Stadt als das Paris des Ostens. Dem Mythos nach war Beirut glamourös, luxuriös, kosmopolitisch und das Leben dort schien ein einziges Fest zu sein. Doch nach jedem Rausch kommt das nüchterne Erwachen und das endete in Beirut bekanntermaßen in einem Bürgerkrieg und Zerstörung.

Verheißungsvoll: Beirut in den sechziger Jahren

Beirut war so divers

Das Kuratorenduo Sam Baradouil und Till Fellrath, seit Beginn des Jahres Direktoren am Hamburger Bahnhof in Berlin, beschäftigen sich mit der Zeit 1958 bis 1975. Da brach, nach der Libanonkrise, der Bürgerkrieg aus, der 15 lange Jahre dauern sollte. Spannungen gab es schon in der Zeit davor, wie die Ausstellung belegt. Ganz klar, das hier ist keine Schau über Beirut, sondern über die Vielfalt der Einflüsse, über seine Künstler:innen und diese so ambivalente Zeit des Umbruchs.

Tolle Ausstellungsarchitektur von Andreas Lechtaler

Eine Ausstellung in fünf Kapiteln

In Beirut in the Golden Sixties. In A Manifesto of Fragility werden viele Strömungen gezeigt: Partyfilme, Szenen vom Strand, Werbebilder, Kunstwerke mischen sich mit Bildern der beginnenden Gewalt: Ein cooles Pärchen prangt überlebensgroß auf der Wand. Einziger Störfaktor: beide haben unglaublich lässig Kalaschnikows in der Hand. Das sehe ich erst auf den zweiten Blick und es bewegt mich noch jetzt, während ich schreibe. Erinnert an den so nahen Ukraine-Krieg.

Wie viele Lebensentwürfe existierten in Beirut nebeneinander?

Das ist die Frage die nachhallt. Man mag die meisten der 35 Künstler:innen und ihre 220 Kunstwerke, die hier gezeigt werden nicht kennen, aber die Bilder, Keramiken, Skulpturen und Tapisserien versetzen mich immer wieder ins Staunen. Wie sehr Abstraktion, Figuration, Surrealismus und Op-Art miteinander verbunden sind – welche Energie von den Arbeiten ausgeht.

Das gepaart mit dem Lebensgefühl, der Zerbrechlichkeit und auch der gleichzeitigen Leichtigkeit im Beirut der Sechziger, macht diese Ausstellung in fünf Kapiteln so wahnsinnig erlebenswert.

 

Tapisserie trifft Foto. Gute 200 Dokumente gesellen sich zur Kunst

Zerbrechliches Beirut

Besonders auch die Videoinstallation von Joana Hadjithoomas und Khalil Joreige im letzten Raum. Es zeigt Aufnahmen der Überwachungskamera aus dem Sursock Museum. Zunächst ist alles ruhig, an diesem 20. August 2020 um 18.03 Uhr. Ein Hochzeitspaar wird fotografiert, das Museum hat gerade geschlossen. Doch dann explodiert im nahen Hafen  ein Lagerraum. 2750 Tonnen Ammoniumnitrat zerstörten zwei Drittel Beiruts. Die Stadt bleibt verletzlich.

Diese famose Beirut-Ausstellung wandert im Sommer nach Lyon: Dort findet vom 14. September bis zum 31. Dezember die Lyon Biennale statt. Die Kuratoren Sam Baradouil und Till Fellrath kuratieren sie in diesem Jahr und haben für sie das Manifest der Zerbrechlichkeit ausgerufen.

Lust auf mehr Kunst?

Noch mehr aktuelle Kochen Kunst und Ketchup Tipps in Berlin, Leipzig und Nürnberg finden sich in unseren März- Highlights.

Zwei Tipps in Berlin

Ich habe mir vorgenommen über die Osterfeiertage in der Alten Nationalgalerie endlich Paul Gauguin – Why are you so  Angry? anzuschauen. Die Südsee-Bilder, die Gauguin 1891 – 1900 in Tahiti malte, strotzen nur so von Exotik und Erotik. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskurse über Postkolonialismus eröffnet die Schau neue Blickwinkel. Und kombiniert sie mit aktuellen Werken zeitgenössischer Künstler*innen wie Angela Tiatia (Neuseeland/Australien)  und den tahitianischen Aktivisten und Künstler Henri Hiro (Französisch-Polynesien).

Und wenn wir es schaffen zeitlich einen Osterspaziergang zu machen, dann am liebsten in Potsdam. Denn in der Villa Schöningen steht Blanc de Blancs auf dem Programm. Und wie der Ausstellunsgtitel schon verrät, dreht sich in der Schau alles um die Farbe weiß. Die weiße Taube als Friedenssymbol wird ebenso thematisiert wie Perfektion, Stille oder Kühle. Ich bin gespannt!

Und einer in München

Im Haus der Kunst steht Fujiko Nakaya. Nebel Leben auf meiner Wunschliste. Die japanische Künstlerin macht aus Nebel Skulpturen. Dabei geht es um Natur aber auch um das Gefühl von Angst, was durch Nebel erzeugt wird. Unglaublich und eine phantastische Erfahrung, auf die ich mich freue. Wann auch immer ich es wieder nach München schaffe…

Frohe Ostern aus Berlin

Infos

Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin

  • Dayanita Singh: Dancing with my Camera bis zum 7. August
  • Beirut and the Golden  Sixties: A Manifesto of Fragility bis zum 12. Juni

Und fast schon Routinemäßig gibt es den Hinweis auf unsere Kunst kocht – Kulinarik im Museum Serie. Zur Folge mit dem Gropius Bau geht es bitte hier entlang. Viel Spaß!

Alte Nationalgalerie, Bodestraße, 10178 Berlin

  • Paul Gauguin – Why are you so angry? bis zum 10.Juni

Villa Schöningen, Berliner Straße 86, 14467 Potsdam

  • Blanc de Blancs bis zum 8. Mai

Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, 80538 München

  • Fujiko Nakaya. Nebel Leben bis zum 31. Juni

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