Kunst-High statt Winter-Blues

Gegen den Winter-Blues, den farblosen Januarhimmel hilft: Na? Klar, die treuen Lesenden unseres Blogs wissen es: KUNST. Schnell Abtauchen in andere Welten. Dieses Mal verführen uns Kunst im Schaufenster, böse Blumen, textile Skulpturen und eine KI-gesteuerte Ausstellung. Hier die Tipps für Basel, Berlin, Bottrop, Düsseldorf und München.

written by Gastautorin Juliane Rohr 19. Januar 2025

1. Basel

Fresh Window. Kunst & Schaufenster – Museum Tinguely

Wussten Sie, dass Jean Tinguely seine Künstlerkarriere als professioneller Schaufensterdekorateur begonnen hat? In diesem Jahr feiert das Baseler Museum Tinguely den 100. Geburtstag des großen Schweizer Bildhauers (22. Mai 1925 – 30. August 1991). Es wird sogar eine Achterbahn für alle vor dem Museum geben. Aber zurück ins Hier und Jetzt und frische Fenster.

Was später die kunstvollen Maschinen aus gefunden Metallteilen wurden, war in den Anfängen von Jean Tinguely filigraner Draht. Einige dieser von ihm geschaffenen Fenster kann man derzeit in Fresh Window. Kunst & Schaufenster begutachten.

Vitrinen funktionieren wunderbar als muselaer Raum im Kleinen.

Und angesichts großer Namen wie eben Tinguely, Andy Warhol, Robert Rauschenberg oder Jasper Johns wundere ich mich, warum bisher noch kein Museum auf die famose Idee kam Kunst im Schaufenster mit einer Ausstellung zu verknüpfen. 40 zeitgenössische KünstlerInnen zeigen, wie sie das Fenster eines Geschäftes als Bühne für ihre Malerei, kritische Performances, Skulpturen oder bildstarke Installationen nutzen.

Kunst trifft Kommerz

Das Thema ist vielschichtig und kommt durchaus politisch daher. In Zeiten des Online-Handels verlieren die Auslagen von Geschäften, werden unwichtiger und durch den Laptop-Bildschirm ersetzt. Dabei sind die Fenster auch eine Membran, die verbindet, trennt und vermischt. Die Auslage thematisiert den Voyerismus und das Begehren.

Wenn ich an Schaufenster denke, habe ich sofort die ikonische Filmszene mit Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffanys vor Augen. Sie steht im kleinen Schwarzen mit Wachsperlen-Collier, riesiger Sonnenbrille und tollstem Hut vor den Auslagen und schmachtet die Juwelen an. Oder mir fällt Christo ein, der bereits Schaufenster verhüllte, bevor er sich ganze Gebäude vornahm. Natürlich ist der grandiose Verpackungskünstler im Tinguely vertreten.

Junge Kunst in der Stadt

Die Ausstellung im Tinguely Museum erstreckt sich übrigens seit Mitte Januar ins Innenstadtgebiet. Sieben Fenster, klug in der Stadt verteilt, werden von ehemaligen Studierenden des Instituts Kunst Gender Natur der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW bis zum 2. März besonders und anders bespielt.

Tiere, Pflanzen, Objekte, Sätze, Performances, gefärbte Gläser, Lichtshows machen die Fenster zu einer Open-Air-Ausstellung für alle. Augen auf und viel Spaß beim Entdecken der Kunst in den Fenstern.

Noch zwei Tipps für Basel

Bequem mit der Straßenbahn schnell noch zur Foundation Beyeler nach Riehen schuckeln. Dort läuft noch bis zum 26. Januar die vielbeachtete Soloschau Matisse – Einladung zur Reise. Herrlich bunt, bekannte und überraschende Bilder.

Und in der Stadt wird im Kunstmuseum das Schaffen der portugiesisch-britischen Malerin Paula Rego seziert. Die monografische Ausstellung Machtspiele ist noch bis zum 2. Februar zu sehen.

Es geht um Machtdynamiken zwischen Mann und Frau, familiäre Bindungen und Abhängigkeiten. Rego war 2022 auf der Biennale in Venedig zu Gast – ihr Werk ging mir schon damals unter die Haut.

2. Berlin

Böse Blumen – Sammlung Scharf Gerstenberg

 Ambivalenz pur

Schön, hässlich, zauberhaft, anziehend, obszön, bizarr, verstörend oder faszinierend. In jedem Fall spielt die Ausstellung „Böse Blumen“ mit einem enormen Spannungsfeld.

Ausgangspunkt ist der Gedichtband „Les Fleurs du Mal“ von Charles Baudelaire. Das Buch erschien 1857 bis 1868 in drei unterschiedlichen Fassungen mit wachsendem Umfang.  Und sorgte in der ersten Ausgabe für einen Skandal, es kam zum Prozess und wurde verboten.

Seither fasziniert dieses Buch KünstlerInnen, Autoren und KomponistInnen.

