1. Berlin
Gropius Bau – Das Glück ist nicht immer lustig von Rirkrit Tiravanjia
Erlebnisreiche Retrospektive
Schon mal im Museum Tischtennis gespielt? Krachend laut mit anderen BersucherInnen Musik gespielt und gesungen? Türkischen Mokka oder Chrysanthemenblüten-Tee getrunken oder gar Flädlesuppe (alternativ Tom Kha Gai) gegessen? Nein, ich halluziniere nicht. Das alles geht derzeit im Gropius Bau. Dort ist Rirkrit Tiravanjia mit einer Retrospektive namens Das Glück ist nicht immer lustig zu erleben. Genau das richtige, wenn man an trüben Tagen nicht durchs sonnige Herbstlaub wirbeln kann.
Da geht noch mehr
Der thailändische Künstler erweitert seit drei Jahrzehnten die Vorstellung davon, was in Ausstellungen so alles möglich ist. Dabei schafft er immer wieder Situationen in denen gemeinsam gegessen, getrunken oder gespielt wird. Das mag dem ein oder anderen banal oder seltsam erscheinen. Ich lieb’s und vor allem sein Credo:
„Kunst hat immer versucht, den Menschen die Möglichkeit zu geben, frei zu handeln. Frei zu denken, frei zu sehen, frei zu hören.“
Im Gropius Bau entstehen dank ihm Räume für zufällige Begegnungen und wie er sagt für soziale Beziehungen (und deren Scheitern). Er bilde hier das Leben ab, wie es ist. Nach Jahren in New York ist Tirvanjia in diesem Jahr zurück nach Berlin gezogen, wo er nun lebt und arbeitet. Was für ein schönes Willkommens- Geschenk diese umfassende Retrospektive für ihn sein muss.

Hier wird nicht nur gespielt, gekocht, gegessen und getrunken, es gibt auch viel zu sehen, Skulpturen, Videoarbeiten, Installationen und natürlich Bilder
Fassbinder trifft Tirvanji oder umgekehrt?
Er verweist in seinen Arbeiten immer wieder auf kulturelle Klischees und die politischen Verhältnisse in Deutschland. Der Ausstellungstitel stammt übrigens aus Rainer Werner Fassbinders Film-Klassiker von 1974 Angst essen Seele auf. Der Film ist für Tirvanjia ein wichtiger Bezugspunkt in vielen seiner Arbeiten.
Also nichts wie hin – ab in der Gropius Bau und nicht nur sehen, hören und staunen, sondern auch schnuppern, schmecken und spielen. Übrigens ist in einem Raum fotografieren streng verboten. Dort hat Direktorin Jenny Schlenzka für die Dauer der Ausstellung ihr Büro eingerichtet und vielleicht arbeitet sie dort auch. Ach, und T-Shirts for free mit dem Aufdruck FREE gibt es auch.
Ein erlebnisreicher und im Kopf bleibender Besuch ist garantiert.
2. London
National Portrait Gallery – Human Presence von Francis Bacon
Unverwechselbar
Francis Bacon ist für mich so was wie d e r Portraitmaler par excellence: er hat die traditionelle Definition des Genres mit seinem unverwechselbaren Stil gründlich in Frage gestellt. Rund 50 Werke aus privaten und öffentlichen Sammlungen sind in der National Portrait Gallery in der Schau Human Presence zu sehen. Dazu zahlreiche Dokumente, Fotografien und ein Film. Alles besonders, aber vor allem die Malerei, gerne auf dunkel getünchten Wänden, ist unglaublich: Gleich das erste Selbstporträt aus dem Jahr 1987 zieht die Betrachter in den Bann. Er hat sich bereits 78-jährig als jungen, sehr zerbrechlichen Mann gemalt. Einen Special-Effect erzielt er mit Aerosolfarbe, die er immer wieder in seiner Karriere benutzte.
