Kunst von van Gogh ist für immer
Ach, van Gogh. Was für Mythen ranken sich um diesen Maler (1853 -1890). Leben und Werk sind eng miteinander verwoben. Und liefern alles für den Typus des Malergenies: Armut, Verkanntheit und Wahnsinn. Es gibt ein riesiges Briefkonvolut an seinen Bruder Theo (800 einzelne Briefe), dieses abgeschnittene Ohr nach einem Streit mit seinem Künstlerfreund Gauguin und am Ende steht der Selbstmord. Das ist d e r Stoff für Bücher und Filme.
Zuletzt lockte Künstler Julian Schnabel mit seinem Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit und einem grandiosen Willem Dafoe ins Kino. Weltweit ist van Gogh ein Magnet, der die Ausstellungshäuser garantiert füllt. Noch im Sommer war ich bei Vincent van Gogh and Britain in der Londoner Tate Britain. Und auch dieses Mal im Potsdamer Museum Barberini bin ich bezaubert, fasziniert und staune, als ob ich van Goghs Bilder zum ersten Mal sehe.

Bücher zu Vincent Van Gogh
Van Gogh Intensivkurs im Museum Barberini
In dieser sehr konzentrierten Schau geht es ausschließlich um seine Stillleben. Zu sehen sind viele, viele Blumen – teilweise wild gemixt – so wie ich es mag. Kohlköpfe, Kartoffeln, aber auch Quitten, Südfrüchte, geräucherte Fische, Flaschen und allerlei andere Dinge – alles klassisch, chronologisch abgearbeitet. Von seinen Anfängen mit eher düster gehaltenen Werken bis hin zu diesen leichten Arrangements voller Farbflimmern. Die Spanne, die die Ausstellung umfasst erscheint kurz: Doch mit 27 Stillleben aus neun Jahren kann ich sein Künstler-Dasein erfassen. Dabei geht es nicht um van Goghs Wahnsinn. Seine künstlerische Entwicklung war phänomenal und die ausgestellten Bilder sind von höchst unterschiedlicher Intensität. Hier wird das gesamte künstlerische Leben gezeigt. Ich kann van Goghs ewigem Ringen um Farbe und Ausdruck exakt nachspüren.

Farbsystem von Charles Blanc, an ihm hat sich Vincent van Gogh orientiert
Endlose Farbnuancen
So kommen seine Stillleben zunächst sehr dunkel daher. 1881 beschließt der 28jährige sich künftig ganz der Kunst zu widmen. Er verwendet kaum Farbe – scheinbar. Es lohnt den ausführlichen Blick. Die Palette an Brauntönen und Rotnuancen ist schier endlos. Wie viele Grautöne es wohl gibt? Van Gogh orientiert sich an Frans Hals und Rembrandt. Beide malten auf den ersten Strich, genau wie er. Das hat nichts Akademisches mehr. Der Pinselstrich sitzt auf den ersten Hieb. Hingegen scheinen Raum, Schatten und Licht im Verhältnis zum gemalten Gegenstand perfekt geplant.

Stillleben mit fünf Flaschen, 1885 in Nuenen entstanden
Unglaubliche Vielfalt von Van Gogh im Museum Barberini Potsdam
In Paris (1886-88) beschäftigen ihn Pointilismus, zeitgenössische Moderne wie der Impressionismus von Adolphe Monticelli, der zu seinem Idol wird. Van Gogh fängt an mit Farben zu experimentieren. Sein Farbgebrauch wird intensiver und Hintergründe hellt er mit Pastelltönen auf. 1886 entsteht eine blaue Vase voller hauchdünn gemalter Mohnblumen, deren roten Blütenblätter fast durchsichtig erscheinen. Lange war unklar, ob sie wirklich von ihm gemalt wurden. Inzwischen hat das Amsterdamer Van Gogh Museum das Bild ihm zu geschlagen. Daneben hängen im Museum Barberini Fliederblüten. Fett gestrichelt und sehr pastös liegen zwei Dolden ziemlich lässig da, wirken wie gerade abgepflückt. Keine Vase ist zu sehen, der Hintergrund verschwimmt. Erstaunlich: Beide Werke entstanden in ein und demselben Jahr.

Ausstellungs-Kurator Michael Philipp
Dynamische Meisterwerke
Vincent van Gogh war ein Naturkenner, betrachtete sie genau. Sein Bezug zur Natur wird in dieser Ausstellung ebenso deutlich, wie sein Lebensthema mit Farben zu experimentieren. Komplementär-Kontraste werden zunehmend ein alles bestimmendes Element in den Gemälden. In seinen letzten drei Lebensjahren scheint es in vielen Stillleben keinen Raum mehr zu geben. Die Dynamik mit denen er Blumen, Früchte oder auch Schuhe abbildet, überträgt sich oft auf den Untergrund. So entstehen komplett monochrome Bilder. Wo liegen die Zitronen? Auf einer gelben Tischdecke, auf einem Feld… das kann sich jeder selber ausdenken. Diese energetische Aufladung und Leichtigkeit, die der Künstler in seinen Stillleben ausprobiert, überträgt er später auf seine Porträts und Landschaftsbilder.

