Berliner Museums-Tipps nach dem Lockdown

Endlich! Die Normalität kehrt zurück. Schrittweise – immer mit Abstand, obligatorischem Mund-Nasenschutz und Desinfektionsmittel. Nach den Galerien haben auch die Museen wieder geöffnet. Hier unsere Tipps für willkommene Auszeiten und Kopfreisen in Berlins Kunstorten.

written by Gastautorin Juliane Rohr 21. Mai 2020

1. Palais Populaire – Christo und Jeanne-Claude

Einzigartige Projekte

Der erste Museumsbesuch nach den wochenlangen, Corona bedingten Schließungen führt mich ins Palais Populaire zu Christo und Jeanne-Claude. Das Sammlerpaar Ingrid und Thomas Jochheim zeigt hier aus seiner Sammlung die Projekte des Künstlerduos von 1963 – 2020. Die Schau beleuchtet teilweise die

Geschichte hinter den Projekten, die alle einzigartig sind“,

wie Christo selber sagt. Was für eine Ironie, dass ich nun nur selber verpackt hinter einer Maske die Ausstellung des Verpackungskünstlers betrachte. Überall auf dem Boden des Palais kleben Punkte, die an den nötigen Abstand in Zeiten der andauernden Pandemie erinnern…

Groß denken

Macht alles nichts. Christos Kunst hat was Magisches. Er beschenkt und verführt sein Publikum, wo immer er seine temporären Aktionen zeigt. Der Arc de Triomphe in Paris sollte eigentlich in diesem Herbst verhüllt werden – verschoben auf 2021. Nun denn, bis dahin kann jeder in dieser Ausstellung Christos Welt nachspüren.

Im Sommer 1995 zieht der silbern verhüllte Reichstag zwei Wochen lang nicht nur Berliner an. Fünf Millionen Menschen ließen sich von dem Wrapped Reichstag bezaubern. Kunst für alle, aber immer nur für diesen einen kurzen und streng begrenzten Zeitraum. Ein Film im oberen Stock des Palais Populaire erinnert an diese Installation. Wunderbar das so wieder zu sehen: Christo und Jeanne-Claude zu erleben, wie sie das Projekt bis ins kleinste Detail betreuen, über das Dach spazieren. Beeindruckend, die Stadt vor 25 Jahren von oben rund um das silberfarbene Objekt zu sehen. Es scheint, als ob die endlosen Stoffbahnen aus Aluminium bedampften Polypropylengewebe leicht im Wind flattern. Das ist mir damals an diesem geschichtsträchtigen Gebäude, das so wuchtig und zugleich als Solitär daher kommt, gar nicht aufgefallen.

Einzigartige Kunsteingriffe

Zurück in die Gegenwart und ins Museum: Hier werden Zeichnungen, verpackte Objekte und Fotos von Christos Projekten gezeigt. Gekonnt. Abstrakt. Schön. Verständlich, dass aus solchen Kunstwerken für die Jochheims eine Christo-Sammlung wurde. Der Künstler finanziert übrigens seine Installationen ausschließlich durch seine Originalzeichnungen und Editionen. Für die aufwendigen Projekte hat Christo gemeinsam mit Jeanne-Claude, die vor elf Jahren starb, teilweise Jahrzehnte lang gekämpft.

Groß denken, scheint sein Motto und die ärgsten Kritiker können ihn nicht hindern weiter zu machen. Seine Kunsteingriffe wie die Floating Piers zuletzt am Lago d‘Iseo 2016 in Italien sind auch umstritten, da sie Menschenmassen anziehen. Wer allerdings dort war, immer neue Sichtachsen und Blicke entdecken durfte, das glitzernde Wasser auf orangefarbenen Bahnen betrat, war von der einzigartigen Atmosphäre sofort gefangen.

Was für eine kleine, feine Ausstellung. Besonders in dieser Zeit der lauten Weltgeräusche zwischen Pandemie, Zukunftsunruhe, Verschwörungstheoretikern und Populismus. Einfach mal in Christos tolle Ideen eintauchen. Nicht verpassen.

Bitte online anmelden nicht vergessen, der Eintritt ist kostenlos.