Lebendiger Albtraum
Seine Bilder gleichen oft einem lebendigen Albtraum. Gesichter lösen sich auf, verschwinden im Nichts, Schreie münden im tiefen Schwarz und in der Leere des Raums. 1909 in Dublin geboren, verließ er bereits mit 16 Jahren sein Elternhaus, ging nach London und verdiente zunächst als Möbeldesigner und Innenarchitekt sein Geld. Autodidaktisch begann er zu malen, arbeitet sich am Zweiten Weltkrieg und dessen Grauen ab.
Ab 1944 verschreibt er sich gänzlich dem Künstlerberuf.
Seine Themen sind die menschliche Zerrissenheit und Isolation.
Für seine psychologisierende figurative Malerei orientiert er sich an Pressefotos, auch aus Schlachthäusern, am Surrealismus und Künstlern wie Velazquez, Van Gogh oder Rembrandt (ein kleines Original ist ebenfalls zu bestaunen.)
Starkes, intensives must-do
In der dichten, ausgesprochen starken Londoner Ausstellung sind einige seiner Interpretationen dieser großen Maler zu sehen. Viele bekannte Werke, wie die Päpste und eben Selbstporträts treten in den Dialog mit Menschen, die sein Leben geprägt haben, ihn bis zu seinem Tod 1992 begleitet haben: Lucian Freud, Isabel Rawthrone oder seine Liebhaber Peter Lacy und George Dyer. Francis Bacon hat sich konstant am Horror des Daseins abgearbeitet, die in Gold gerahmten Leinwände unterstreichen die Verletzlichkeit seiner Figuren und heben den theatralischen zeremoniellen Charakter seiner Malerei hervor. Eine brillante Ausstellung.
Serpentine Gallery South – emajendat von Lauren Halsey
A walk through the park…
Der Spaziergang durch den Hyde Park an diesem grauen Tag führt vorbei an Henry Moores The Arch auf dem sich zwei Vögel niedergelassen haben. Aus jedem Blickwinkel sieht die Skulptur anders aus, die beiden fliegen Richtung Süden. Der Herbst kommt in Riesenschritten und in der Ferne sehe ich Yayoi Kusmas 6 Meter hohen gelben, gepunkteten Riesenkürbis durch das Laub blitzen. Direkt neben der Serpentine Gallery South, in den Kensignton Gardens, begrüßt mich der bunt gestreifte Strip-Tower von Gerhard Richter, der nur noch bis Ende Oktober dort aufgestellt ist.

Viel Kunst für alle im Park: Richters Strip-Tower, Moores The Arch und hinter der Serpentine Gallery ein neues Mural von Esther Mahlangu
…into this funky garden
In dem Gebäude selbst geht es farbenfroh weiter mit „emajendat“ von Lauren Halsey. Die amerikanische Künstlerin hat einen wahrhaft immersiven Funk Garden in dem Museum geschaffen. Es ist einfach nur phantastisch! Ich schaue auf Palmen aus Acryl und Harz mit Köpfen beklebt, aber auch echte Pflanzen mischen sich dazu.
Alles ist wahnsinnig bunt und glitzert herrlich.
Halsey hat unendlich viele CD’s schuppenartig an die Wand geschichtet, ein prismatischer Boden macht das immersive Erlebnis komplett. Ein Brunnen plätschert fröhlich vor sich – in dieser lichtdurchströmten Fantasiewelt voller positiver Energie will ich überwintern.

Immersiv, bunt und für viel Vibes im Kopf
Schillerndes Erlebnis
Lauren Halsey verbindet in ihren Arbeiten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie benützt ikonische Bilder der afrikanischen Diaspora, queere und schwarze Menschen kombiniert sie mit ungewöhnlicher Architektur und schafft so ein Gesamterlebnis.
Sie lebt und arbeitet in South Central LA, will den Stadtteil niemals verlassen und beamt von hier aus ihre Kunst in alle Welt. Sie hat es auf den Dachgarten des New Yorker Metropolitan Museum geschafft. Ein sieben Meter hoher Tempel à la Dendur in Ägypten thronte 2023 über dem Central Park. Alles versah sie mit Hieroglyphen und Bildern, Zitaten und Porträts von Freunden und Familienmitgliedern.
