– Berlin
Konstantin Grcic. New Normals – Haus am Waldsee
Cooles Design
Was macht Design, genauer ein Stuhl, ein Tisch oder eine Lampe in einem Museum, wo sonst zeitgenössische Kunst gezeigt wird? Berechtigte Frage, hat aber im Haus am Waldsee eine gewisse Tradition.
Hier ist gutes und auch cooles Design regelmäßig in spannenden Ausstellungen anzutreffen. Architekten wie Barkow Leibinger zeigten im vergangenen Jahr ihr Können. Aktuell ist der Industrie-Designer Konstantin Grcic zu Gast. Er fragte sich zunächst, wie sein Design im musealen Raum gezeigt werden kann, ohne wie ein Möbelstück zu wirken. Zumal das Haus am Waldsee ursprünglich eine Fabrikantenvilla war.

Konstantin Grcic erklärt seine Ausstellung, überlässt aber die Interpretation des Tisches mit Spiegeln jedem Selbst.
Das neue Normal
Grcic hat sich mit Zukunfts- und Stadtforscher Ludwig Engel zusammengetan. Der hat auch schon bei den vergangenen Architektur-Ausstellungen mit kuratiert. Nun bekommen die berühmten, stapelbaren Grcic-Bürohocker samt angegliedertem Tisch kleine Antennen aufgepfropft. Und schwupps sehen sie
aus wie kleine Außerirdische oder Weltempfänger.
Vor dem Loungechair, auf den ich mich am liebsten hinsetzen würde, prangt eine Autoscheibe, wie ein riesiger Spukschutz. So normal im dritten Jahr der Pandemie. Und auf einem riesigen Glastisch sind kleine Spiegel befestigt, zum um die Ecke gucken.
Was das soll? Ganz einfach: Anregen zum Nachdenken. Zum Nachdenken über New Normals, so der Titel der Ausstellung. Und nein, es geht eben nicht um die Pandemie! Wie wohltuend. Denn eigentlich hatte der Designer, als er die Ausstellung im vergangenen Jahr plante, auf das Ende selbiger gehofft – wie wir wohl alle.
Möbel, die mehr können!
New Normals beschreibt etwas das Neu ist, das aber sich als „total normal“ in unser aller Leben einschleicht. Wie etwa das Smartphone, das immer bei uns ist“, erklärt Konstantin Grcic.
Mit seiner Inszenierung will er Denkprozesse anschieben. Was kann was das Möbelstück mit Antennen, was der Tisch mit den Spiegeln? Die Ausstellung ist dystopische Prophezeiung, keine andächtige Interpretation. Einfach nur ein „was wäre, wenn…?“ Ach, zu gerne hätte ich auf einem der Sitzmöbel genommen – zum Nachdenken (natürlich).
Zanele Muholi – Gropius Bau
Sprechende Fakten
Zanele Muholi bezeichnet sich selbst als visuelle*r Aktivist*in und dokumentiert seit den frühen 2000er Jahren das Leben der Schwarzen LGBTQIA+-Community in Südafrika. Als Visual Activist ist Muholi in einer Gesellschaft unterwegs die queer- und transgenderfeindlich handelt.
Die Post-Apartheid-Verfassung 1996 verbot zwar Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung, dennoch ist die Community täglich Gewalt, Verfolgung und Mord ausgesetzt. Soweit die Fakten.
Intime Momente
Die Fotografien von Zanele Muholi im Gropius Bau zeigen verschiedene Werkserien aus dem fotografischen Werk Muholis. Es sind Momente der Liebe und Intimität, aber die Bilder fangen gleichzeitig traumatische Ereignisse im Leben der Porträtierten ein.
Es geht darum sichtbar zu werden
in einer Gesellschaft in der lesbisch, schwul, transgender oder queer geächtet wird.
Heilender Aktivismus
„Muholis Arbeit zeigt, wie Heilung, Empathie und Empowerment trotz kollektiver Traumata wirken können“, sagt Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius Bau dazu auf der Pressekonferenz. Für Rosenthal ist diese Fotografie ein Mittel der Reparatur und des Aktivismus.
Die schwarz-weißen Fotografien zeigen gleichsam Stolz und Verletzlichkeit, berühren ihr Publikum. Muholi, 49 Jahre alt, schafft bezaubernde Bilder, die zugleich von beklemmenden Lebensumständen erzählen.
Auf der Venedig Biennale 2019 waren Muholis Selbstporträts im übergroßen Format überall in den Arsenalen verteilt. Damals haben sie mich, Natali und viele andere Biennale-Besucher:innen nachhaltig beeindruckt.
Die Fotografien sind für immer im Kopf geblieben. Dieses selbstbewusste zugleich stolze Gesicht Muholis schaute uns mit hypnotisierenden Augen an. Zugleich wird Alltägliches wie Stahlschwämme, Wäscheklammern oder Bleistifte zu Schmuck. Unbedingt hingehen!
Iran. Kunst und Kultur aus fünf Jahrtausenden – James Simon Galerie
Auf der Kultur-Autobahn
Auf eine faszinierende Zeitreise begebe ich mich in der James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel. Iran. Kunst und Kultur aus fünf Jahrtausenden ist eine grandiose Schau. Die Exponate zeigen einmal mehr, das in unserer Welt bereits vor der alles vernetzenden Globalisierung alles miteinander verbunden war.
Mag sein, dass man zum ersten Mal von den Großreichen der Achämeniden und Safaiden liest, da der persische Raum nicht im eigenen Fokus liegt. Hier wird klar, dass es schon vor tausenden Jahren so was wie kulturelle Autobahnen gab.
Ewige Inspirationsquelle
Da stoße ich auf wunderbare Keramikgefäße, die mich an Malereien von Pablo Picasso erinnern. Nur dass die Gefäße im ersten Jahrhundert vor Christus entstanden sind. Staunend stehe ich vor vor filigranem Goldschmuck. Und eine smaragdgrün leuchtende Glasschale zieht mich in den Bann: Bei meinem Besuch schaue ich sie mir mehrmals an. Mit ihrer Form, die wie ein fünfblättriges Kleeblatt wirkt, erinnert sie mich an Schätze, die ich aus dem venezianischen Markusdom kenne.
360 Objekte der Londoner Sarikhani Sammlung und Exponate der Staatlichen Sammlung Berlins zeigen, dass der Iran
Impulsgeber, Schmelztiegel aber auch Verbindungsglied
zwischen Asien, Afrika und Europa war. Was für ein großartiges Kaleidoskop.
München
Gruppendynamik. Kollektive der Moderne – Lenbachhaus
Gemeinsam ackern
Wieviel wir steckt in einem Künstler? Glaubt man dem Zeitgeist, und den einschlägigen Kunstzeitschriften, dann geht es zusammen einfach besser. Kollektive stehen in der Kunst derzeit hoch im Kurs. Das einzelne Individuum kann die komplexen Beziehungen in der Welt am besten gemeinsam (und sinnvollsten) beackern.
Wie zum Beweis vergibt die Tate Modern den renommierten Turnerpreis 2021 an das Array Collective aus Belfast. Ruangrupa, ein Kollektiv aus Indonesien, kuratiert in diesem Jahr die documenta 15 in Kassel.
Zeit sich mit dem wiederkehrenden Phänomen zu beschäftigen.
Die bis zum 24. April im Lenbachhaus laufende Ausstellung Gruppendynamik, Kollektive der Moderne liefert die perfekte Steilvorlage für den Einstieg. In angespannten Zeiten haben sich Gruppen gerne für sozialen Wandel engagiert. Und das nicht nur in Europa, sondern weltweit auch schon zu Zeiten des Blauen Reiter oder der Brücke-Gruppe. Das wird hier in München eindrucksvoll belegt.

