Kunst gegen die Corona-Krise

Museen und Galerien – alle Kunstorte für Alltagsfluchten sind geschlossen. Shutdown! Bilder, Installationen, Videoarbeiten sind bis auf Weiteres in Geisterhäusern verschlossenen. Bleiben einsam. Sehnsucht nach Kunstwerken trotz CoViD-19? Das geht inzwischen bequem von zu Hause aus. Denn Art is going online – hier unsere Kunst-Highlights in Zeiten von Corona. 

written by Gastautorin Juliane Rohr 3. April 2020

1. Online ins Museum

Winterschlaf im Frühling? Jetzt, wo alles grünt, blüht, und duftet, diese Schockstarre. Zeit der Gegensätze. Ja, wir leben wirklich in interessanten Zeiten. May you live in interesting times war im vergangenen Jahr das Motto der Kunstbiennale in Venedig. Was für ein sich selbst erfüllendes Motto. Das war doch erst gestern?! Und heute in der Pandemie sind wir zusammen allein. Der Corona-Virus breitet sich aus und verändert die Welt. Die Stopp-Taste wurde abrupt gedrückt und hat uns ausgebremst. 100 Prozent entschleunigt.

Zack waren auch die Museen zu. Egal, ob in Florenz die Uffizien, die Pinakotheken in München oder der Berliner Gropiusbau. Es folgten der Pariser Louvre schließlich das Guggenheim in New York. Aber irgendwie geht es weiter –

Kunst online ist die Lösung.

Wer virtuell quer über den Globus reisen will, dem empfehle ich google arts & culture. Die Plattform lockt mit einer stetig wachsenden Zahl an Museen, wo auch immer in dieser Welt, die nun so unerreichbar sind.

Tate Modern in London – See great art from around the world

Wie heißt es aber so schön? Support your local … Hier meine ausgewählten Tipps:

Julia Stoschek Collection, Berlin und Düsseldorf

Auf der Webseite der Museen gibt es jetzt Videoarbeiten und Filme aus der Sammlung in voller Länge zu sehen. Updates sind auf der Webseite, via Instagram oder Facebook zu finden. Das ist die Gelegenheit für mich, sich tiefer und ausgiebiger mit Medienkunst zu beschäftigen – endlich mal mit genügend Zeit. Die Julia Stoschek Collection streamt online Videoarbeiten und Filme von Künstlern wie Wolfgang Tilmanns, John Bock oder Cao Fei. Aktuell ist ein knapp zehn minütiger Close-up-Film von Lutz Mommartz zu sehen. Nicht verpassen. Warum? So viel sei verraten: Es geht um Joseph Beuys als Soziale Plastik und wurde im Jahr 1969 gedreht. Ein Stück Kunstgeschichte.

Haus der Kunst, München

„Jeder Mensch ist ein Künstler“ hat Beuys einst provokativ gesagt und damit das Kunstverständnis einer Generation selbst mitgestaltet. Kunst zum Anfassen und Mitmachen gibt es im Münchner Haus der Kunst in der Ausstellung Shifting Perspectives von Franz Erhard Walther. Die Retrospektive, in der der Künstler auch die Betrachter zum Aktivieren des Kunstwerks einlädt, ist beeindruckend. Mit seiner partizipativen Kunst gilt Franz Erhard Walther als eine Schlüsselfigur der Gegenwartskunst. Bei der Eröffnung war ich noch in München. Aufgrund von CoViD-19 ist die Ausstellung leider geschlossen. Aber das Haus der Kunst hat den #WaltheratHome kreiert und will so den 80jährigen Künstler mit seinen wegweisenden Stoff-Arbeiten aus dem verwaisten Museum heraustransportieren. Gute Laune garantiert – vorbeischauen und mitaktivieren lohnt. Ein digitales Angebot hat das Haus der Kunst darüber hinaus natürlich auch.