2. Gropius Bau – Lee Mingwei

Li, Geschenke und Rituale

Fürsorge, Miteinander, Koexistieren und Kontemplation. Kommunikation und Interaktion, Schenken und Beschenkt werden. Das sind die Themen, um die diese erlebenswerte Ausstellung kreist. So aktuell wie nie. Lee Mingwei hat sie noch kurz vor dem Lockdown im Gropius Bau installiert, bevor er zurück nach New York zu seinem Partner fliegen musste, weil ein Einreiseverbot in die USA announciert wurde. Seine Kunst fordert mit Installationen und Performances unsere Vorstellungskraft neu heraus. Mingwei lenkt den Blick wieder auf die kleinen Dinge des Alltags.

Dinge wie zum Beispiel die Sammlung von kuriosem Christbaumschmuck, die zur Zeit im The Living Room gezeigt wird. Insgesamt werden in diesem Raum während der Ausstellung im Wechsel elf solcher sehr privaten Sammlungen präsentiert. Sie wurden bereits vor Ausstellungsbeginn eingereicht und vom Künstler ausgewählt.

Zwei Projekte: Living Room und 100 Days with Lily

Entschleunigung pur

Wie ist es sich mit einem Fremden im Gespräch auszutauschen während ein mitgebrachtes Kleidungsstück repariert wird? Das Mending Project gibt die Antwort. Würde ich mir ein Lied von Schubert schenken lassen und es mir im Museum – geschützt durch eine Plexiglasscheibe – anhören? Sollte ich an Letter to Oneself teilnehmen und über die globale Krise schreiben und welche Themen wären das für mich? Fragen, die nachhallen.

Bei der Performance Our Labyrinth habe ich sehr lange fasziniert einen Tänzer bei seinen langsamen Bewegungen mit einem Besen betrachtet, während er so aus Reiskörnern immer neue Zen-Muster schuf. Entschleunigung und sich verlieren funktioniert im Gropius Bau zur Zeit bestens.

Einfach mitreißend

Der taiwanesiche Künstler hat auch ohne seine Anwesenheit Strahlkraft. Die White Stone Journey beschäftigt mich noch immer: Mingwei hat besonders geformte Steine während einer Reise auf der Südinsel Neuseelands gesammelt und sie in Bronze nachgießen lassen. Jetzt werden die Steinpaare nebeneinander auf einer Holzplatte ausgestellt. Original wie Bronzeabguss haben ihr jeweiliges Alter eingraviert. Lee Mingwei hinterfragt die Idee von Wert und Besitz, denn, wenn das Werk in eine Sammlung geht, muss sich der Käufer für eines der beiden Objekte entscheiden und sich verpflichten, dass andere wegzuwerfen.

Welchen Stein würde ich behalten?

Bemerkenswert auch die Ausstellungsarchitektur, die mit wenig auskommt und doch viel erreicht. Im Lichthof erstreckt sich ein Werk aus Sand. Es ist Picassos Guernica. Was damit passiert? Am Ende geht es um Transformation – mehr wird nicht verraten. Schönheit, die jeden berührt.

Bitte nicht vergessen: Einen Zeit-Slot vor dem Besuch buchen. Im oberen Stockwerks des Museums ist übrigens noch die poetische Ausstellung des Fotografen Akinbode Akinbiyi zu sehen. Die ausführliche Besprechung gibt es hier.

3. Haus am Waldsee – Bernhard Martin

Irrwitzige Bilderwelten

Macht nicht wirklich Sinn, ist aber schön. Mühlen im See der Selbsterkenntnis. Mein Treffen mit der Idee. Die Titel der Bilder fangen mich sofort ein. Die Malerei erst auf den zweiten Blick! Dann aber berauscht er mich um so mehr dieser Bernhard Martin mit seiner Soloschau Image Ballet. Sehr souverän sind seine Bilderwelten gestaltet mit irrwitzigen Anleihen quer durch die Kunstgeschichte von Renaissance bis hin zu japanischen Manga Comics.

Das Haus am Waldsee zeigt einen Maler, „der davon überzeugt ist, dass die Malerei überlegen ist.“ Voller Fantasie bannt er seine frechen, surrealen Inhalte, die auch mal Kitsch pur sind, immer humorvoll auf Rohleinwand. Und diese verzeiht dem in Berlin lebenden Künstler dann keine Fehler mehr. Technische Präzision ist ihm so wichtig wie die Sprache. Er zitiert hier Thomas Bernhard und sieht wie der österreichische Dichter den präzisen Einsatz von Worten als

Ohrfeige für permanenten Stumpfsinn.

