Kunst-Tipps im November – bunt & doch ernst

Diese angenehme Leichtigkeit der Kunst verknüpft sich gerne mal mit Ernst. In dieser Ausgabe geht um AIDS, Widerstand in der Kunst, scheinbar fragile Bildhauerei und altmeisterliche Miniaturen im Detail. Unsere Ausstellungstipps für die kommenden Wochen von Berlin über Osnabrück, Salzburg bis nach Paris.

written by Gastautorin Juliane Rohr 12. November 2023

Berlin

General Idea – Gropius Bau

Niedlich! Echt jetzt?

Manche finden das kitschig, banal, mich hat es gleich fasziniert: Durch den Lichthof des Museums schieben sich Styroporplatten. Erinnern an Caspar David Friedrichs ikonisches Eismeer. Aber halt, was hocken denn da für drei niedliche kleine Robben? Und der Titel der Installation „Ende des Jahrhunderts“ schreit eigentlich nach Beuys. Das Werk ist der Auftakt zur Ausstellung von General Idea im Gropius Bau.  

Zum Zeitpunkt der Entstehung sorgte eine internationale Kampage von Filmstar Brigitte Bardot zur Abschaffung der Robbenjagd weltweit für Aufregung. Zum gleichen Zeitpunkt gab es für Menschen, die mit HIV lebten und daran starben, wenig Sympathie. AIDS galt in der Anfangsphase vor allem als Krankheit homosexueller Männer. In Amerika wurde die Epidemie totgeschwiegen. Insgesamt starben bis heute 40 Millionen Menschen an den Folgen. Mit der Eisschollen-Installation stellte General Idea die drängende Frage, welches Leben schützenswerter ist?

Immer noch da: AIDS

Das kanadische Künstlerkollektiv, das von 1962 bis 1994 zusammenarbeitete, legt den Finger gerne in die Wunde. Mit Humor nehmen sie Kunst, Konsumkultur, Massenmedien, Geniekult und soziale Ungleichheit aufs Korn. Fast 50 Prozent der gezeigten Werke setzen sich mit dem Umgang mit AIDS, queerer Identität und Sexualität auseinander. Eine nachdenklich stimmende Schau, die so schrill, bunt und witzig daherkommt.

Ihr AIDS-Logo verbreitete sich wie das Virus und erinnert bis heute an die verheerende Epedemie.

Am 1. Dezember ist Welt AIDS-Tag.

Vor 40 Jahren wurde die Krankheit entdeckt und immer noch leben 38,4 Millionen Menschen mit der Immunschwäche. Die lebensverlängernde Pille bekommen längst nicht alle Menschen, Afrika ist besonders benachteiligt.

Die Mitglieder des Jorge Zontal und Felix Partz starben übrigens 1994. Der dritte im Bunde, AA Bronson, lebt in Berlin, arbeitet als Künstler und kümmert sich um Ausstellungen mit General Idea. Eine eindrückliche Schau.

Munch – Berlinische Galerie

Karrierestart an der Spree

Jeder kennt ihn, den Schrei – dieses unglaubliche Bild von Edvard Munch (1863 – 1944). So oft kopiert und scheinbar endlos auf Regenschirmen und Tassen verewigt. Munchs Malereien sind farbgewaltig, intensiv und zugleich von einer gewissen Schwere und Melancholie. Da herrscht diese tiefe Sehnsucht nach Liebe, Leben, Erfüllung und Unendlichkeit.

Hätten Sie‘s gewusst? Munchs Karriere startete in Berlin. Er wohnte in der Lützowstraße 82 und galt als radikal modern. Seine erste Ausstellung in der Stadt war ein riesiger Skandal und sie wurde nach wenigen Tagen geschlossen. Dennoch war der Künstler bis 1908 immer wieder über längere Perioden in Berlin. Die skandalisierte Ausstellung gilt übrigens inzwischen als Beginn der Moderne in Berlin.

