- Bestandsaufnahme Gurlitt – Ein Kunsthändler im Nationalsozialismus
- Die koreanische Künstlerin Lee Bul mit ihrer Werkschau „Crash“
- Archäologie in Deutschland – Bewegte Zeiten
Mein Museumsliebling, der Gropius-Bau
Der Gropiusbau ist eines meiner Lieblingsmuseen. Im italienischen Renaissancestil 1881 fertiggestellt, war es ursprünglich Berlins Kunstgewerbemuseum. Ab 1918 beherbergte es Vor- und Frühgeschichte und ostasiatische Kunst. Nach dem 2. Weltkrieg blieb von dem Bau nur noch eine Ruine und sollte abgerissen werden. Der Bauhaus-Architekt Walter Gropius konnte das Vorhaben stoppen und so wurde das Gebäude renoviert. Der Eingang des Museums war zu Mauerzeiten übrigens auf der Rückseite des Hauses. Das prächtige Hauptportal lag schließlich direkt vor der Mauer. Ein Messingband, das auf der Niederkirchnerstraße entlang läuft, erinnert heute noch an die Mauer.
Ausgezeichnete Ausstellungen im Gropius-Bau Berlin
Inzwischen zählt der Gropiusbau zu den spannendsten Museen Europas. Die Philippe Parreno Ausstellung im Frühjahr wurde gerade als Ausstellung des Jahres 2018 ausgezeichnet. Über die poetische Schau hatte ich hier berichtet. Momentan sind gleich drei interessante, wunderbare und gleichermaßen bewegende Ausstellungen zu sehen. Der Weg lohnt sich also dreifach und es ist wirklich für jeden Geschmack etwas dabei.
1. Gropius-Bau – Bestandsaufnahme Gurlitt
Kunstschatz
Wer sich mit dem spektakulärsten Kunstfund seit 1945 auseinandersetzen will, der fängt am besten im obersten Stockwerk des Gebäudes an:
Der Fall Gurlitt oder der Skandal Gurlitt?
Die Ausstellung nennt sich wenig reißerisch
Bestandsaufnahme Gurlitt – ein Kunsthändler im Nationalsozialismus.
Es wird anhand des gezeigten Kunstschatzes ein Stück Zeitgeschichte beleuchtet – auch die Geschichte der Opferfamilien. Interessant dabei auch die Frage, wie wurde im 3. Reich mit Kunst, die eigentlich als „entartet“ galt, gehandelt?
Das Who-is-who der Kunst
Quer durch die Kunstepochen finden sich 200 Kunstwerke von Albrecht Dürer oder Cranach über Claude Monet, Max Liebermann bis zu Ernst Ludwig Kirchner, Otto Dix und Auguste Rodin. Bilder, die nach dem 2. Weltkrieg als verschollen galten.
Wer war Hildebrand Gurlitt?
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurden rund 20 000 moderne Kunstwerke als „entartet“ aus den Museen entfernt. Nach der Ausstellung „Entartete Kunst“, die quer durch Deutschland gezeigt wurde, verschwanden sie größtenteils im Schloß Schönhausen und wurden von dort aus verkauft. Hildebrand Gurlitt war einer von vier Experten, der den Nazis seine Dienste angeboten hatte.
Bis zu 4000 Bilder sind so durch seine Hände gegangen. Als Kunsthistoriker setzte er sich zunächst für die Kunst-Avantgarde ein, aber als Kunsthändler profitierte er von der Enteignung europäischer Juden und diente zudem dem NS-Regime.
Hat er Kunstwerke gerettet, war er Kollaborateur oder Profiteur? Man kann versuchen, sich in der Ausstellung selber darüber ein Bild zu machen.
Versteckte Sammlung
Die Aliierten erklärten Hildebrand Gurlitt jedenfalls für „unbelastet“, er startete seine nächste Karriere und wurde in Düsseldorf Direktor des Kunstvereins für das Rheinland und Nordrhein-Westfalen. Dort konzipierte er – bis zu einem tödlichen Autounfall 1956 – erfolgreich Ausstellungen über moderne Kunst.