Stillleben mit einem Teller Zwiebeln. Van Gogh hat es in Arles gemalt nach dem Streit mit Gauguin…
Pure Lust am Malen
Am Ende dieser hinreißenden Schau steht dieser Satz:
Stillleben malen ist der Anfang von allem.
Van Gogh hat ihn zu Schülern seiner Malklasse gesagt. Daneben hängt das beeindruckende letzte Gemälde der Ausstellung. Entstanden ist es 1890. Darauf sind weiße Kastanienblüten zu sehen – sie platzen fast aus dem Bild heraus. Ihre Farbe ist sehr dick aufgetragen. Die Luft um sie herum scheint zu flirren. Irgendwie ist das Bild in Bewegung, obwohl es doch ein Stillleben ist. Solche Bilder wie dieses hier zu schaffen, war für Van Gogh offensichtlich keine Ersatzhandlung, wie gerne behauptet wird, sondern Leidenschaft pur.
Und die Sonnenblumen-Ikone?
Die Hoffnung auf eine Begegnung mit einem der berühmten Sonnenblumen-Gemälde, kann ich direkt nehmen. Sieben dieser Bilder mit Kultstatus hat Van Gogh im Laufe seines Lebens gemalt. Sie entstanden im August 1888 und Januar 1889 in einem wahren Schaffensrausch.
Eine der Arbeiten ist im Krieg zerstört worden, ein weiteres gehört einem privaten Sammler. Die anderen fünf sind in folgenden Museen zu sehen: Van Gogh Museum in Amsterdam, in der Londoner National Gallery, der Neuen Pinakothek in München, im Philadelphia Museum of Art und in Tokio ebenfalls im Museum oft Art. Kein Museum wird jemals eine dieser Ikonen auf Reisen quer durch die Welt schicken.
Überraschendes Ausstellungsthema
Von 800 van Gogh-Gemälden sind gut 170 Stillleben, also ein Fünftel seines Werkes. Und dennoch gab es noch nie eine Ausstellung, die sich ausschließlich mit diesem Sujet beschäftigt. Wie bitte? Ja, dieses Thema ist ganz neu. Durch die Suche nach einzigartigen Werkteilen gelingt es dem jungen, erst zwei Jahre geöffneten Museum in Potsdam mit weltweit etablierten Institutionen zusammenzuarbeiten.
Dieses Mal mit dem Amsterdamer Van Gogh Museum oder dem Kröller-Müller Museum. Im Katalog der Ausstellung gibt es eine Liste mit allen 170 je entstandenen Stillleben. Die Aussicht auf eine neue wissenschaftliche Ausarbeitung ist verlockend für die etablierten Häuser. Sie verleihen ihre Werke im Gegenzug auch ohne Austauschbilder.
Und im Frühling nach Otterlo reisen
Der größte Leihgeber für die Stillleben-Schau ist das Kröller-Müller-Museum in Otterlo bei Arnheim. Dort sind 11 000 Kunstwerke von Gustave Courbet über Braques, Picasso bis hin zu van Gogh beheimatet.
Helene Kröller-Müller, Tochter eines Stahlindustriellen, hat die Sammlung zu Beginn des 20. Jahrhunderts angelegt. Sie umfasst Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, Keramik und Skulpturen, die inmitten eines niederländischen Nationalpark präsentiert werden. Nach dem Van Gogh Museum in Amsterdam ist hier die größte Sammlung des Meisters zu finden. Hach, meine nächste Reise zur Kunst habe ich schon im Kopf. Aber jetzt erstmal auf nach Potsdam!
Noch mehr Kunst in Potsdam
Postkarten im Kunstraum
Potsdam ist immer einen Ausflug in Sachen Kunst wert. Neben dem Museum Barberini gibt es Sehenswürdigkeiten wie die Schlösser Sanssouci und Cecilienhof oder die Villa Schöningen direkt an der Glienicker-Brücke. Die Liste ist dringend einen extra Blogbeitrag wert. Unbedingt – leider nur noch bis zum 17. November – empfehle ich einen Stopp im Kunstraum. Gleich drei kleine, feine Ausstellungen locken mich unter einem Dach. In der Eingangshalle eindrückliche Porträtfotografien amerikanischer Soldaten ohne jeglichen Hinweis auf ihren Dienstgrad an der Uniform von Thierry Motard. Dazu im Kontrast steht zarte Malerei unfertiger Bauprojekte von Gabriele Worgitzki.
Über eine Wendeltreppe geht es nach oben in den ersten Stock. Dort werden in der Ausstellung Postcard reloaded geistreiche Künstler-Postkarten gezeigt. Darunter Arbeiten von Hanne Darbove, Joseph Beuys, Gilbert und George zu Pius Fox, Jonathan Meese und Katharina Grosse bis hin zu Justine Otto, Eva und Adele. Gefeiert wird damit auch der 150. Geburtstag der Postkarte. Wer weiß schließlich, wie lange diese künftig noch versendet werden. Gerade in unserer digitalen Welt eine wertvolle kleine Zeitreise.
Infos
Van Gogh Stilleben
- bis zum 2. Februar 2020
- Mi- Mo 10 – 19 Uhr
- Dienstags geschlossen
Alter Markt, Humboldtstraße 5-6, 14467 Potsdam
Im Frankfurter Städel-Museum läuft bis zum 16. Februar 2020 die Ausstellung
Making van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe
Postcard Reloaded
- bis zum 17. November
- Mi – So 13 bis 18 Uhr
Schiffbauergasse 4d, 14467 Potsdam