Aktiviertes Kunstwerk von Franz Erhard Walther im Haus der Kunst beim Eröffnungsabend

Gropius Bau, Berlin

Mit Abstand einer meiner liebsten Berliner Kunstorte ist der Gropius Bau und gerade heute ist das Museum mit ihren Ausstellungen online gegangen. Über Akinbode Akinbiyi hatte ich im letzten Monat hier geschrieben und auch digital betrachtet sind die Fotografien kraftvoll. Besonders gefreut hatte ich mich auf die Ausstellung Li, Geschenke und Rituale von Lee Mingwei . Der chinesische Künstler war in Venedig-Biennale 2017 im Arsenale mit seiner interaktiven Aktion The Mending Project dabei. Damals konnte der Besucher ein Kleidungsstück von ihm reparieren lassen und sich mit ihm unterhalten. Es ging um das Gespräch als Geschenk. Auch in der Schau im Gropius Bau geht es um die Logik eines materiellen Austausches und um Immaterielles wie Lieder und kontemplatives Miteinander. In einem Raum wird Mingwei als Gastgeber auftreten. Ich bin gespannt. Zunächst bleibt nur die Begegnung mit ihm im Netz und auf den social Media-Kanälen des Hauses.

Lee MIngwei bei der Biennale 2017

Barberini-Museum, Potsdam

Monet und seine Orte hatte ich hier im Blog schon ausführlich besprochen. Auch das Barberini Museum ist mit dieser Ausstellung jetzt online. Die digitale Kunst-Liste, die ich hier veröffentlichen könnte, wächst täglich.

& so unendlich viele andere

Museen, aber auch Galerien bieten inzwischen ein interessantes Programm im Internet. Einfach mal das world wide web nach dem eigenen favorisierten Kunstort befragen und sich dann in eine andere Welt, jenseits dieser seltsamen Realität, begeben. Jedes Zimmer hinter einer Tür heißt ein Projekt von Künstlerin Petra Lottje. Die Galerie Jarmuschek + Partner  zeigt diese Videoarbeit von 2006, da die geplante Ausstellung mit ihr nicht eröffnet werden konnte, auf einer neu installierten  Online Videowall. Die Galerie Friedmann-Hahn hat neben einer virtuellen Ausstellungstour zu Apocalypse von Josef Fischnaller ein kleines, sehenswertes Video über die Arbeit des Fotokünstlers hochgeladen. Noch mehr Fotografie gibt es bei Thomas Schulte mit Robert Mapplethorpe, dem großen amerikanischen Fotografen, dem Gesicht der Aids-Krise. Bei Contemporary Fine Arts kann ich mir nochmal die neusten bildhauerischen Arbeiten und Collagen von Katja Strunz im 3D-Rundgang anschauen. Die Eröffnung von Space Lips war noch im März, kurz vor dem Ausnahmezustand…

3-D Ausstellungstour bei Contemporary Fine Arts

2. Kunst im Fenster – ein Galerien-Spaziergang

Ich muss mal vor die Tür! Frische Luft schnappen ist auch im Shutdown erlaubt. Der Frühling ist da und die ein oder andere Berliner Galerie kann ich von außen betrachten. Kunst to go sozusagen. Besser als sich mit anderen in Parks zu tummeln oder an einem der Berliner Seen auf schmalen Wegen zu drängen. Bei meiner Mitte-Tour ist der leere Stadtraum, einige Kilometer Bewegung und Anregung für den Kopf garantiert.

Gesucht: Das perfekte Bild

Los geht’s am Rosa-Luxemburg-Platz an der Volksbühne bei Nagel Draxler (Weydingerstraße 2-4) mit Heimo Zobernig. Seine gradlinigen, geometrischen Bilder leuchten bunt durch die Schaufenster. Schön ab dem ersten Blick. Scheinbar hat er für die Schau „Das Ungemachte“ immer das gleiche Bild gemalt. Zu gerne würde ich sie näher betrachten, da der österreichische Künstler mit diesem schön-auf-den-ersten Blick-Gedanken spielt. Seine Übermalung und Ungenauigkeiten, die ich auf die Ferne nicht sehe, könnte ich enttarnen und das eine perfekte Bild herausfiltern. Aber gibt es das überhaupt?