Von Eros bis Kitsch

Baudelaire ging es um die Idee des Bösen, des Verbotenen, der menschlichen Abgründe und auch der Erotik. In der Ausstellung steht Odilon Redlons Kohlezeichnung Fleur du Mal von 1880 am Anfang. Die Kapitelunterteilungen –  Depression, Eros und Rausch, Krankheit und Verfall, Surrogate, Kitsch und Irrgärtnerei – halten, was sie versprechen.

120 Kunstwerke von Dadaistin Hannah Höch über Zerokünstler Otto Piene bis zu zeitgenössischen Künstlern wie  Julius von Bismarck sind wunderbar zusammengetragen. Ein anregender sowie wohltuend bunter Kunst-Ausflug im gerade eher tristen und wintergrauen Berlin.

Noch mehr Tipps:

Es gab viel Tamtam um die Eröffnung der Ausstellung von Nan Goldin in der Neuen Nationalgalerie. Das Thema lasse ich hier beiseite. Die Schau This will not end Well läuft noch lange bis zum 6. April und jedes einzelne der sechs Zelte in der gläsernen Halle erhöhen den deep dive in ihr umfangreiches Werk. Sie ist eine vielbeachtete Fotografin und Aktivistin. Mehr bald dazu im Blog.

Die beeindruckend, intimen Porträts der niederländische Fotografin Rineke Dijkstra sind nur noch bis zum 10. Februar in der Berlinischen Galerie zu sehen. Lohnt sehr!

3. Bottrop & Düsseldorf

Sheila Hicks – Kunsthalle & Museum Quadrat 

Gewebte Skulpturen

Schlicht und einfach Sheila Hicks. Der Name der international renommierten Künstlerin ist zugleich der Titel von zwei Ausstellungen. Das Thema: Was man mit einem Faden alles machen kann.

Sheila Hicks zeigt in der Düsseldorfer Kunsthalle und in Bottrop, was sie seit Jahrzehnten geschaffen hat. Die international renommierte Künstlerin macht aus Fäden eindrucksvolle, farbintensive Bilder und Skulpturen.

Dazu benutzt sie Wolle, Seide oder Stroh. Auch feines Stahlgewebe, wie es zur Herstellung von Autoreifen benötigt wird, verarbeitet sie zu Kunst.

Letztlich bestimmt die Beschaffenheit der erstaunlich vielfältigen Materialien die skulpturale Inszenierung. Mit Textil, deren Struktur und knalligen Farben verändert Hicks unsere Sichtweise auf Räume.

Unzählige Fäden

Malerei und Bildhauerei verschmelzen bei der US-amerikanischen Künstlerin zu etwas Neuem. Dabei produzieren die eng aneinander liegenden Fäden diesen eindrucksvollen Wechsel aus Schattenspiel und Farbfeldern.

Hicks schafft teilweise winzig kleine Werke.

Dann wieder monumentale, raumgreifende Installationen, die für immer im Kopf bleiben.

Mit 20 Jahren begann Sheila Hicks an der Yale Universität bei Josef Albers zu studieren. Er war der Meister des Quadrats und der Farbe. In beiden Schauen sind auch frühe Arbeiten von Hicks aus ihrer Studienzeit zu sehen. Spannend.

Die 90-jährige lebt und arbeitet übrigens in Paris. Um so überraschender, dass es bislang noch keine Hicks-Soloschau in Deutschland gab. Jetzt aber gleich an zwei Orten. Die Kunsthalle geht nach der Hicks-Soloschau übrigens in die Renovierung und hat dann erstmal geschlossen.

Nach Bottrop ins Josef Albers Museum Quadrat habe ich es leider nicht geschafft, aber die Schau dort ist sicher ebenso beeindruckend wie die in Düsseldorf. Ein must-see.

Noch mehr Tipps:

Die deutsche Künstlerin Katharina Sieverding, 1941 geboren, hat mit monumentalen Fotoarbeiten, Body Art und Performances die Fotografie auf ein neues Level gehoben. Ihre erschreckend politisch aktuelle Retrospektive, die schlicht Katharina Sieverding heißt, läuft noch bis zum 23. März in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21. Don’t miss!

Wer noch nicht in der Langen Foundation bei Neuss war und sich die großartige Ausstellung Pink Noise von Troika angeschaut hat … sie ist noch bis zum 16. März zu sehen. Zur Besprechung bitte hier entlang

4. München

Philippe Parreno. Voices – Haus der Kunst

Eine Reise in die Zukunft

Er ist ein Meister der Inszenierung und der Überraschung: Bei Philippe Parreno sprechen schon mal Steine, fliegen Fische unter der Decke und Hefekulturen erschaffen neue Welten. Nun verzaubert der französische Künstler Neugierige im Münchner Haus der Kunst mit Bewegung, Licht, Stimmen, Tanz und vor allem mit Künstlicher Intelligenz.