Spannende Verbindungslinien
Global handeln
Künstler:innen die in Gruppen oder Kollektiven arbeiten teilen ihre Ideen, Ideologien, Kunstpraktiken und ihren politischen Glauben. Kunst entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern basiert auf gesellschaftlichem Austausch, einem Miteinander.
Egal, ob Dada oder Blauer Reiter, sie alle reflektieren ihre Kunst und erschaffen Manifeste, nach denen sie arbeiten. Die Ausstellung beleuchtet diese radikalen, sich gegenseitig befeuernden Zusammenschlüsse weltweit von 1910 bis in die 80er Jahre. 14 unterschiedliche Kollektive aus Argentinien, Indien, Sudan, Marokko oder China werden vorgestellt.

Argentinisches Kollektiv am gewundenen Tisch: Artistas del Pueblo & Martin Fierro
Alles im Fluss
Verbindungslinien werden über Sprache, aber auch Liebe, Freundschaft oder Universalität gezogen.
Überall finden sich Parallelen.
So wurde in Japan ebenso expressionistisch gemalt wie in Europa. In Argentinien findet sich ein brutaler Naturalismus und im Marokko der 50er Jahre wurde farbenfroh abstrakt gemalt. Heute sind Kunst-Kollektive durch soziale Netzwerke weltweit verbunden, aber auch ohne dieses Kommunikationsmittel war Vernetzung möglich. Kunst war ein Kompass.
Sich durch die dichte Ausstellung zu arbeiten, Verbindungen zu sichten und Knoten zu lösen macht glücklich. Zeit mitbringen und los geht’s. Nach drei etwas theoretischeren Räumen, darf ich in inspirierende Kunstwerke betrachten – und stelle so einmal mehr fest, es ist für jeden Geschmack etwas dabei. Eine ebenso bezaubernde wie wichtige Ausstellung.

Es gibt viel zu entdecken. Wie hier in Nigerias Nsukka School
Infos
Die Museen sind verlinkt, hier finden sich die aktuellen Corona-Regelungen, Öffnungszeiten und Adressen der Kunstorte. Viel Inspiration in der Kunst!
- New Normals. Konstantin Grcic
Haus am Waldsee, Berlin bis zum 8. Mai 2022
- Zanele Muholi
Gropius Bau, Berlin bis zum 13. März 2022
Kennt ihr schon unsere Serie Kunst kocht? Kulinarik im Museum. Hier unser Ausflug in den Gropius Bau
- Kunst und Kultur aus fünf Jahrtausenden
James-Simon-Galerie, Berlin bis zum 20. März 2022
- Gruppendynamik – Kollektive der Moderne
Lenbachhaus, München bis zum 24. April 2022