Heimo Zobernig – Untitled 2019

Installationen aus vor Covid-Zeiten

Vorbei am Alexanderplatz geht es auf die Karl-Marx-Allee – dort gibt es gleich zwei Anlaufstellen. Gegenüber vom Cafe Moskau ist die Nummer 45, wo Captain Petzel in einem modernistischen Bau von 1964 residiert. Gezeigt wird momentan Barbara Bloom mit Works on Paper, das sind einige ihrer sogenannten Stand-Ins Arbeiten. Neugierig machende, bühnengleiche kleine Inszenierungen, die mich in die Welten einer anderen Person zaubern. Etwas weiter, noch hinterm Straußberger Platz,  kann ich bei Peres Project (Nummer 82) das Werk der chinesischen Künstlerin Shuang Li hinter Glas betrachten. Sie reflektiert mit Malerei, Installationen und Videos die wahnwitzige Geschwindigkeit der Globalisierung und des Handels.

Barbara Bloom durchs Fenster der Galerie

Kunst-Bummel in Charlottenburg

Wer im Westen der Stadt wohnt könnte mal nach den Neonzigaretten Smoke von Cosima von Bonin an den Restaurants Petit Royal in der Grolmannstraße 59 und an der Paris Bar in der Kantstraße 152 suchen. Danach weiterschlendern zu Wentrup in der Knesebeckstraße. Dort gibt es derzeit eine große Schachfigur namens Oschi vor der Galerie von Gregor Hildebrandt zu sehen.  Und durchs Fenster erspähe ich einige andere Arbeiten des Künstlers. Ums Eck in der Goethestraße zeigt Max Hetzler (die Galerie zeigt online viele ausgezeichnete Künstlervideos) eine Arbeit von Jeremy Demester in seinem Galerien-Schaufenster zur Straße hin. Irgendwie bleibt das alles Kunst im Guckkasten. Ob online oder auf der Straße. Ich glotze immer durch ein Rechteck auf die Kunst und fühle mich ein bisschen wie Nam June Paik, dem Vorreiter der Videokunst.

Nam June Paik in Miami 1990

3. Kleiner Flashback zur Biennale 2019

Wir leben in interessanten Zeiten. Ja, fast so war das Motto der 58. Kunst-Biennale vergangenes Jahr in Venedig. May you live in interesting times – hatte Kurator Ralph Rugoff seine Ausgabe der Kunstschau getauft. Ganz bewusst gewählt für unruhige Zeiten. Ein chinesischer Fluch angeblich von Konfuzius oder wem auch immer gesagt. Dieser fake-Spruch aber wurde tatsächlich in der Vergangenheit von westlichen Politikern benutzt, um Brisantes wie aufkeimenden Faschismus oder drohende Kriege mit Wichtigkeit zu untermauern.

Das Motto der 58. Biennale in Venedig am Eingang zum Arsenale

Wenn doch schon 2021 wäre!

Ein Denkanstoß sollte diese Biennale sein, als die globale Klimakrise allgegenwärtig war. „Kommt runter, seid achtsam, handelt nachhaltig“, so die Botschaft vieler Künstler. Jetzt steht sie an, die große Pause, Zeit zum Innehalten, für Kontemplation und neues Denken – im kleinsten wie im großen Ganzen. Ob wir wollen oder nicht. Da müssen wir durch. Gemeinsam – und doch allein. Die fast forward Taste ist kaputt. Ach, wenn doch 2020 ganz besonders schnell zu 2021 werden würde. In diesem Sinne: keep distance, stay connected and safe!

Pfingstrosen in der Fondation Beyeler – die Blumen im Restaurant des Museums sind ein Klassiker zur art basel, die 2020 in den September verschoben wird.

1 comment

Sophie Bader 26. April 2020 - 8:28

#missmyartyteam … ein Lichtblick … danke für den Rundgang

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