Voices heißt die ambitionierte Schau. Und ja, KI steuert die gesamte Ausstellung. Das, was im Berliner Gropius Bau vor sieben Jahren noch die bereits erwähnten Hefekulturen übernahmen, ist nun in der gesamten Münchner Ausstellung Sache dieser rätselhaften Drahtzieher.

Überraschende Sci-Fi-Wunderkammer

Alles gleicht einer einzigen mechanischen Science-fiction-Wunderkammer. Alles ist durch KI gesteuert, miteinander vernetzt und reagiert auf die Bewegungen, Stimmen, und sogar den Atem des Publikums. Film, Sound, technische Wesen und Apparaturen werden zur raumübergreifenden Installation.

Begrüßt werde ich bereits, bevor ich die eigentliche Ausstellung betrete, von einer riesigen blinkenden weißen Box. Die gleitet lautlos, wie von Geisterhand angestupst, auf mich zu.

In der riesigen Mittelhalle stehe ich vor einer Leinwand und starre je nach Tageszeit auf rotblinkende Lichter oder eine Mandelplantage in karger Landschaft. Ist das ein Hinweis auf den Klimawandel? Parreno verriet auf der Pressekonferenz, dass seine Familie aus der Gegend um Almeria in Spanien stamme.

Vieles in dieser Ausstellung bleibt verrätselt.

Und in einem Raum steht der alles steuernde Server…

Doppelte Freude

Dazu erklingt die Stimme von Susanne Daubner, deren Timbre wohlig vetraut und zugleich extrem fremd klingt. Was redet sie genau? Können es die anderen BesucherInnen entschlüsseln? In den kommenden Monaten wird der Text, den sie spricht zu einer neuen Sprache geformt.

Mehrmaliger Besuch ist also dringend erwünscht.

Auch, wegen einem anderen Highlight, Tino Sehgal. Denn in den Räumen treffe ich auf „konstruierte Situationen“, so nennt Sehgal seine Werke.

Er wurde von Parreno eingeladen mit seinen kunstvoll flüchtigen Momenten das Voices-Publikum zu bezaubern. Tino Sehgal hat TänzerInnen instruiert sich durch die Räume zu bewegen, zu tanzen, zu gurren, singen und mit gezielten Fragen an das Publikum Verwirrung zu stiften.

Die Antworten klingen dann durch die Räume in dieser so vertrauten Nachrichtenstimme. Herrlich.

KI trifft das Jetzt

Klingt nach Erlebnis-Ausstellung? Nach Aufeinandertreffen menschlicher Präsenz und Künstlicher Intelligenz? Ja! Und es ist die erste ihrer Art, in die sich das unverkrampfte Eintauchen so sehr lohnt. Vielleicht entschlüsselt sich beim wiederholten Besuch schließlich die Frage: Was genau von der KI gesteuert und was von Künstlerhand geplant ist?

Man kann darüber in jedem Fall in der Goldenen Bar, die zum Haus gehört, oder bei den unerschrockenen Wellenreitern am nahen Eisbach diskutieren.

Noch mehr Tipps

Ist das Kunst oder kann das weg? So könnte die grandiose Ausstellung ECCENTRIC  – Ästhetik der Freiheit überschrieben sein. Allein die wild tanzenden Eisbären aus bunten Federn von Paola Pivi sind den Besuch in der Pinakothek der Moderne wert.

50 aktuelle Positionen zeigen wie mutig, frei, humorvoll, berührend oder verstörend aktuelle Kunst sein kann. Malerei, Skulpturen, InstallationenVideo und Design feuern Diversität, Freiheit und Toleranz jenseits jeglicher Ideologie.

Unbedingt anschauen – die Ausstellung läuft bis zum 27. April. Besprechung folgt hier im Blog.

INFO

  • Fresh Window. Kunst & Schaufenster

Museum Tinguely

Bis zum 11. Mai, montags geschlossen. Di – So 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr

Paul-Sacher-Anlage 1, 4058 Basel

Mehr Infos zu den Standorten der „Fresh Windows“ in der Baseler City finden Sie hier.

  • Böse Blumen

Sammlung Scharf Gerstenberg

 Bis zum 4. Mai, montags & dienstags geschlossen, Mi – So 11 bis 18 Uhr

Schloßstraße 70, 14059 Berlin

  • Sheila Hicks

Kunsthalle Düsseldorf

Bis zum 23. Februar, montags geschlossen, Di -So 11 bis 18 Uhr

Grabbeplatz 4, 40213 Düsseldorf

Josef Albers Museum Quadrat

Bis zum 23. Februar,

montags & dienstags geschlossen, Mi & Fr – So 11 bis 17 Uhr, Do 11 – 19 Uhr

Anni-Albers-Platz 1, 46236 Bottrop

  • Philippe Parreno. Voices

Haus der Kunst

Bis zum 25. Mai, dienstags geschlossen. Mi – Mo 10 bis 20, donnerstags bis 22 Uhr

Prinzregentenstrasse 1, 80538 München

Das könnte Dich auch interessieren

Leave a Comment