Der doppelte Munch

Gleich zweimal kann man sich aktuell in das einzigartige Werk des norwegischen Nationalheiligen vertiefen: In Berlin und Potsdam. In der Berlinischen Galerie werden „Der Zauber des Nordens“ 80 Gemälde aus seiner Berliner Zeit gezeigt.  Und im Potsdamer Museum Barberini gibt es „Munch. Lebenslandschaften“ zu erleben. Wie toll, dass es ein  Kombi-Ticket gibt – ein grandioses Erlebnis nur wenige Kilometer auseinander.  Normalerweise müsste ich dafür bis ins  Munch-Museum nach Oslo fahren. Was für ein Geschenk.

Zoom auf van Eyck – Gemäldegalerie

Kleine Holztafeln ganz groß

Untertitel der Ausstellung: Meisterwerke im Detail. Wie passend, denn die spätmittelalterlichen Mikrowelten von Jan van Eyck (1390 – 1441) sind mit bloßem Auge nur schwer zu erkennen. Bisher waren sie zumeist den Restaurator:innen vorbehalten, die mit Mikroskopen die vergilbten Firnisschichten sorgsam entfernen. Die Holztäfelchen sind kleiner als ein DIN A 4 Papier.

Wie aber geht das mit den Details dieser Meisterwerke des flämischen, spätmittelalterlichen Malers?

Ganz einfach mittels Lupen und Big Data.

Soll heißen dank großartiger Projektion , die das hinein zoomen möglich machen. Und mit Sehhilfen vor den ach so kleinen Gemälden.

Von Bartstoppeln und Perlenketten

In aufwändigem Verfahren sind Eycks Miniaturen von New York über Gent bis Dresden fotografiert worden. Auf wandfüllende Größe gezoomt, kann sich das Publikum in 20 der weltweit erhaltenen van-Eyck-Werke vertiefen.

Menschen, Natur, Architektur, Licht und auch Maltechnik des Meisters sind im Angebot. Plötzlich entdecke ich Barstoppel, Vögel, Bauarbeiten am Turm oder Glasperlen und diese wunderbar lebendigen Farbstriche van Eycks. Dazu läuft eine eigens komponierte Cellokomposition.

Klingt immersiv, ist es aber nicht. Drei kostbare Originale, die aus dem Besitz der Gemäldegalerie sind, gesellen sich zu Werke aus der Werkstatt von van Eyck und Bildern nach van Eyck. Ein wahnsinniges Vergnügen.

Osnabrück

#nichtmuedewerden – Felix Nussbaum Haus

Never forget in Osnabrück

Vor 25 Jahren eröffnete im sonst eher beschaulichen, aber sehr geschichtsträchtigen  Osnabrück der erste Daniel Liebeskind Bau in Deutschland. Eine wegweisende und ziemlich spektakuläre Architektur für den Maler Felix Nussbaum. Jetzt treten dessen sensiblen Bilder in den Dialog mit 46 zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern wie Candice Breitz, Mona Hatoum, Ariel Reichman oder Ai Weiwei. Es geht allen um Toleranz, Repekt füreinander und Menschlichkeit.

Im Exil schrieb der Maler Felix Nussbaum (1904 – 1944)

„Ich wehre mich und werde nicht müde“

Seiner jüdischer Herkunft wegen war er vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten aus Osnabrück über Italien, Schweiz und Paris nach Belgien geflohen. Im Juni 1944 wurde er in Brüssel denunziert und einen knappen Monat später in Ausschwitz ermordet.

Die Schau „#nichtmuedewerden Felix Nussbaum und künstlerischer Widerstand heute“ scheint seit dem Hamasüberfall am 7. Oktober diesen Jahres in Israel noch mehr auf den Punkt zu sein, als angedacht. Die Kurator:innen haben zwei Jahre lang an der bemerkenswerten Schau gearbeitet. Nicht verpassen!