Einige der Säulen sind auf der diesjährigen Venedig Biennale in den Arsenalen zu sehen. Im Kopf Funkmusik summend, mache ich mich auf den Weg zum Pumpkin von Kusama, ähnlich poppig und riesig. Halloween steht vor der Tür, und ich brauche noch ein artsy Foto.

Halsey in NY, Halsey in Venedig und im Londoner Hyde Park der Kusama Pumpkin
3. Neuss
Langen Foundation – Pink Noise von Troika
Ist das die Wirklichkeit?
Während ich vorbei an Kirschbäumen und einem Wasserbassin über die Rampe auf diesen minimalistischen Betonriegel des japanischen Architekten Tadao Ando zulaufe, höre ich aus dem Nirgendwo Vögel zwitschern.
Doch, halt, meine Wahrnehmung spielt mir den ersten Streich: In Wirklichkeit lausche ich akustischen Signale aus dem Weltraum, die durch die Aktivität von Blitzen und geomagnetischen Sonnenstürmen ausgelöst werden und in der Antarktis aufgezeichnet wurden. Was für ein himmlischer Empfang in der Langen Foundation und der Ausstellung Pink Noise von Troika.
Geflutete Räume
In der ersten Galerie passiere ich Gemälde, die mit einer begrenzten Farbpalette aus 16 Rot-Grün und Blautonen entstanden sind. Das Künstlerkollektiv untersucht, wie das menschliche Sehen von Maschinen kalibriert wird. Immer wieder begegnen mir in dem Museum diese drei Farben, teilweise sind die Fenster in diesen Farben abgeklebt, ein irritierendes Licht bespielt die Räume. Verändert es mein Sehen, meinen Realitätssinn?
Apropos, das deutsch-französische Künstlerkollektiv hat eine der Galerien im Basement der Foundation mit Wasser geflutet und damit das Bassin vor dem Gebäude gespiegelt. Hier kann ich über Steinplatten laufen, bis ich vor einem Wasservorhang stehe. Prompt wird meine Wahrnehmung wieder in Frage gestellt. Die Wassertropfen gleiten vor meinen Augen losgelöst von der Schwerkraft nach oben und fallen nicht wie, erwartet nach unten ins Wasser.
Alles ist anders, als gedacht
Sehr beeindruckt hat mich eine Art schwarzes Loch. Das Riesending scheint mitten im Raum zu schweben. Wenn man um das Objekt herumläuft, verändert sich seine Form, der perfekte Kreis wird zum Sechseck, zum Quadrat und schließlich wieder zum Kreis. Sämtliche Lichtreflexe und Formen werden von dem tiefschwarzen Pigment geschluckt.
Damit nicht genug, es gibt auch tanzende Disteln,
die aus einem Bett aus Siliziumsteinen wachen, zerschnittene Tier-Skulpturen, die aus allerlei Museen der Welt zusammengetragen ein neues Objekt ergeben.
KI, Algorithmen, virtuelle und reale Welten, Klimakrise sind ihre nicht ganz leicht verdaulichen Themen. Ihre Werke kreisen vor allem um die Frage, wie Technologie unser Leben und unser Verhältnis zur Natur beeinflussen. Die Kunst von Conny Freyer, Eva Rucki und Sebastien Noel kommt dabei sehr ästhetisch daher.
Überraschend, Kopf öffnend, einfach fantastisch und unbedingt sehenswert.
Info
Rirkrit Tiravanjia – Das Glück ist nicht immer lustig
- bis zum 12. Januar, Dienstags geschlossen
Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin
Francis Bacon – Human Presence
- bis zum 19. Januar, täglich ab 10.30 Uhr geöffnet
National Portrait Gallery, St Martin’s Place, London, WC2H 0HE
Lauren Halsey – emajendat
- bis zum 2. März, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr
Serpentine South Gallery, Serpentine South, Kensington Gardens, London W2 3XA
Pink Noise – Troika
- bis zum 16. März, Montags geschlossen
Langen Foundation, Raketenstation Hombroich 1, 41472 Neuss