Nach seinem Tod ging seine private Sammlung von 1500 Kunstwerken an seinen Sohn Cornelius über und geriet in Vergessenheit. Bis sie im November 2013 wieder auftauchte: Die bayerische Staatsanwaltschaft hatte die Sammlung bei dem inzwischen 80jährigen Cornelius Gurlitt in München beschlagnahmt, da sie wegen Verdachts auf Unterschlagung gegen ihn ermittelten.
Raubkunst?
An dem sogenannten Schwabinger Kunstfund haftete sofort der Verdacht, dass es Raubkunst aus der Zeit des Naziregimes sei, und stand blitzartig im Licht der Öffentlichkeit. Cornelius Gurlitt wollte geraubte Kunstwerke restituieren. Bis heute konnten vier Bilder an ihre Besitzer zurückgegeben werden. Als er 2014 starb, vermachte er die Gurlitt-Sammlung dem Kunstmuseum in Bern.
Sehr informativ
In der klar kuratierten Schau kann man sich ein Bild von Hildebrand Gurlitts Lebenswendungen machen, aber auch über die Schicksale jüdischer Sammler, Künstler und Kunsthändler, die verfolgt wurden. Eine bewegende Ausstellung für die man Zeit mitbringen sollte. Über die komplexe Geschichte der Objekte, der Verfolgten und von Gurlitt kann man noch lange durchaus kontrovers diskutieren.
2. Lee Bul mit ihrer Werkschau „Crash“ im Martin-Gropius-Bau
Ein Zeppelin schwebt über allem
Den Lichthof im Gropiusbau mag ich sehr, er ist immer wieder spektakulär und wird bei jeder Ausstellung anders in Szene gesetzt. Momentan schwebt der Zeppelin von Lee Bul über den Resten der Kölner Hafenmauer. Die koreanische Künstlerin möchte, dass man sich anhand ihrer Kunst durch die Zeit an verschiedene Orte bewegt. An dieser Stelle ist das wirklich besonders gelungen.
Innen nach Aussen gestülpt
Wie durch verschiedene Landschaften bewege ich mich auch durch die Werksschau „Crash“ in den Räumen rund um den Lichthof im 1. Stock. Da liegen Schönheit und Hässlichkeit dicht beieinander. Beispielsweise die Körperhüllen, die von der Decke baumeln. Diese Monsterkostüme hat Lee Bul zu Performances auf der Straße getragen. Es wirkt, als ob sie dabei ihren eigenen Körper von Innen nach Außen stülpen wollte.
Begehbarer Spiegel
Körper sind ein wiederkehrendes Thema. In der großen, begehbaren Spiegelinstallation (Via Vegativa II) werde ich auf mich selbst zurückgeworfen. Reflektionen, ein Labyrinth und am Ende ein kleiner Infinity-Room voller Glühbirnen, die kein Ende finden, sind immersive Kunst vom Feinsten.
Visionen & Utopia
Manche Arbeiten von Bul wirken wie dreidimensionale Bilder. Da ergießen sich Spiegel über den Boden, darüber sind schwarze Perlen arrangiert. Bilder auf Seide gemalt und mit Spiegelsplittern oder Perlmutt belegt, Leder wird kunstvoll collagiert. Woanders tun sich in den Räumen utopische Architekturobjekte auf. Phantasievolle Visionen, in denen an die Hagia Sofia in Istanbul oder die Berliner Bruno-Taut-Siedlung erinnert wird.
Einfach bezaubernd
Alle von Lee Bul verwendeten Materialien reflektieren historische und politische Bezüge eines Landes, das sich von einer Diktatur zur Demokratie gewandelt hat. Diese Werksschau ist zudem sehr mit ihrer eigenen Geschichte verbunden. Und bei aller Provokation und intellektuellem Anspruch sind die Installationen, Skulpturen, Bilder, Zeichnungen auch sehr poetisch – bezaubernd und verzaubernd.