 

Salzburg

Maria Bartuszová – Museum der Moderne

Herrlich diese abstrakten und zugleich organischen Formen. Ich möchste sie anfassen, habe aber gleichzeitig Bedenken, dass sie zerbrechen. Ausserdem ist Berühren im Museum nicht gerne gesehen. Diese abstrakten, weißen Skulpturen sind einfach zu schön.

Die kraftvolle Zerbrechlichkeit der slowakischen Künstlerin Maria Bartuszová haben mich im Salzburger Museum der Moderne auf dem Mönchsberg in den Bann gezogen. Sie stecken voller Illusion, Zauber, Visionen, sind körperlich und ätherisch zugleich.

Die innovative Gusstechniken der organische Skulpturen der Künstlerin sind irre hinreißend. Maria Bartuszová (1936 – 1966) war von runden

Formen, Regentropfen, Eiern, Samen und menschlichen Körpern

gleichermaßen inspiriert. Der Kontakt mit der Natur hatte auf sie einen therapeutischen Effekt. Und mit ihren erstarrten Formen der natürlichen Elemente wurde sie berühmt. Eine wunderbar leichte, verführerische Schau.

Paris

Rothko – Fondation Louis Vuitton

Aber zunächst: Sophie Calle

Vor ein paar Monaten habe ich an dieser Stelle eine von Modedesigner Paul Smith kuratierte Picasso-Ausstellung in Paris empfohlen, die ich selbst nicht besucht hatte. Jetzt war ich endlich in der Kunstmetropole an der Seine. Fünf volle Tage angefüllt mit Kunst (sowie mit tollen Begegnungen, gutem Essen und viel Pariser Flair).

Die Schau im Picasso-Museum läuft nicht mehr. Leider. Dafür habe ich jetzt dort die phantastische Sophie Calle sehen können. Die französische Künstlerin beschäftigt sich in ihren Installationen, Video- und Fotografiarbeiten mit Leben, Liebe und Tod. Wie sagt man so schön: Highly recommended. Und ganz nebenbei gibt es auch ein bisschen was von Pablo Picasso im Keller des Hauses zu sehen. Très parisienne.

Modigliani und Monet

Wer in den nächsten Wochen nach Paris reist, sollte sich auch Amedeo Modigliani im Musée de l’Orangerie anschauen. Der italienische Maler (1884 – 1920) malte selbstbewußte, erstarkte Frauen, was damals ungeheuerlich war!

Und wenn schon ich schon in diesem herrlichen Museum bin, dann durfte ich nicht die Seerosen-Malereien von Claude Monet verpassen – unglaublich.

Und JETZT: d e r Rothko

Noch ein unglaublicher Künstler: Mark Rothko (1903 – 1970). Der amerikanische Maler  und Wegbereiter der Farbfeldmaleriei ist mit sage und schreibe 115 Werken in der Fondation Louis Vuitton zu sehen. Die Ausstellung ist ein Blockbuster und gilt als ein „once-in-a-lifetime-Erlebnis“.

Wer sich einen frühen Slot bucht, hat die Chance auf ein Erlebnis mit der Kunst ganz allein. Rothko ist der Meister der Farbe, der Kontemplation und einfach hinreißend.

Hach, Paris – ich muss nochmal hin – in der Kunst und Stadt versinken.

Info:

General Idea

  • Bis 14. Januar, täglich 10 bis 19 Uhr, Dienstags geschlossen

Niederkrichnerstraße 7, 10963 Berlin

Munch – Zauber des Nordens

  • Bis 22.Januar, Mi bis Mo 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr, Dienstag gecshlossen

Alte Jakobstraße 124-128, 10969 Berlin

Zoom auf van Eyck, Meisterwerke im Detail

  • Bis 3. März, täglich 10 bis 18 Uhr, Montag geschlossen

Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin

Maria Bartuszová

  • Bis 7. Januar, täglich 10 bis 18 Uhr, Montag geschlossen

Museum der Moderne, Mönchsberg 32, 5020 Salzburg

Das könnte Dich auch interessieren

Leave a Comment