Die Namen der Bilder entstehen übrigens im Prozess des Malens. „Teilweise davor, oder danach. Eigentlich ist die Titelgebung eine ständige Metamorphose“, erzählt Bernhard Martin.

Surreal und bunt

Provokation, Verführung, Sexualität, Drogen. Fliegende Eier, magic mushrooms, der Börsen-Nazi und der kleine putzige Maulwurf. Das alles hat einen Sinn und kann entschlüsselt werden. Schau genau wäre die treffende Empfehlung für die Ausstellung. Geht es um Politik, das Verhältnis der Geschlechter zueinander, die Umwelt oder doch nur um uns selber? Ist das jetzt von Hans Baldung Grien, Cranach oder Roy Lichtenstein inspiriert oder nur geschickt aus dem Internet geklaut?

Ob man am Ende richtig liegt ist Bernhard Martin irgendwie egal, Fehlinterpretation findet er spannend. Hinter der benutzerfreundlichen Oberfläche poppig bunter Gemälde liegt eben der benutzerfeindliche Inhalt. Schon klar, das alles muss man nicht mögen, aber man sollte in Bernhard Martins Bildwelten einsteigen und sich einfangen lassen. Herrlich!

 

Da Coronagemäß nur eine bestimmte Anzahl an Menschen in das Museum dürfen, kann es mal zu Wartezeiten kommen, die kann man sich im Skulpturengarten direkt am Waldsee gelegen verkürzen.

4. Galerien-Hopping

Installationen & Malerei

Eine sehr sehenswertes horizontales Diptychon „Short Story“ von  Künstlerduos Elmgreen & Dragset bietet derzeit die Galerie König in der Kreuzberger St. Agnes Kirche. Isolation und social distancing sind schon immer die Themen der skandinavischen Künstler. Die Installation bei König wurde bereits vor einem Jahr geplant: Zwei Jugendliche auf einem Tennisplatz – der eine, Kev genannt, am Boden liegend total erschöpft, der andere, Flo, mit einem Pokal in der Hand, versunken in sich selbst und dem Verlierer den Rücken zugewandt. Beide stehen für sich allein, fast anteilslos. War es ein faires Spiel? Auf das ganze schaut ein alter Mann, im Rollstuhl sitzend vom Spielfeldrand, aber er schläft oder döst vor sich hin. Ist die ganze Szenerie nur eine Traumsequenz?

Besonders eindrucksvoll, da durch Corona die Galerie nur mit einem Zeitfenster betreten werden kann und  nur einige wenige Menschen zeitgleich da sind. In der Chapel wird die kleine Soloschau Domestic von Conny Maier gezeigt. Ihre aktuellen Bilder sind zu Coronazeiten nicht in ihrem Studio sondern im Freien im brandenburgischen Haus bei ihren Eltern entstanden. Ihre entfremdeten Figuren haben etwas einsames und zugleich machtversessenes.

Ebenso museal im Auftritt ist die Galerie Konrad Fischer. Im Umspannwerk gibt es Thomas Schütte zu sehen: Bronzene Riesen, Köpfe und Zwerge aus Keramik, Engel mit scharfen Kanten, Acquarelle und Editionen. Beeindruckend.

Endlich wieder Kunst – nicht online

Durch Covid19 haben sich die Ausstellungen im Barberini Museum in Potsdam Monet. Orte in Potsdam und herman de Vries. how green is the gras? im Kolbe Museum verlängert. Die passenenden Ausstellungsbesprechungen sind im Blog hier verlinkt.

Infos

Palais Populaire

CHRISTO & JEANN-CLAUDE: PROJECTS 1963 -2020

SAMMLUNG INGRID & THOMAS JOCHHEIM

  • bis zum 17. August 2020
  • Geöffnet: Täglich außer Di 11 – 18 Uhr Do bis 21 Uhr
  • Der Eintritt ist kostenlos

Unter den Linden 5, 10117 Berlin

Gropius Bau

LEE MINGWEI – LI, GESCHENKE UND RITUALE

  • bis zum 12. Juli 2020
  • Geöffnet: Mi bis Mo 10 bis 19 Uhr

Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin

Haus am Waldsee

BERNHARD MARTIN – IMAGE BALLET

  • bis zum 5. Juli 2020
  • Geöffnet: Di bis So 11 – 18 Uhr

Argentinische Allee 30, 14163 Berlin

 

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