Alle Sinne werden in „Crash“ aktiviert – ein unbedingt sehenswertes Highlight.
3. Archäologie in Deutschland – Bewegte Zeiten im Gropiusbau
Ausgegrabene Highlights
In eine komplett andere Zeit tauche ich im Erdgeschoss:
Bewegte Zeiten – Archäologie in Deutschland.
Die Ausstellung belegt eindrucksvoll, dass Menschen sich immer schon über ihre Grenzen hinaus bewegt haben. Sie haben Ideen ausgetauscht, mit Waren gehandelt und Konflikte ausgetragen. Die Ausstellungsmacher zeigen im Gropiusbau die herausragenden archäologischen Funde der vergangenen 20 Jahre in Deutschland. 1000 Objekte aus 300 000 Jahren Menschheitsgeschichte. Spannend, verblüffend und schön.
Die Kölner Hafenmauer
Zunächst stehe ich unter Lee Buls Zeppelin vor den Resten der Kölner Hafenmauer aus dem 1. Jahrhundert nach Christus, die von den Römern dierkt nach Kölns Gründung gebaut wurde. Vor einigen Jahren erst hat man sie beim Bau eines U-Bahntunnels in Köln freigelegt. Jetzt sind 20 dieser Eichenbohlen als Zeugen jener Zeit im Gropiusbau aufgereiht. Vor ihnen, quasi im Kölner Hafenbecken, liegen – in Vitrinen und Kästen drapiert – Tonscherben aus dem alten Rom.
Auch beeindruckend der sogenannte Berliner Skulpturenfund. Im Jahr 2010 wurden am Roten Rathaus bei Grabungen Skulpturen der klassischen Moderne entdeckt, die in den „entartete Kunst“ Ausstellungen der Nationalsozialisten gezeigt worden waren. Sie hatten den Brand in einem Depot überstanden.
Es geht in der Schau auch um Häuserbau – hier am Beispiel von Lübeck. Hier wird belegt, dass Städte nicht einfach entstanden sind, sondern geplant wurden.
Von Himmelsscheiben und Goldhüten
Staunend stehe ich in einem spärlich beleuchteten Raum vor der Himmelsscheibe von Nebra. Sie ist aus Gold und Bronze, bildet den Kosmos ab und ist rund 4100 Jahre alt. Mit ihr versuchte man Sommer- und Wintersonnenwende zu bestimmen, um den optimalen Zeitpunkt zur Ernteaussaat zu finden. Beeindruckend auch die 75 Zentimeter und ungefähr 3000 Jahre alten hohen Goldhüte. Zu welcher kultischen Gelegenheit wurden sie wohl getragen?
Bewegte Zeiten
Jahrhunderte alter Schmuck und Porzellan sind ebenso faszinierend wie die Venus vom Hohle Feld auf der Schwäbischen Alb. Diese Figur ist 35 000 bis 40 000 Jahre alt und gilt als das älteste Kunstwerk der Welt. Ich bewege mich quer durch alle Epochen, beschäftige mich mit Transportwegen vor der Erfindung von Eisenbahn und Auto. Es geht um Wanderbewegungen oder freiwillige Reiselust bis hin zu Flucht oder Verschleppung.
Bewegende Ausstellungen
Alles ist in Bewegung und wir alle sind Migranten und Migration ist der Anfang aller Entwicklung – mit diesem Fazit verlasse ich die Ausstellung. Wieder auf der Straße vor dem Martin-Gropius-Bau werde ich plötzlich an die Zeiten der Mauer erinnert und bin froh, dass sich auch hier etwas bewegt hat.
INFOS:
Niederkirchnerstrasse 7
10963 Berlin
- Bewegte Zeiten noch bis 6. Januar 2019
- Lee Bul noch bis 13. Januar 2019
- Bestandsaufnahme Gurlitt bis 7. Januar 2019
Öffnungszeiten
- Mittwoch bis Montag 10 – 19 Uhr
- Dienstags geschlossen